20. Hinweis
Lung Ya asked Ts'ui Wei, "What is the meaning of the Patriarch's coming from the West?"
Wei said, "Pass me the meditation brace."
Ya gave the meditation brace to Wei; Wei took it and hit him.
Ya said, "Since you hit me I let you hit me. In essence, though, there is no meaning of the Patriarch's coming from the West."
Ya also asked Lin Chi, "What is the meaning of the Patriarch's coming from the West?"
Chi said, "Pass me the cushion."
Ya took the cushion and handed it to Lin Chi; Chi took it and hit him.
Ya said, "Since you hit me I let you hit me. In essence, though, there is no meaning of the Patriarch's coming from the West."
Longya Judun (龍牙居遁, 835–923) kommt zu Cuiwei Wuxue (翠微無學, ca. 9. Jhd.) und fragt ihn die gleiche verbreitete Frage wie etwa in Hinweis 17 (allerdings ist dies eine weit verbreitete Standardfrage, die sehr oft auftaucht). Aber der Vergleich mit Hinweis 17 macht einiges deutlich, so ist die Frage bei beiden identisch und auch die Reaktion der Meister. Zwar antworten die Meister nicht das gleiche, aber sie geben alle keine direkte Antwort auf die Frage. Nur Longya gibt explizit ausgesprochen diese Antwort, allerdings sich selbst: „Kurz, einen Sinn des Kommens unseres Patriarchen aus dem Westen gibt es nicht.“ (Gundert 1960: 351ff.) Und diese Antwort durchzieht auch die Kommentare von Yuanwu, der diesen immer wieder wiederholt.
Longyas Antwort ist inhaltlich nicht falsch, dafür wird er von den Meistern auch nicht gerügt. Hier ist er tatsächlich schon weit fortgeschritten in seiner Scholastik. Aber die beiden Meister haben ihn längst viel tiefer durchschaut. Und auch Yuanwu begreift, was hier im Hintergrund für eine Story abläuft: „Einer der Alten (und zwar kein anderer als Dung-schan selbst, der Meister Lung-ya’s) hat gesagt: Ausgesprochen ist das leicht; aber daß es sich dabei (im Geist des anderen) ungebrochen (so, wie es gemeint war) fortplanzt, das ist ungeheuer schwer.“ (Gundert 1960: 358) In diesem Hinweis geht es deswegen nicht darum, ob Longya richtig begriffen hat, dass es keinen Sinn des Kommens vom Bodhidharma gegeben hat, sondern darum, ob er diese Antwort für sich realisiert hat. So schreibt Tenkei zu diesem Hinweis: „The overall meaning of this koan is checking and testing after having attained satori.“ (Cleary 2000: 64) Aber vielleicht trifft Tenkei hier auch nicht ganz den Punkt, vielleicht ist es eher das Austesten zwischen richtigem inhaltlichen und begrifflichen Wissen und dem wahrhaften realisieren dieses Wissens im Glauben.
Die Meister erkennen also, dass Longya zwar schon weit gekommen ist, aber noch längst nicht angekommen. Longya erkennt dies Jahre später auch im Rückblick, wenn er auf diese Situation angesprochen wird und gefragt wird, ob er mit den beiden Meistern übereinstimmt: „'I agree, as far as agreement goes; it's just that there is no meaning of the Patriarch's coming from the West.’ Lung Ya looks carefully in front and behind, and dispenses medicine to suit the disease.“ (Cleary/Cleary 2005: 130) Auf der Ebene des Wissens kann er mit den Meistern übereinstimmen, hier ist eine Verständigung über einen Konsens möglich (bis hierhin kann auch Habermas noch etwas verstehen, bei allem weiteren ist er dann aber auch raus, weswegen sein Alterswerk zum Glauben auch nur ein großes „Thema verfehlt“ ist und sein Frühwerk hat nicht verstanden, dass Kommunikation mehr ist als rationale, explizite Verständigung). Aber seine Medizin kann er erst in passenden Rationen nehmen, denn bis zu diesem Punkt „greift [er] noch gieriger nach der Speise als der Hungrige.“ (Gundert 1960: 354) Erst die beiden Meister erlauben ihn, seinen eigenen Zustand zu erkennen und verabreichen ihm eine weitere Dosis an Medizin. „Aber freilich, am Stock der beiden Meister sind Augen, klar wie die Sonne. Wer echtes Gold erkennen will, muß es im Feuer prüfen.“ (Gundert 1960: 354) Sie bieten im die Möglichkeit seinen Gesundheitszustand zu prüfen - auch wenn er dies nicht unmittelbar einsieht und erstmal schnippig eine „wissende“ Antwort gibt.
Die Prüfung findet aber im Hinweis erstmal falsch herum statt. Denn Longya kommt zu Cuiwei und Linji, um diese zu prüfen. Er legt ihnen die Frage vom Kommen Bodhidharmas vor, um zu schauen, ob sie „richtig“ antworten und ihm seine Antwort bestätigen, dass dieses Kommen keinen Sinn hat. Aber die beiden Meister äußern gar nicht diesen Satz, weil sie ihn durchschauen. Longya ist aber so festgefahren, dass er sich sogar zweimal hintereinander die Antwort einfach selbst gibt - sich einfach selbstbestätigt, was er hören wollte.
Cuiwei und Linji machen aber etwas vollkommen anderes. Denn sie nehmen das Meditationskissen und das Stützbrett und verwenden es nicht, wie vorgesehen für die Meditation. Auch hier geben sie nicht die erwartbare, richtige Antwort für den Gebrauch dieser Gegenstände. Sondern sie zweckentfremden diese, um Longya aufzubrechen: komm heraus aus deiner Erwartungshaltung und erfahre die Welt ohne deine Wahrnehmungsfilter - und direkt heißt hier, dass die Gegenstände zu etwas vollkommen anderen gebraucht werden, nämlich um ihm Schmerz zuzufügen. Und Schmerz ist etwas, was weitgehend auch ohne Wahrnehmungsfilter direkt wahrgenommen wird. Aber selbst dies ordnet Longya noch ein und behauptet, dass er dies erwartet hat und sich freiwillig hat schlagen lassen. Er ist damit sehr fest in seinem Gedanken und Erwartungen gefangen und festgelegt und alles wird darauf zurückgeführt. Aber er nimmt dies selber nicht wahr, so dass er erst dort hin geführt werden muss.
