1.
Ein Mann war im Land Ausiditi, mit dem Namen Iob.
Und dieser Mann war ehrlich, gerade, gerecht und gottesfürchtig,
er war fern von allen schlechten Taten.
Geboren wurden ihm sieben Söhne und drei Töchter.
Sein Besitz waren siebentausend Schafe,
dreitausend Kamele,
Rinder hatte er fünfhundert Joch,
fünfhundert Esel
und viele Arbeiter waren auf seinem Land.
Und dieser Mensch war der gesegnetste unter der Sonne Anatoliens.
Es trafen sich seine Söhne reihum bei jedem,
um die tägliche Mahlzeit gemeinsam zu halten.
Auch die drei Schwestern wurden hinzugezogen,
zu essen und zu trinken mit ihnen.
Waren die Treffen an reihum einmal durch,
sandte Iob und heiligte sie,
und er stand morgens auf und opferte für sie nach ihrer Anzahl.
Denn Iob sprach: Vielleicht waren meine Söhne nicht gerecht, sondern haben schlecht gedacht vor Gott.
Uns so machte es Iob jeden Tag.
Dann begann der Tag,
Siehe, an dem die Engel Gottes kamen sich vorzustellen beim Herrn,
Und auch der Diabolos kam mit ihnen.
Und der Herr sprach zum Diabolos: Woher kommst du?
Antwortend sprach der Diabolos zum Herrn:
Gekommen bin ich, vom Durchwandern der Erde unter den Himmeln.
Und der Herr sprach:
Hast du auch wahrgenommen mein Kind Iob,
Es ist keiner so auf Erde:
Ein Mensch aufrichtig, wahr, gottesfürchtig,
Der fern ist von allen schlechten Taten?
Antwortend sprach der Diabolos vor dem Herrn:
Ist ihm nicht alles gegeben, so dass er Gott verehren kann?
Denn du hast die Umstände außer- und innerhalb seines Hauses
Und selbst alles darüberhinaus für ihn rund und passend gemacht.
Die Werke seiner Hände hast du gesegnet
Und seine Herden hast du viele gemacht auf der Erde.
Aber sende deine Hand aus und nehme ihm alles, was sein ist,
So wird er nicht mehr vor deinem Angesicht dich segnen.
Da sprach der Herr zum Diabolos:
Siehe, alles, was ihm gehört, gebe ich in deine Hände,
Nur von ihm selbst halte dich fern.
Und ausging der Diabolos vom Herrn.
Es war einer der Tage,
Wo die Söhne Iobs und seine Töchter
Wein tranken im Hause seines ältesten Sohnes,
Siehe, da kam ein Bote zu Iob und sprach:
Da waren die Rinder im Gespann und pflügten,
Und die Eselinnen weideten gerade neben ihnen,
Da kamen die Verfolger und fingen sie,
Und die Knechte töteten sie mit Schwertern,
Gerettet wurde ich allein, gekommen bin ich, um dir zu berichten.
Während dieser noch redete, kam ein anderer Bote und sprach zu Iob:
Feuer kam aus den Himmeln und verbrannte die Schafe und zerfraß die Hirten ebenso.
Und gerettet wurde ich allein, gekommen bin ich, um dir zu berichten.
Während dieser noch redete, kam ein weiterer Bote und sprach zu Iob:
Die Reiter formten sich in drei Blöcken,
Sie umringten die Kamele und fingen sie,
Und die Knechte töteten sie mit Schwertern.
Gerettet wurde aber ich allein und kam, um es dir zu berichten.
Während dieser noch redete, kam ein weiterer Bote und sagte zu Iob:
Während deine Söhne und deine Töchter aßen und tranken bei deinem Sohn, dem Ältesten,
Kam herauf ein gewaltiger Wind aus der Wüste und erfasst die vier Ecken des Hauses,
Und das Haus fiel auf deine Kinder, und löschte sie aus.
Gerettet wurde aber ich allein und kam, um es dir zu berichten.
Sodann erhob sich Iob, zerriss sein Gewand,
Und schor sich die Haare auf seinem Kopf,
Und fiel zu Boden und verbeugte sich und sprach:
Selbst ganz nackt kam ich durch den Schoß meiner Mutter,
Nackt kehre ich ausgelöscht dorthin zurück,
Der Herr hat geschenkt, der Herr hat zurückgefordert.
Wie es der Herrlichkeit des Herrn entspricht, so soll es geschehen.
Der Name des Herrn sei gesegnet!
Und in all dem, was ihm hier begegnete,
Nicht sündigte Iob vor dem Herrn,
Und gab nicht unüberlegtem nach vor Gott.
Hier wird als Einstieg ein Idyll gezeichnet, was schon fast ekelig ist vor Kitsch. Den Iob hat alles und dies auch noch auf eine gerechte Weise. Es ist nichts angedeutet, dass er es unrechtmäßig erworben hätte oder seine Vorteil ausnutzen würde. Auch seine Kinder sind wohl geraten, sie treffen sich jeden Tag und vermutlich eher um die gemeinsame Mahlzeit zu teilen, anstatt zu saufen. Auch die Schwestern werden gleichberechtigt hier hinzugezogen, und auch hier ist kein Anklang von Inzest (den das AT durchaus kennt) zu hören. Man könnte sich dies auch als saufend-fickende Orgie vorstellen, aber dies ist es genau nicht - und das ist die eigentliche Perversität hieran. Und oben drauf kommt noch, dass Iob weiter demütig ist und opfert jeden Tag für die vermeintlichen Sünden, die seine Kinder begangen haben könnten.
Iob ist hier erstmal ein durch und durch widerlicher Mensch. Er führt ein paradiesisches Leben, man kann ihn an keiner Stelle kritisieren und er ist im reinen mit „seinem“ Gott - und Iob straft allein durch sein Dasein jeden anderen Menschen, in der Abweichung von ihm, weil niemand so ein Leben vorweisen kann. Wie verdorben, schwach etc. steht man etwa selber neben Iob. Iob ist so etwas wie der Grünen-Wähler vom Prenzlberg: er macht so viel mehr richtig, als der Alkoholiker im Wedding. Aber ist er dadurch wirklich ein besserer Mensch… oder verpasst er dadurch gerade ein wahrer Mensch zu werden? Und ist nur eine Schablone, von Erwartungen an ihn? Nichts Echtes ist an ihm.
Wir werden im Anschluss Zeuge eines etwas kuriosen Theaterstücks. Allein dies ist schon seltsam, aber es ist ein passender Auftakt für eine „Vorführung“, die uns wie im Theater immer zwischen Empathie und Distanz, zwischen Realität und Fiktion hin und her Switchen lässt. Immer abhängig davon, wie viel wir davon an uns heranlassen wollen und können.
Die Engel treten also vor Gott und der Diabolos ist ein integraler Bestandteil der Engel. Er hat offensichtlich genauso wie die anderen Engel den gleichen Zu- und Umgang mit Gott. Auch im Himmel scheint es so zu sein, das Gut und Böse nebeneinander leben, so wie es keine nur bösen und nur guten Menschen gibt und man selbst auch immer diese Mischung aus Gut und Böse ist. Gefährlich wird es erst da, wo versucht wird, den Teufel in die Hölle zu bannen (oder in den Knast oder die Panorama-Seite der Zeitung oder dem Unterbewussten).
Interessant ist auch, dass die Septuaginta das hebräische Satan (שָׂטָן), Gegner, als διάβολος, als Gegenwurf, übesetzt. Damit muss bewusst gehalten werden, dass der Teufel biblisch-hellenistisch gesehen immer Reaktion ist, und kein aktives Prinzip. Er ist gegen etwas, verhindert etwas, aber er ist nicht ermöglichend, aufbauend, schöpfend. Das Böse ist immer privativ (vgl. Milbank 2003: 1ff.).
Der Herr fragt den Diabolos wo er herkommt, und welche Erfahrungen er gemacht hat. Die Engel scheinen hier Botschafter in beide Richtungen zu sein. Seine Antwort bindet in einem sehr menschlichen Blickwinkel Erde und Himmel zusammen, so dass er die Erde durchwandert hat, aber immer unter dem Blickwinkel des Himmels, der eher umherwandelnd, freier, weniger mit einem konkreten Ziel versehen ist.