Ernst Jandl hat ein schönes Gedicht dazu geschrieben, in dem er beschreibt wie festgelegt und vernagelt wir sind, durch Erziehung und andere Referenzrahmen, die unsere Welt buchstäblich bestimmen. Bei Jandl ist die Situation aber umgekehrt als in dem Hinweis mit Longya. Die vernagelte Person erkennt nämlich ihr Festgelegt-Sein und beklagt es gegenüber einer Person, die genau diese Festlegungen bewirkt hat, seiner Mutter. Die Mutter erkennt dies nur so gar nicht. Aber dies zeigt wie ausweglos es ist, aus diesen Festlegungen herauszukommen - und es hilft nichts von der mütterlichen guten Erziehung zum Punk zu wechseln, wenn man sich dann durch die Anarchie festlegen lässt: „bist du vernagelt? / ja, ich bin vernagelt. // meingott, du bist wie vernagelt. / ich bin ja vernagelt. // einmal wird dir schon der knopf aufgehen. / was heißt knopf – ich bin richtig vernagelt. // so laß ich dich nicht allein, mein kind. / so hast du mich aber zurückgelassen, mama.“ (Jandl 1985a: 851)
Longya hat zwar viel gelernt und verstanden, aber ist noch lang nicht frei, sondern genau darauf festgelegt. Er glaubt sich mit den beiden Meistern eins, so dass sie alle drei keinen Sinn im Kommen von Bodhidharma aus Indien nach China sehen. Für Longya bewegt sich die Interaktion mit den beiden Meistern vollständig im Rahmen des Erwartbaren. Selbst dass sie das Kissen und das Brett dafür benutzen, um ihn zu schlagen, will er durchschaut haben. So schreibt Yuanwu: „Kein Mensch wird hier sagen können, Lung-ya haben den Sinn dieser Aufforderung nicht verstanden.“ (Gundert 1960: 356) Und er gibt dies den Meistern auch zu erkennen, indem er sagt, dass sie nur so handeln konnte, weil er es ihnen gewährt hat: „Wenn ihr mich schlagt, so lasse ich mich schlagen!“ (Gundert 1960: 352) Aber die beiden Meister und auch Yuanwu sind ganz woanders als Longya, so kommentiert Yuanwu dies nur verächtlich: „Jetzt hintendrein, nachdem der Räuber weg ist, spannt er seinen Bogen!“ (Gundert 1960: 352) Paradoxerweise glaubt Longya alles im Griff und alles erreicht zu haben. Er fühlt sich gleich auf mit den Meistern - und ist es gerade durch diesen Glauben so gar nicht. Er ist ins Nichts gefallen, aber noch nicht wieder daraus aufgetaucht, sondern ist vernagelt in Begriffe und Konzepte vom Nichts - ihm fehlt die Rückkehr auf den Marktplatz wie beim Gleichnis vom Ochsenhirten (vgl. Ueda 2012). Alles hat sich so zu verhalten, wie er es sich vorstellt und selbst wenn nicht, wird es nachträglich eingepasst als Post-Rationalisierung. „Anstatt dem Anlass aber in der Richtung des lebendigen (des natürlichen fließenden) Wassers stattzugeben (also selber mit dem Stützbrett dem Tsui-we zu drohen oder loszuschlagen), treibt es ihn ins tote (stehende) Gewässer, sich darin seinen Lebensunterhalt zu suchen, nur um unter allen Umständen Selbstherrscher zu bleiben.“ (Gundert 1960: 356)
Xuedou nennt Longya in seinem ersten Gesang (der einzige Hinweis im Hekiganroku übrigens der zwei Gesänge hat) einen Drachen ohne Augen. Longya hat schon die die Kraft und das Potential eines Drachens, dies ist alles schon da. Ihm fehlen allerdings die geöffneten Augen, so dass er gefangen ist in sich selbst. Er kreist mit geschlossenen Augen nur in sich selbst, schaut nur in sein Inneres und sieht auch in dem, was ihm in den beiden Meistern begegnet, nur das, was er schon weiß: unverändert wird es als Schema drübergelegt und der Spiegel mit einem schönen Selbstportrait übermalt. Da helfen ihm auch nicht die Hilfsmittel wie das Gebetskissen, d.h. es hilft eigentlich auch nicht die reine Methode wie das Zazen, da dies ihn immer nur noch weiter bestätigt in seiner Innenschau und den „Blick“ in die „eigene“ Leere. Er ist schon nah dran an der Leere, aber er sieht die Leere nur in sich, es ist nur „seine“ Leere, die paradoxerweise eine erfundene und konstruierte Leere ist, die aber durchaus als Hilfsmittel auf dem Weg dienlich ist - denn er ist ein Drache, der schon viel verstanden hat, aber eben noch nicht erwacht ist.
Aber in diesem toten Wasser, wo zwar Klarheit und Tiefgründigkeit herrscht sowie einer Ruhe, wie man sie landläufig mit dem Zen verbindet, da findet eben kein wirkliches Zen statt. Die beiden Meister sind dabei Longya aus dieser Ruhe wirklich ins Erwachen zu führen. Denn in dieser Ruhe tauchen noch nicht die Winde, d.h. der Geist, der großen alten Zen-Meister auf. Falls Longya die Mediation nur für diese Ruhe im toten Gewässer braucht, soll er sie an jemand anderen weitergeben, denn ein stand-by-modus ist kein Zen. Und Ciuwei und Linji starten doch noch einen Versuch und versuchen, ob er mit Prügel aus diesem toten Gewässer erwacht. Aber offensichtlich erfolglos, denn ihre Schläge holt er direkt als von ihm erwartet in sein Ich hinein, nämlich ins modrige abgestandene Wasser.