Gott fragt den Diabolos, ob er auch Iob gesehen hat. Dies hört sich schon fast angeberisch an, was Gott für einen tollen Diener doch hat. Gott lobt Iob, der für ihn durch und durch ein gelungenes Exemplar zu sein scheint - und merkt dabei offenbar die Skepsis des Diabolos. Und vielleicht gibt es den bisherigen Iob ja auch nur, weil der Diabolos ihn bisher tatsächlich übersehen hat und dieser Mensch sich noch keinen wirklichen Herausforderungen stellen musste.
Der Diabolos kennt die Menschen gut, er ist ihnen oft näher als Gott und die Heiligen. Er ist der Widerspruch, das Nein, die Passivität und Faulheit im Menschen, die oft doch so viel näher und einfacher sind, als aktiv das Gute zu suchen und zu tun.
Der Diabolos sieht recht klar, dass Iob bisher noch nie in Bedrängnis geraten ist, weil er immer alles für sich hatte, so dass er nie das Problem hatte, hiervon auch noch ausreichend abgeben zu können. Unter diesen Umständen ist es auch nicht schwer, gut zu tun. Iob muss sich erst einmal beweisen, denn sobald es an seine eigene Haut und Leben geht, könnte sich das Wesen des Iob dann doch noch in seinen Abgründen zeigen und auch ob er dann noch Gott jeden Tag so inbrünstig loben kann.
Der Diabolos schlägt nun inmitten dieses Idylls hinein, so dass die Beschreibung damit beginnt, dass die Kinder Iobs wieder zusammen speisen - und endet damit, dass sie alle tot sind. Aber der Diabolos ist viel radikaler und kennt den Menschen viel besser, als dass er nur seine Kinder sterbe ließe. Denn es ist nicht einfach ein Schicksalsschlag, sondern Iob werden in kurzer Abfolge mehrere Schläge versetzt, so schnell, dass er noch nicht einmal Luft holen kann oder dies für sich einordnen kann.
Aber diese Abfolge lässt für Iob auch nicht den Schluss zu, dass es nur ein Schicksalsschlag ist, der passieren kann, wie schlimm er auch sein mag. Denn Gott hat seiner Schöpfung die Freiheit geschenkt, und daraus ergibt sich, dass dies nicht immer paradiesisch ist. Aber die aufeinander folgenden Schläge, lassen diesen Schluss gar nicht zu: denn dies ist so absurd, dass es kein Zufall ist, sondern das Iob dies eigentlich nur intentional gegen ihn gerichtet verstehen kann - womit er ja tatsächlich recht hat!
Denn es stehen ja tatsächlich Gott und der Teufel dahinter, die dieses Spiel absichtlich mit Iob spielen. Es ist eben kein Zufall, der Iob widerfährt. Und eigentlich ist Iob auch keine so außergewöhnliche Geschichte, sondern wird sich tausendfach auch im nächsten Umfeld abspielen. Denn so viele Menschen haben so absurd angehäuftes Leid zu tragen, in Konstellationen die kaum Zufall sein können. Gleichzeitig ist es ein gesellschaftliches Tabu: man darf es nicht erzählen, da es auch zu absurd wäre, so dass es als Film oder Buch nicht glaubhaft und übertrieben ist. Der Boulevard und das Panorama greifen es manchmal auf, aber meist auf eine ekelhaft anzüglich, ausschlachtende Weise.
Als Reaktion von Iob wird auf die einzelnen Schläge nichts berichtet, er scheint dabei die ganze Zeit offensichtlich ruhig sitzen geblieben zu sein. Erst beim Bericht vom Tod seiner Kinder, scheint er es nicht mehr tragen zu können und erhebt sich. Der Brauch, bei Trauer die Gewänder zu zerreißen, ist eigentlich ein schönes Symbol, weil es darstellt und man es auch selber haptisch machen kann, wie man sich fühlt, d.h. dass es einem die Brust zerreißt, dass da wo ein halbwegs harmonisches Herz gewesen ist, wo man früher die Wärme und das Kribbeln der Liebe oder Freude aufsteigen gespürt hat, nur noch Fetzen und Splitter sind, die in allen Richtungen auseinanderstreben, kein Mensch mehr, sondern nur noch unzusammenhängende, geschlachtete blutende Fleischfetzen. Und doch ist man kein fühlloser Fleischfetzen, sondern lebt so weiter, wie auf einem Portrait von Francis Bacon.
Aber Iob weiß, dass es keinen Weg gibt, fühllos zu werden. Dies klappt nicht mit Drogen oder Sex, nicht mit radikalen Atheismus, der jede Gefühle nur als chemische Reaktionen abqualifiziert, oder religiöser Sinndeutung… es gibt hier keine Bedeutung und gleichzeitig gibt es keinen Ausweg aus dieser Absurdität dieser Bedeutungslosigkeit.
Man kann nach dem Tod eines Menschen nach den Gründen suchen, die Ärzte oder eine Autofahrer oder eine Betreuungsperson verklagen. Allerdings ist dies alles nur Ablenkung. Eigentlich bringt es nichts auf das „Woran ist jemand gestorben?“ zu schauen, sondern „Dass jemand gestorben ist“. Und dieses DASS ist einfach so unzugänglich für Bedeutungs- und Sinnzuschreibungen, sondern steht einfach nur da, wie ein Mauer, eine nicht zu überquerende Grenze, wo ich mit dem Kopf gegen rennen kann, ohne dass sich einen Millimeter etwas hierdurch verschiebt. Das DASS steht einfach weiterhin da, mitleid- und anteillos. Und dies steht im so radikalen Kontrast zum Gefühlsleben, was vor diesem DASS steht und so gar nicht anteillos ist, sondern im Innersten, in den intimsten und persönlichsten Gefühlen getroffen ist - und einfach nur vor dieser Sinnlosigkeit zerbrechen kann.
Aber Iob findet hier tatsächlich einen Mittelweg. Denn seine Reaktion ist eben nicht die vom Diabolos erwartete, dass er Gott abschwört und zu einem Atheisten wird. Sondern Iobs direkte und unmittelbare Reaktion ist, sich an Gott zu wenden. Zwar wirft er sich vor Gott auf den Boden, aber eben nicht um in Demut ein jüdisches Viduj, ein katholisches Mea Culpa oder ein buddhistisches Chanhui wen (懺悔文) zu beten.
Aber was macht Iob dann eigentlich? Er macht sich erstmal nackig! Und wenn er dann erkennt, wie er ganz offen und nackig vor Gott steht, bleibt da nicht mehr viel. Aber dieses Weniger ist eben auch Mehr. Es fällt alle weltliche Staffage, die der Diabolos ihm ja auch tatsächlich vorher real genommen hat, in ihrer Bedeutung weg. Es ist auch rein weltlich eigentlich nur ein Nehmen und Geben, kein materieller Reichtum auf Erden kann ausreichend auf Dauer versichert werden. So kommt das Kind ohne etwas zu haben auf die Welt und lässt auch alles erworbenen im Tod zurück. Und selbst das Leben wird einem von Gott geschenkt und auch wieder genommen. Es ist nichts zum dran festhalten. Es ist Geschenk und nicht Bestand. Es pervertiert und verkrustet, wenn es Bestand ist und es feiert und blüht, wenn es als Geschenk angenommen wird und dafür feierlich gedankt wird.
Und Leben als Geschenk zu nehmen, ist der Herrlichkeit Gottes entsprechen. Und es steht so radikal unserem heutigen Lebensstil entgegen, wo alles kalkuliert und bewertet wird, sei es mit einem Preis oder mit Anerkennung. Und hier haben wir uns gut abgedichtet, gegen die tatsächlich schenkende Seite - allerdings bleibt überall diese Ambivalenz zwischen Tausch und Geschenk (siehe dafür u.a. Mauss 1984; Derrida 1993).
Denn Herrlichkeit ist nichts anderes als das Überbordende, die Überfülle, von Geben und Nehmen, wofür nichts besser steht als die abgeschnittene Blume: die eigentlich tot ist, weil abgeschnitten, aber gerade, dass sie auf einem Fest verschenkt und aufgestellt wird ihren eigentlich Sinn findet. Und in dieser Grundstimmung kann Iob auch den Namen des Herrn segnen!
2.