Xuedou sieht dann aber, dass diese doch recht negative Beschreibung von Longya ihm nicht ganz gerecht wird, denn der Drache hat nicht nur die Augen geschlossen, „Lung-ya was a true, genuinely craggy old Dragon that had rid himself of the eyes he was born with. He didn’t see heaven or hell. He didn’t see the hills, streams and great earth either.“ (Hakuin 2017: 184) So fügt er einen positiveren zweiten Gesang hinzu, zu dem Hakuin schreibt, dass die Verse dieses zweiten Gesangs „are the most wonderful of all the hundred marvelous Verses Hsueh-tou wrote as comments on koans. [.…] You monks, if your are able to see through this verse and make it your own, I will affirm that you have met old Hsueh-tou face to face.“ (Hakuin 2017: 184) So beschreibt Xuedou in diesem Gesang, dass auch wenn das Meditationskissen an jemand anderen übergeben wird, ist damit noch nichts gewonnen, d.h. ist dies keine Dharma-Weitergabe. Eine angemessene Antwort oder besser Annahme ist das Gegenteil von einem toten Gewässer, es ist die Stimmung einer unglaublichen Weite von ziehenden Wolken und Bergen, es ist eine Ichlosigkeit dieser Landschaft. Klar kann man davor stehen und dies bewundern, wie schön dies ist oder die Namen der Gipfel benennen… aber man kann sich dort auch hineinziehen lassen, so dass man ein Teil dieser ganzen Szenerie wird. Das eigene Ich wird erst vor dieser Größe ganz klein und verliert sich auch immer mehr in dieser Betrachtung. Und dies ist die richtige Stimmung für eine Meditation bzw. besser für ein Leben aus dem Geist des Zen, so dass man sich vom Wind der Alten tragen und treiben lässt.
Vielleicht kann man sich den Gesang auch ganz banal und unpoetisch vorstellen (also hart im Kontrast zur Form des Gesangs): So stehen viele chinesische Touristen vor dieser Landschaft und fotografieren und filmen diese. Nur Longyan stellt sich vor sie und belehrt darüber, dass sie die Leere dieser Landschaft in ihrem Herzen erkennen müssen und sie blind sind, wenn sie versuchen diese Landschaft auf Bilder festzuhalten. Dann kommen aber Ciuwei und Linji und verprügeln ihn mit Kissen und Brett, dass er nicht nur die Touristen belehren soll, sondern selber sich auch immer mal wieder selber zur Landschaft umdrehen soll, um wirklich mit dem Herzen in dieser Landschaft aufzugehen und einfach nur betrachten, wie Himmel und Erde verschmelzen…
Auch wenn sie Lu gegeben würden, warum sollte er an ihnen hängen?
Sitzen, Ausruhen - so trägt man nicht die Lampe der Väter weiter!
Angemessenes Aufnehmen wäre: Abendwolken, die noch nicht miteinander verschmolzen sind.
Ferne Berge unendlich, wie blaue Wellen.
(Eigene Übersetzung)
Und damit hat man dann auch wieder die Verbindung zum Fall. Denn das Kommen von Bodhidharma hatte genauso wenig Sinn und Ziel, wie das Aufgehen der Sonne jeden Morgen oder das Ziehen der Wolken über die Gipfel, es ist einfach da. Und so wie es ist, ist es richtig, schön und gut. Und es ist auch gut, dass jeder Tag anders ist…so ist trotzdem jeder ein guter Tag!
Christliches Jakogu: der Blinde (Joh 9, 1ff.)
21. Hinweis
A monk asked Chih Men, "How is it when the lotus flower has not yet emerged from the water?" Chih Men said, "A Lotus flower.“
The monk said, "What about after it has emerged from the water?“ Men said, "Lotus leaves."
Der Meister Zhimen Guangzuo (智門光祚; ca. 950-1030) ist ein Enkelschüler von Yunmen (雲門) und er selbst war der Meister von Xuedou (雪竇), der im Hekinganroku jeden Fall noch einmal anders verdichtet und besungen hat. Auf Zhimen kommt also ein Mönch zu, der eine Frage stellt, auf die normalerweise eine Antwort als Definition oder wissenschaftliche Beschreibung passen würde. Aber diesen Gefallen macht Zhimen dem Mönch nicht, sondern im Gegenteil gibt er ihm eine falsche Antwort. Denn unter Wasser hat der Lotus noch keine Blüte, die entsteht erst, wenn er zur Wasseroberfläche emporgewachsen ist und dort auf genügend Sonne stößt und über dem Wasser ist es eben nicht mehr nur Blattwerk. Aber vielleicht will Zhimen, dies „dynamisch“ und als zeitliche Entwicklung verstanden wissen. Denn der Lotus ist unter Wasser schon seine Blüte, indem dies in ihm angelegt ist, als Potentialität (ενεργεια wie Aristoteles sagen würde). Und auf diese Weise würde Zhimen dann schon eine Wesensdefinition geben. Aber er zielt noch etwas ganz anderes an, als einer botanischen Bestimmung. Denn Zen geht davon aus, dass jeder Mensch immer schon Buddha ist, es aber dies noch nicht weiß bzw. vor allem für sich selber noch nicht realisiert hat. Aber auch umgekehrt, dass der erleuchtete Buddha ein normaler Mensch ist. Ein Buddha ist damit auch nur ein Mensch, der Hunger hat und scheißen und ficken muss (am besten explizit gemacht hat dies der japanische Mönch Ikkyu (一休宗純; 1394-1481)).
Aber was bedeutet dies nun konkret, dass jemand Buddha und normaler Mensch ist? Ist es so wie der „normale“ Mensch den Lotus denkt: erst ist der Lotus nur Stängel unter dem Wasser und wenn er an der Oberfläche erblüht die Knospe? Also ist der Mensch erst Kind wird dann Jugendlicher bis hin zum alten Mann oder Frau und es ist immer die gleiche Person, wobei er nichts tun muss, da diese Entwicklung sich von selbst entfaltet, aber er bleibt dabei als Person dieselbe? Oder ist der Mensch erst verblendet und arbeitet und meditiert sich dann langsam hin zu einem erleuchteten Buddha? Oder sind es verschiedene Rollen, dass man in der einen Situation auf der Arbeit rational ist und am Abend sich in einem Konzert frei gehen lassen kann? Yuanwu erläutert, dass es dies alles nicht ist: „is this flower before and after it emerges from the water the same or different? If you can see this way, I'll grant that you've had an entry. Nevertheless, if you say it's the same, you confuse your buddha-nature and becloud true thusness. If you say it's different, mind and environment are not yet forgotten, and you descend to travel the road of interpretation. When will you ever cease?“ (Cleary 2005: 140) Einen Zugang zur Buddhaschaft findet man nur dann, wenn man dieses Verhältnis von Gleich und Ungleich in der richtigen Weise zu sehen vermag, oder besser auszuhalten vermag. Und dies ist weder, dass es das Gleiche ist, da man so das reine Sein der Welt verdecken würde, noch ist es unterschiedlich, weil man dann immer noch an seinem unterscheidenden Bewusstsein gebunden ist. Es ist eher der Prozess, dass aus dem Sein Unterscheidungen aufsteigen, die sich wieder im Sein auflösen. Und dieses Aufsteigen und Auflösen geschieht so, dass der Mensch nicht an diesen Unterscheidungen festhält, sondern sich eher als der Beschenkte wahrnimmt und eher mit Dank reagiert, als mit einem Anspruch, dass etwas sein Besitz wäre.
Und auch wenn man sich die echten Lotosblumen am Gewässer anschaut, so wird die Blüte so schön getragen von den Alltagsblättern. Liegt sicher gebettet. Aber eine Blüte wächst auch immer ganz schnell nach, wenn die Pflanze mit ihrem Blattwerk stark genug ist. Es ist dieses fruchtbare Spiel von Blattwerk und Blüte, wo das Sein des Blattwerks zwar zunächst ganz unscheinbar ist, aber erlaubt immer wieder die Blüten auszutreiben und nicht an einer durch Zufall einmal ausgetriebenen Blüte festzuhalten, die schon längst verwelkt ist und versucht wird aufzupäppeln. Dafür muss man durch alles unterscheidende Bewusstsein hindurchbrechen, auch wenn wir als Menschen gar nicht anders können, als immer wieder unterscheidend zu Denken. So kommentiert Yuanwu: „If you pursue words and follow after phrases, there will never be any connection. If in the midst of words you can penetrate through words, if in the midst of meanings you can pass through meanings, if within a device you can penetrate through the device, and if you let go and let yourself be at ease, only then will you see Chih Men's answer.“ (Cleary 2005: 140f.) Es gilt immer wieder durchzustoßen und unsere Unterscheidungen hinter uns zu lassen und nicht nur die eine Blüte immer wieder zurecht zu zupfen, sondern das unscheinbare Blattwerk zu pflegen, dass dann ganz von selbst wieder neue Blüten hervortreibt. Und zwar Blüten, die wir bei noch so viel Pflege einer vorhandenen Blüte nie hinbekommen würden. Die einfach aus einem Geheimnis heraus austreiben, dass wir nicht verstehen und auch nicht aktiv bewirken können, sondern nur bewundern und für gute Rahmenbedingungen sorgen.
Xuedou und Yuanwu kommentieren gemeinsam im Gesang: „North of the river, south of the river, ask Old Wang **Where is the master! Why ask Old Master Wang! You're just wearing out your straw sandals.“ (Cleary 2005: 142) Aber nach diesem Durchstoßen von Unterscheidungen kannst du überall suchen und auch die alten Meister wie den alten Wang fragen, sie werden dir nicht helfen könne, du latschst dir nur die Sohlen ab, sonst bringt dies nichts. Es liegt alleine an dir, du musst diesen Durchstoß für dich finden. Aber wofür eigentlich dann die ganze Anstrengung der Meditation und der Weg der Erleuchtung? Und diese Frage muss man sich aufrichtig stellen: Was zieht mich eigentlich zur Meditation bzw. Gebet? Warum steht man morgens dafür extra früher auf oder verlassen Menschen alles und widmen sich im Kloster nur dem? Denn ist es etwa funktional? Denn es ist gerade am Anfang eben meist nicht so, dass es ruhiger macht, dass man sich gesünder fühlt, glücklicher ist etc… treibt also die Aussicht darauf an? Eigentlich fühlt es sich nur unglaublich richtig an, dies zu tun. Persönlich für mich, ist es eines der ganz wenigen Dinge in meinem Leben, wo ich sagen würde, dass habe ich ganz richtig gemacht… einfach rumsitzen und zu beten - und durchzustoßen! Aber auch wenn einem hierbei niemand direkt helfen kann bzw. für einen diesen Durchstoß stellvertretend machen kann, ganz alleine schafft man es auch nicht. Da sind Sutras und Koans schon hilfreich, gerade vor dem Hintergrund, dass es heute eigentlich keine wahren Zen-Meister mehr gibt (vielleicht noch im letzten Jahrhundert Xujun, Nan Huai-Jin, Suzuki). Aber vielleicht ist unser Meister ja auch ganz nahe, ohne dass er selber weiß, dass er der Meister ist für jemanden. Eine Person die einen einfach begleitet und öffnet und Mut macht, in diesen Abgrund des Teiches zu steigen, um dort das Wurzelwerk zu pflegen?
„Fox-doubt after fox-doubt **I bury them in one hole. It's you who doubt. You won't avoid feelings of doubt without respite. Having struck I say, "Do you understand!" (Cleary 2005: 142) Aber alle diese Versuche, durch eine übernommene Lehre einen Durchstoß zu erlangen, sind nur weitere unterscheidende, listige und kluge Fuchs-Gedanken, einer nach dem anderen, alles sophistischer Unfug. Dies musst du alles hinter dir lassen und tief in einem Loch begraben. Und du musst dir bewusst halten, dass diese Unterscheidungen nicht die Welt sind, sondern es sind die von dir gesetzten Unterscheidungen, aber genau deswegen kannst du sie nicht beruhigen, weil du glaubst, nur das bist du und sonst nichts. Hat man diese aber Durchbrochen, so fragt Yuanwu dich in diese Stille hinein: Hast du jetzt verstanden?!