Dann begann der Tag,
an dem die Engel Gottes kamen sich vorzustellen beim Herrn,
und auch der Diabolos kam mit ihnen.
Da sprach der Herr zum Diabolos: Woher kommst du?
Erwidernd sprach der Diabolos zum Herrn:
Durchwandert habe ich die Erde und umhergewandelt bin ich unter den Himmeln.
Da sprach der Herr zu ihm:
Bist du auch auf meinen Diener Iob aufmerksam geworden?
Denn niemanden gibt es auf Erden wie ihn.
Der Mensch ist nicht böse, sondern wahrhaftig, nichts ist zu beklagen, sondern er ist gottesfürchtig,
Meidet alles Schlechte,
Sondern sucht vielmehr das Nicht-Schlechte.
Du aber sprichst als erster gegen ihn, dass er verderblich sei.
Darauf sprach der Diabolos zum Herrn:
Die eigene Haut ist näher, als jede andere Haut.
Alles was der Mensch besitzt, wird er geben für sein eigenes Leben.
Nun, sende aber deine Hand aus und fasse ihn an sein Gebein und an sein Fleisch.
So wird er aufhören dich vor deinem Angesicht zu loben.
Der Herr sprach zu Diabolos: Siehe, ich gebe ihn dir.
Nur behüte seine Seele.
Und der Diabolos ging weg vom Herrn,
Und fügte Iob böse Geschwüre von den Füßen bis zum Scheitel zu.
Und er nahm eine Scherbe, damit er sich schneiden konnte,
Und dabei wendete er sich mitten in der Scheiße.
Als dies aber alles weiter fortschritt, sprach seine Frau zu ihm:
Sprich, wie lange hältst du noch fest,
Denkst dass es nur noch an einen kleinen Moment andauert,
Und harrst und hoffst weiter auf Erlösung?
Siehe du, was offenkundig ist und behalte in Erinnerung, was du auf Erden gehabt hast:
Söhne und Töchter, aus deinem Schoß, dir zur Freude und Sorge,
So bist du in diese Leere gebracht durch Schmerzen.
Du bist nur ein faulig-modernder Wurm, kriechend nachts unterm Äther.
Dein Ich nur Stern und Diener,
Wandernd von Ort zu Ort, und von Haus zu Haus,
Gefordert zurückzugeben, wenn die Sonne untergeht,
Dass ich ausruhe von den Mühen und Leiden, die mich umzingeln,
So sprich dein Wort zum Herrn, ein letztes.
Als sie sich aber wieder gefasst hatte, sprach er zu ihr:
Du schwatzt wie die Weiber, die nicht nachgedacht haben!
So nehmen wir das Gute aus der Hand Gottes an, aber das Schlechte wollen wir nicht erleiden.
Gilt dies nicht vielmehr für alles was uns begegnet?
So hat Hiob nicht gesündigt mit seinen Lippen vor Gott.
Es hörten aber drei Freunde von ihm über all das Schlechte was ihn überkam,
So dass sie auszogen aus ihren Ländern hin zu ihm.
Eliphaz, der König von Theman,
Baldad, der Tyrann der Sauditen,
Sophar, König der Minäer,
Und sie kamen gemeinsam zu ihm,
Herbeigerufen, um ihn zu sehen.
Als sie ihn aus der Ferne sahen, erkannten sie ihn nicht.
Da erhoben sie ihre Stimmen und weinten sehr,
Jeder von ihnen zerriss sein Gewand,
Und warfen Staub zum Himmel über sich.
Sie saßen bei ihm, sieben Tage und sieben Nächte,
Und keiner redete zu ihm.
Denn sie erkannten, seine vielen Schmerzen, die im Übermaß waren.
Iob hat sich durch die ersten Schläge des Diabolos nicht von seiner Gottesbezogenheit abbringen lassen. So hebt also der zweite Akt an. Denn der Diabolos ist nicht nur skrupellos und klug, sonder auch hartnäckig.