Christliches Jakogu:
„So ist es mit dem Königtum Gottes: Wie wenn der Mensch den Samen auf die Erde wirft, und schläft und aufwacht, nachts und tags. Und der Samen sproßt und macht sich lang, wie - er weiß es nicht.“ (Mk 4, 26-27)
Die wirklich wichtigen Dinge kann der Mensch nicht selber direkt bewirken. Er kann zwar den Samen einsetzen, aber dass er keimt, ein Sproß entsteht und eine Blüte aufspringt, kann er nicht bewirken und versteht noch nicht einmal, wie dies zustande kommt (und auch die Wissenschaft erklärt nur, aber kommt damit diesem Wunder kaum einen Schritt näher). Allerdings muss der Mensch den Samen einsetzen und pflegen, dies ist seine bescheidene, aber notwendige Aufgabe.
Das Königreich Gottes genauso wie unsere Buddhaschaft können wir von uns aus nie selbst erreichen und bleiben für uns immer unerreichbar - sie bleiben immer ein Geschenk. Aber wir können uns dahin auf den Weg machen, aber diesen müssen wir dann mit vollem Herzen ergreifen, bis dazu hin, wie das Samenkorn, zu sterben, um etwas ganz anderes zu werden oder wie der Lotus vom Wasser in die Luft in einem ganz anderen Element als dem ursprünglichen aufzugehen.
22. Hinweis
Hsueh Feng taught the assembly saying, "On South Mountain there's a turtle-nosed snake. All of you people must take a good look."
Ch'ang Ch'ing said, "In the hall today there certainly are people who are losing their bodies and their lives."
A monk related this to Hsuan Sha. Hsuan Sha said, "It takes Elder Brother Leng (Ch'ang Ch'ing) to be like this. Nevertheless, I am not this way." The monk asked, "What about you, Teacher?" Hsuan Sha said, "Why make use of 'South Mountain'?"
Yun Men took his staff and threw it down in front of Hsueh Feng, making a gesture of fright.
Der Meister Xuefeng Yicun (雪峰義存, 822-908) macht in einer Versammlung sozusagen den Käfig auf und lässt das „Unheimliche“ frei. Aber er setzt es erstmal etwas in Distanz aus, indem er sagt, dass es sich am Südhang herumtreibt. Aber sein Schüler Changqing Huileng (長慶慧稜, 854-932) weiß genau, ist es erst einmal freigelassen und treibt sich so in den Köpfen der Mönche herum, dann wird es auch einige Mönche anfallen und niederstrecken, d.h. wenn der Tod hier unterwegs ist, werden heute viele sterben. Aber sterben ist hier nicht physisch gemeint, sondern den großen Tod realisieren und damit Erleuchtung finden. „Die Erleuchtung, hier beschrieben als alle Unterscheidungen aufhebende Schau der mit dem All identischen Selbstnatur im ewigen Nu, ist Ziel und Mitte des Zen-Weges. Hakuin bevorzugt die Bezeichnung «Sehen der Natur»; die letzte Wirklichkeit ist gemeint. Buddha-Natur und kosmischer Buddha-Leib, Weisheit (prajña) und Leere (Sûnyatà), das ursprüngliche Antlitz vor der Geburt und andere Ausdrücke der reichen Palette der Mahâyâna-Termini waren ihm [Hakuin] seit früher durch sein nie unterbrochenes Studium der Mahâyâna-Sutren und der Zen-Literatur vertraut.“ (Dumoulin 2019a: 343) So beschreibt Dumoulin die Erleuchtungserfahrung des japanischen Zen-Meisters Hakuin (白隠 慧鶴, 1686–1769), die aber durchaus Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.
Xuefeng fasst dieses Unheimliche in dem Bild einer Schildkrötennasenschlange. Aber, was ist diese? Sie ist ein Wesen, dass es auf dieser Welt eigentlich nicht gibt und eigentlich hier nicht hingehört und fremd ist. Doch ist sie ganz weltlich, da sie aus Teilen besteht, die man kennt, eine Art Fabelwesen. Sie verkörpert als Schildkröte langes, fast ewiges Leben und Weisheit. Als Schlange aber Gift, Tod und Bedrohung. Und genau dies ist Zen - die Schildkrötennasenschlange ist der Tod und der große Tod, wie er im Kensho erfahren wird - und paradoxerweise in dem durch den großen Tod alles durchbrochen wird, dann auch ewiges Leben aufscheint.
Aber so wie man den normalen Tod nur alleine sterben kann, genauso ist dies mit dem großen Tod. So begegnet die Schildkrötennasenschlange auch hier jedem Mönch auf eine andere, seine jeweilige Art und seiner Situation entsprechenden Weise. So bekommt auch Xuansha Shibei (玄沙師備, 835-908) mit, das Xuefeng das Unheimliche in seiner Klostergemeinschaft freigelassen hat und auch wie die Schildkrötennasenschlange Changqing begegnet ist. Xuansha macht auf diese unterschiedlichen Begegnungsarten aufmerksam. So bemerkt er, das Changqing auf diese Weise, d.h. mit seiner Antwort, auf die Schildkrötennasenschlange reagieren musste, ihm selbst würde sie aber ganz anders begegnen. Aber er weist noch auf einen anderen Punkt hin. Denn die Schildkrötennasenschlange begegnen nicht nur jedem anders, sondern sie kann einem auch überall und immer begegnen, d.h. nicht nur am Südhang während der Versammlung die Xuefeng abhält. Genauso wie auch der physische Tod nicht nur in gefahrvollen Situation präsent ist, sonder du kannst im Straßenverkehr überfahren werden oder einen Herzinfarkt im Bett haben. Ebenso überraschend ist der große Tod: er kann bei der Meditation geschehen, beim Hören eines Verses aus dem Diamant-Sutra, beim Geräusch eines Kieselsteines, dem Ausblasen einer Lampe in der Dunkelheit… Dem würde Xuefeng auch kaum widersprechen, er wollte allerdings mit dem Hinweis auf die Anwesenheit am Südhang bewirkt, dass das Unheimliche in den Köpfen der Mönche präsent wird und sich dort rumtreibt und sich ihnen auf dieses Weise nähert.