Die Situation baut sich parallel zur ersten Begegnung auf: die Engel kommen zusammen mit dem Diabolos vor Gott… und der Diabolos fordert erneut Gott heraus, das Iob nicht der Gerechte ist, so wie er wahrgenommen wird. Der Diabolos hat erkannt, dass Iob tatsächlich eine härtere Nuss ist. Er hängt deutlich weniger als die meisten Menschen an äußeren Dingen, und kann diese loslassen ohne in seinem Gottesbezug grundsätzlich gestört zu werden. Vielmehr zieht er den Vergleich, dass auch die eigene Geburt ein Geschenk ist, wofür es genauso wenig Gründe gibt, als für den Tod… und bei beiden ist der Mensch vollkommen nackt, reduziert auf das Wesentliche und er erkennt, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Da setzt der Diabolos nun an, so dass es ihm nicht mehr um die äußeren Lebensumstände von Iob geht, denn die hat er ihm schon alle zerschlagen. Der Diabolos möchte Iob testen, wie er reagiert, wenn es allein um das nackte Überleben geht, darum buchstäblich seine Haut zu retten - und Gott lässt ihn auch hier ohne zu zögern gewähren.
Gott übergibt Iob in die Hände des Diabolos, er wird zu seinem freien Spielball in einem offenen skrupellosen Spiel, dass das einzige Ziel hat Iob zu brechen. Das einzige was Gott sich in diesem Spiel vorbehält, ist Iobs Seele. Die Seele ist offensichtlich immer bei Gott behütet und geborgen, egal was die äußeren Umstände sind und in welchem Spiel der Mensch hin und her geschleudert wird.
Der Diabolos schlägt Iob mit Geschwüren, womit wohl der Aussatz gemeint ist, womit dann auch die Tiefe des Leides sichtbar wird, weil dies nicht nur ein physisches Leiden ist, sondern die Aussätzigen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden und bei den Abfallhaufen außerhalb der Dorfgemeinschaft hausen müssen (Stier 1954: 267). Iob ist damit ganz schnell, ganz unten angekommen.
Aber Iob lässt sich offenbar in seiner Gottesfürchtigkeit nicht beirren. Seine Frau sieht die ganze Absurdität, die in dieser Situation liegt. Iob lobt in der Scheiße Gott, einer Scheiße, die sich nicht Iob eingebrockt hat, sondern Gott ihm. Iob und seine Frau sehe beide die ganze Breite der Theodizee an dieser Stelle - ziehen aber unterschiedliche Schlüsse daraus. Im hebräischen Text kommt die Frau nur kurz zu Wort: „Segne Gott ab und stirb!“ (Buber 2007: 895), d.h. „wirf Gott (‚fluche‘) samt deinem Leben von dir (‚stirb‘). Sie rät Ijjob zu tun, was der Satan von ihm erwartet: adiutrix diaboli (Augustinus).“ (Stier 1954: 267)
Aber hier macht die Septuaginta einen langen Einschub bei Vers 9 und lässt so dass harte „Fluche Gott und stirb“ weg und gibt der Frau das Wort, dies näher zu erläutern. Und sie spricht ein paar wunderschöne Zeile, die die Nichtigkeit, Vergeblichkeit und die ganzen Mühen und das Leid so rückhaltlos benennen, dass man dabei eigentlich innerlich nur nicken kann und ihr für den Mut danken möchte, dies so schonungslos darzulegen. Denn sonst ist dies immer Tabu, darf nicht thematisiert werden, niemand fordert einem auf, tatsächlich mal so grundsätzlich Bilanz über sein Leben zu ziehen. Würde man dies tun, wäre die meisten wohl nicht weit von der Frau entfernt. Vermutlich würde bei vielen die Bilanz deutlich negativer (aber geht dies überhaupt?) ausfallen, als bei Iob, weil er nun tatsächlich auf ein erfolgreiches, gutes und gelungenes Leben zurückblicken kann. Aber eben trotzdem steht diese Bilanz unterm Strich!
Bezeichnenderweise bringt dies Iob nicht aus der Fassung, er wartet vielmehr ab, bis sich seine Frau wieder beruhigt hat. Und sagt ihr dann, dass dies alles dummes Weibergeschwätz ist, wo nicht wirklich drüber nachgedacht wurde. Viele Leser werden sich bei ihrem inneren Kopfnicken zusammen mit der Frau nun ziemlich heftig vor den Kopf gestoßen fühlen, weil man so abgetan wird.