Als letztes kommt noch ein weiterer Schüler von Xuefeng „zu Wort“ bzw. eben er kommt gerade nicht mit Worten daher, denn er trifft den Punkt ganz ohne Worte am präzisesten. Yunmen (雲門文偃, 864-949), eigentlich jemand der im Zen schwer seines Gleichen findet in der Kunst mit der Vieldeutigkeit von Worten den Durchbruch durch verschiedene Perspektiven zu beleuchten, verwendet nicht wie sonst nur wenige präzise Worte hier, sondern gar keine und handelt nur. Denn er nimmt seinen Stab als die Schildkrötennasenschlange, wirft sie wie aus dem Nichts hin und ist überrascht und erschreckt, dass sie auf einmal da ist, d.h. man muss über diese Begegnung nicht nur nachdenken, sondern sie vor allem innerlich durchleben in ihrem ganzen plötzlichen Schrecken.
Alle Mönche haben hier eine unterschiedliche Begegnung mit der Schildkrötennasenschlange. Alle begegnen der Leere und dem Unheimlichen auf ihre Weise und aus ihrer jeweiligen Lebenssituation. So schreibt Tenkei zu diesem Koan: „Turtle-nosed snake—This is borrowing a name to enable people to discuss this matter. Hyakujo called it a tiger; Joshu called it going to drink tea; Shiko called it a dog; Rinzai called it the true human with no status; Baso called it Sun Face Buddha, Moon Face Buddha; Tozan called it a three-foot head with a two-inch neck; Ummon called it a dry piece of crap; Tozan called it three pounds of flax. It is called forth at will, sometimes as a staff or a cane, sometimes as a bamboo stick. Referring to everyone’s own mind in innumerable various ways is just for the purpose of activating students’ potentiality, no other reason, so when Seppo says there’s a turtle-nosed snake on South Mountain, the idea is to look and see what it is.“ (Cleary 2000: 69) Und Yuanwu greift diesen Punkt am direktesten auf, denn er versucht gar nicht die Schildkrötennasenschlange zu erklären, sondern fordert jeden einzelnen Leser auf, hier auf seine eigene Erfahrung zu schauen. „Diese Beispiele besagen genau dasselbe, wie wenn Hsüä-feng mahnte: Am Südhang haust eine Schildkrötennasenschlange; die müßt ihr euch unbedingt alle genau ansehen ! Wenn nun ihr gerade in diesem Augenblick dabei gewesen wäret, was hättet ihr darauf geantwortet? Und zwar, ohne der Spur von andern, die schon geantwortet haben, zu folgen! Bitte, versucht es einmal und redet! Hier tut es vor allem not, zu erkennen, daß ihr es nicht mit einer alltäglichen Mitteilung zu tun habt, sondern mit einem Ausspruch außerhalb jeder Regel. So erst werdet ihr zu einem Verständnis gelangen. Und dann werdet ihr auch den Punkt erkennen, auf den überhaupt alle unsere ‚öffentlichen Aushänge‘, alle Beispiele und Worte der Meister hinauslaufen.“ (Gundert 1960: 389) Sudhana antwortet: Die Schildkrötennasenschlange sitzt auf meinem Schoß, ohne dass ich es bemerkt hätte und hat sich dort eingekuschelt! Oder sie kriecht nachts, wenn ich schlafe, unter meine Bettdecke. Dort fühlt sich das Unheimliche bei mir heimisch, und ich bin auch vertraut mit seinem Auftauchen, starre aber jedes Mal erschreckt darauf: wird sie mir jetzt den Schwanz ab- oder die Kehle durchbeißen?
Aber ist dieses Erschrecken, denn die richtige Reaktion? Es ist sicher die natürlichste, aber ist es eine Zen-Reaktion? Klar muss man sich erst praktisch davon ganz „angehen“ lassen. Aber wenn ich erschrecke, haut die Schlange vielleicht ab oder sie beißt mich erst Recht als Reaktion. Und die Schlange ist wie gesagt immer nahe, liegt in meinem Schoß oder unter meiner Bettdecke. Da wäre diese Reaktion nicht so gut, wie bei einer Biene die dann sticht. Mich hat als Kind eine Szene aus einem James-Bond-Film sehr beschäftigt. Da steht James-Bond im Bad und merkt auf einmal, dass eine giftige Schlange zwischen seinen nackten Füßen herschleicht. Er versucht dem Drang zu widerstehen, direkt wegzuspringen, sondern bleibt ruhig und lässt sie langsam auch noch über seinen anderen Fuß gleiten, bis sie dann desinteressiert verschwindet. Er kämpft in dieser Situation nicht gegen die Schlange, sondern in erster Linie gegen sich selbst, gegen seinen Instinkt an. Und ähnlich geht es mit dem Zen oder auch jeder anderen Religion oder Philosophie, die bis auf den Grund denkt. Der Tod ist ganz nahe und dies wird ganz bewusst gehalten (und eben nicht wie sonst üblich verdrängt) und dadurch entsteht eine fatalistische Ruhe, die einfach nichts beschönigt, sondern es nur einfach zeigt wie es ist. Offensichtlich ist dies aber kaum auszuhalten von den meisten, denn selbst in Religionen, geht es dann wieder ganz schnell oft um Schutz (Bittgebete, Magie oder die Vorstellung von einem ewigen Leben) oder im Alltag darum, dass die Kinder für einen weiterleben sollen oder der Nachruhm, was man alles tolles in seinem Leben geschafft hat oder man lässt sich einfach total Zerstreuen über Fernseh, Netflix, Sport etc.
Und dies spiegelt so schon die Zen-Stimmung wieder: ich schaue auf die Schlange mit Gelassenheit, ,aber auch in höchster Anspannung und Konzentration. Der Moment ist so irre präsent. Man muss echt locker lassen, dass es geht bzw. sich dann auch schön anfühlt. Und das ist ja eigentlich voll gegen die natürliche Reaktion und erst so kommt man mit der Schlange zurecht. Yuanwu kommentiert dies weiter: „Nur diese Schildkrötennasenschlange, die allerdings ist schwer zu meistern. Auf die muß man sich ganz genau verstehen; dann erst kann es mit ihr gelingen. Versteht man's nicht, gibt es Verwundungen durch Schlangenbiß. Mein einstiger Lehrer vom Berg des Fünften Patriarchen pflegte zu sagen: Diese Schildkrötennasenschlange müßt ihr mit Geschick behandeln, damit sie euch nicht Hand und Fuß verletzt. Die muß man sieben Zoll hinter dem Kopf mit festem Griff fassen und tüchtig kneten; dann könnt ihr mit mir altem Mönch Hand in Hand gehen.“ (Gundert 1960: 394) Erst aus einer eigentümlichen und widernatürlichen Ruhe und Gelassenheit kann ein Umgang mit der gefährlichen Schlange stattfinden. Aber dann findet eine Begegnung statt, so dass der Zen-Mönch die Schlange ergreift und sie sogar dicht bei ihrem Kopf hält mit festen Griff. Der chinesische Text weist hier eine Eigentümlichkeit auf, indem das Wort 捏 (niē) doppelt genannt wird. 捏 bedeutet etwas zwischen Finger und Daumen halten, aber auch etwas mit den Fingern formen und etwas gestalten und herstellen. Gundert gibt diese doppelte Bedeutung mit zusätzlich tüchtig kneten wieder, Clearly lässt sie ganz weg. Aber diese Doppelung weist durchaus auf einen interessanten Aspekt hin, denn durch einen festen und gekonnten Griff, kann die Schlange und das Unheimliche nicht nur gebannt und festgehalten werden, sondern auch geformt und gestaltet werden. Damit gibt es hier eine Entwicklung von der natürlichen Reaktion zu erschrecken und von der Schlange tödlich gebissen zu werden, über eine Gelassenheit, die die Schlange vorbeiziehen lässt, bis hin zum gekonnten ergreifen der Schlange und dann sogar die Schlange zu gestalten.
Gundert zieht in seinem Kommentar noch Bezüge mit der jüdisch-christlichen Überlieferung und sieht Parallelen zur Schildkrötennasenschlange auch bei Moses am brennenden Dornbusch und Jakobs Kampf am Jabbok. „Es ist darum kein Gegenstand für reflektierende Vergleiche, sondern wirklich nur ein Bild des Schreckens; darnach allerdings auch Nötigung zum Ringkampf mit eben diesem Schrecklichen, um vor und mit ihm zu bestehen.“ (Gundert 1960: 401f.) Dieses Unheimliche ist damit keine Besonderheit des Zen, sondern taucht überall auf: in jeder Religion und in jedem einzelnen Menschen, „eben hierin sei der Sinn enthalten, auf den das ganze Beispiel ziele: niemand möge sich dabei beruhigen, daß die Schlange auf dem Berge Hsüä-feng’s hause; es kann und muß ihr jeder irgendwann und irgendwo einmal begegnen.“ (Gundert 1960: 402f.) Allerdings mit dem Unterschied der Art der Begegnung, der vom tödlichen Biss bis hin zur aktiven Gestaltung und Nähe mit dem Unheimlichen reicht.
Christliches Jakogu:
„Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. […] Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“ (Mt 25, 1-13)
Vielleicht sind die klugen Jungfrauen gar nicht die, die in ihrer letzten Stunde mit vielen guten Taten und einem unbefleckten moralischen Leben vor den Herrn stehen…. und vielleicht geht es gar nicht darum, dass man noch die kleinste unmoralische Tat vermeiden soll, weil der Herr jeden Moment da sein kann und dann genau dieses Missgeschick im Mittelpunkt steht und einen richtet…sicher ist es richtig, dass der Herr unvermittelt auf einmal da ist bzw. dass einem die Augen aufgehen, dass er da ist… und sicher ist es richtig, dass man nur mit seinem eigenen Leben vor den Herrn treten kann und sich dies nicht von jemand anderem leihen kann…aber Öl zu haben, bedeutet in sich etwas zu haben, was ein Feuer nähren kann… es ist kein vertrocknetes Leben was ohne große Leidenschaft den geselleschaftlich-kirchlichen Regeln folgt, sondern was aus einer Sehnsucht heraus brennt, die eben nicht so leicht einzufangen und zu kanalisieren ist… eine Sehnsucht, die auf den Herrn in der Nacht zugeht… mit Liebe und Vorfreude, aber auch mit Nervosität und einer seltsamen Art von Angst… denn beim ersten Kuss merken wir, dass der Herr die Schildkrötennasenschlange ist, die uns mit einem Bissen ungekaut verschlingt und in sich aufnimmt… haben wir ein eigenes Leben in uns, werden wir aufgenommen und verlieren erst an diesem Punkt unser Leben… sind wir nur eine leere Entsprechung allgemeiner Normen, werden wir wieder ausgespuckt, denn wir haben unser Leben viel zu früh aufgegeben und zwar für die Moral und nicht für den lebendigen Herrn.
23. Hinweis
Once when Pao Fu and Ch'ang Ch'ing were wandering in the mountains, Pao Fu pointed with his hand and said, "Right here is the summit of the mystic peak."
Ch'ang Ch'ing said, "Indeed it is. What a pity!“
Hsueh Tou added a word, saying, "Today what is the purpose of travelling the mountains together with these fellows?" He also said, "Hundreds of thousands of years hence, I don't say there are none, just that they will be few.“
Later this (dialogue between Pao Fu and Ch'ang Ch'ing) was quoted to Ching Ch’ing. Ching Ch'ing said, "If it hadn't been Mr. Sun (Pao Fu), then you would have seen skulls covering the fields."
Ob jemand ein wirklicher Zen-Mensch ist, kann man nicht von außen am Verhalten oder Aussagen erkennen, sondern muss jeweils geprüft werden. Die gleiche Reaktion oder Antwort, kann bei dem einen befreit aus seinem Wesen kommen, bei dem anderen ist sie nur nachgeplappert. Interessanterweise kann man dies auch oder vor allem für sich selbst nicht erkennen: Trump wird vermutlich in der Regel nicht denken, dass er ein Lügner ist, sondern dass er ein reiner Quell alternativer Wahrheiten ist. Es ist eine schwierige Situation, so ein wenig wie Menons Paradox: das Problem ist, dass ich oft nicht weiß, was ich nicht weiß… und damit meine eigenen Blindheit nicht sehe.