Iobs Antwort ist kurz, gar nicht sophistisch, sondern direkt aus dem Leben. Denn er weist eine Bilanz als gänzlich ungeeignet in diesem Zusammenhang zurück. So widerspricht er ihr gar nicht inhaltlich in ihrer Rede, denn da behält sie recht. Aber das Gute gegen das Schlechte aufzurechnen und dann in Bezug auf wen (einem selber, bestimmten Lebensabschnitten, die eigene Familie, die eigenen Nation, dass Wohl der Arbeit oder die Kirche), ist nicht die richtige Methode. Denn Gott hat uns ein Leben geschenkt, mit allen Facetten, wo jeder Moment diese Unendlichkeit eines göttlichen Geschenkes widerspiegeln kann. Und sei es der banalste Alltag: „No one else has ever lived this moment and no one else will ever live it. No one in the whole universe. Oh, there may have been people who stood on subway platforms looking at a book before. But they weren’t you. Ist wasn’t this book. They weren’t as hungry for a nice slice of pizza as you are right now. They hadn’t schtupped the people you have. They hadn’t made the same stupid mistakes with their lives as you have. Nor have they felt the same joys. They haven’t made happy the people you’ve made happy. The snot in their noses hasn’t hardened into the same shapes that the snot in your nose has. Your life is yours alone, and to miss your life is the most tragic thing that could happen. So sit down, shut up, and take a look at it.“ (Warner 2007: 197f.)
Iob macht genau das: er sitzt in der Scheiße, hält sein Maul und schaut auf sein Leben. Denn Licht gibt es nur mit Schatten und wo Schatten ist, wird Licht hinkommen und dann erst richtig wahrgenommen. So hat alles eine Form mit einer anderen Seite (Spencer Brown 1969). Und vielleicht war Iob am Beginn so ein fades Milchbrötchen und Vorzeigeschwiegersohn, weil er nur auf der eine Seite der Form war. Aber so langsam wird sichtbar, dass Iob deutlich mehr als das ist, sondern durchaus ein veritables Sauerteigvollkornbrot, wovon man tatsächlich satt wird und das nährt, und nicht nur ein wabblig angenehmes Gefühl im Bauch erhält! Und in dieser Demut, die aber gleichzeitig eine tiefe Zufriedenheit birgt, die die kleinen Dinge des Lebens wirklich zu schätzen weiß, ist Iob dann tatsächlich offen vor Gott und kann weiter an ihm festhalten und sich an ihn wenden.
Wir erfahren leider nicht die Antwort seiner Frau hierauf. Aber wie so oft in der Bibel ist direkt am Anfang sehr kurz und knapp und äußerst lebenspraktisch formuliert, worum es geht (z.B. im Exodus 3,12 spricht Gott zu Moses „῎Εσομαι μετὰ σοῦ“ (ich bin dir nahe), so dass damit alles gesagt ist und man sich alles Folgende eigentlich sparen könnte). Aber die wirklich wichtigen und ganz einfachen Dinge werden in der Regel überhört, so dass die Bibel hier ganz pädagogisch vorgeht und nach einem Abstract, dass Ganze noch einmal aufrollt.
Ganz in diesem Sinne hört man im nächsten Vers auch schon die drei Sophisten angaloppiert kommen. Sie wollen ihm beistehen und trösten, wieder alles zu Recht rücken, denn sie wissen wo es langgeht - ach wie können einen die ganzen Journalisten, Sozialarbeiter, etc. auf den Keks gehen in ihrer geistlosen Flachheit, wo außer einem großen Ego kein Platz mehr ist.
Die drei Freunde wollen Iob auch gar nicht sehen, sie erkennen ihn noch nicht einmal aus der Ferne. Das ist nicht der Mann den sie kennen und entspricht auch nicht dem Bild, was sie sich von ihm gemacht haben. Und dann große Show (vermutlich weniger für Iob, sondern für sich selbst und die jeweils beiden anderen Freunde): sie schreien und heulen, zerreissen voller Trauer ihre Gewänder und beehren Iob eine ganze Woche Tag und Nacht mit ihrer Anwesenheit. Man fragt sich welche Schmerzen für Iob größer sind in diesem Moment: die vom Diabolos zugefügten oder die Anwesenheit seiner „Freunde“.