Einem solchen Test unterziehen sich zwei gut befreundete Schüler von Xuefeng (aus dem vorherigen Beispiel): Baofu Congzhan (保福從展, 860-928) und Changqing Huileng (長慶慧稜, 854-932). Sie gehen auf dem Berg spazieren, wo Xuefeng kurz vorher noch die Schildkrötennasenschlange ausgerufen hat. Aber begegnen die beiden dieser auch oder tragen sie nur weiter die Erzählung von Xuefeng von ihr mit sich rum? So sagt Baofu zu Changqing, dass dies der „Gipfel Wunderbar“ (妙峰顶) ist. Sein Freund Changqing gibt ihm auf der einen Seite recht, denn der Berg hier ist als „Gipfel Wunderbar“ der Ort der Erleuchtung. Aber auf der anderen Seite ist dies gleichzeitig grundfalsch, so dass er weiter antwortet, aber wie Schade, dass du dies so ansprichst und festhältst. Hier zeigt sich, dass Changqing seine Lektion aus dem vorherigen Beispiel gelernt hat, denn dort hatte ein weiterer Mitschüler ihn zurechtgewiesen, dass die Schildrkrötennasenschlange zwar am Südberg ist, aber eben nicht nur dort, sondern dass sie überall zu finden ist. Ebenso steht es mit dem Berggipfel hier. Denn Erleuchtung ist kein Ort, es ist auch nichts worüber man direkt sprechen kann, es gibt keine Definition, was Erleuchtung ist, noch gibt es eine Anleitung, wie man sie direkt erlangt… aber der Berg deutet was an, da er etwas Erhabenes hat, letztlich unzugänglich bleibt, immer neues offenbart, immer wieder neu bestiegen werden muss, an den Himmel ragt. Ähnlich wie die Schildkrötennasenschlange ist der Gipfel auch dieses Hereinbrechen des Unheimlichen, dass in uns hineinragen kann… und damit begünstigt er Erleuchtung und ist ein Hinweis in sie, aber er ist nicht die Erleuchtung.
Baofu hier zu testen, ist auch deswegen nötig, weil der „Gipfel Wunderbar“ erstmal nur ein Zitat ist, auf den Yuanwu aufmerksam macht, nämlich auf das Avatamsaka-Sutra, so dass die Gefahr groß ist, dass Baofu nur aus der Literatur zitiert, ohne dass dies seine eigene Erfahrung ist. An der zitierten Stelle im Sutra wird Sudhana im letzten Buch auf die Pilgerschaft durch Manjushri geschickt. Seine Pilgerreise beginnt auf dem Berggipfel „Wunderbar“,wo Sudhana Meghasri als Lehrer sucht, aber ihn zunächst nicht finden kann. Erst als Sudhana alle Erwartungen an diese Begegnung loslässt, zeigt Megashri sich, aber eben nicht auf „seinem“ Gipfel, sondern in Distanz auf dem nächsten Gipfel und erklärt ihm alles: Sudhana „went to Mount Sugriva, climbed the mountain, and looked in every direction for the monk Meghashri. Finally, after seven days, he saw the monk walking on the plateau of another peak. He went to Meghashri, paid his respects, and said, "O noble one, I have determined to seek supreme enlightenment, but I do not know how an enlightening being should learn the conduct of enlightening beings, or how one should accomplish it, or how to begin the practice of enlightening beings, how to carry it out, fulfill it, purify it, comprehend it, realize it, follow it, keep to it, and expand it, or how an enlightening being is to fulfill the sphere of universally good action. I hear that you give instruction for enlightening beings, so please tell me how enlightening beings proceed to supreme perfect enlightenment." (Cleary 1993: 1180) Damit ist Sudhana nicht „angekommen“ auf diesem Gipfel der Erleuchtung, sondern es ist die erste von vielen Stationen seiner Pilgerreise - und selbst an dieser ersten Station trifft er den Lehrer nicht dort, wo er ihn erwartet. Und die Formulierung, die Sudhana hier zur Ansprache verwendet, wird er bei den folgenden Lehrerinnen auch immer wieder in sehr ähnlicher Form verwenden. Denn sie drückt sein Grundgefühl des Unterwegsseins und des Suchenden aus. Und dieses Grundgefühl hat auch sein Lehrer Megashri nicht verloren. Denn er schließt seine Hinweise an Sudhana: „Son, from this universal light in which is concentrated the information of all sense objects, I have attained mindfulness oft he buddhas: but how can I know the practice, or tell of the virtues, of the enlightening beings who have purified the sphere of endless knowledge, who have attained the means of mindfulness of buddhas in the sphere of universal illumination, by seeing right before their eyes the pure arrays of abodes in all buddha-lands in the spheres of all buddhas“ etc. (Cleary 1993: 1181) und schickt ihn damit zu einem nächsten „spiritual friend“. Diese Grundhaltung findet man genauso im Daoismus, wo die Grundannahme auch im Weg und nicht im Ziel liegt, aber eine ebenso passende Formulierung kann man auch im 20. Jhd. in Deutschland bei Martin Heidegger finden: „Denn unser Ziel ist das Suchen selbst. Das Suchen - was ist es anderes als das beständigste In-der-Nähe-sein zum Sichverbergenden, aus dem jede Not uns zufällt und jeder Jubel uns befeuert. Das Suchen selbst ist das Ziel und zugleich der Fund. Doch hier melden sich naheliegende Bedenken. Wird denn so nicht die endlose Ziellosigkeit zum Ziel gesetzt, wenn das Suchen das Ziel sein soll? So denkt der rechnende Verstand. Wird denn so nicht die Ruhelosigkeit und Unbefriedigung verewigt, wenn das Suchen das Ziel sein soll? So meint das nach raschem Besitz gierige Gefühl. Jedesmal erkennen wir, daß das Suchen die höchste Beständigkeit und Ausgewogenheit ins Dasein bringt — allerdings nur dann, wenn dieses Suchen selbst eigentlich sucht, d. h. am weitesten hinaus in das Verborgenste auslangt und alle bloße Neugier hinter sich gelassen hat. Und was ist verborgener als der Grund jenes Ungeheuren, daß Seiendes ist und nicht vielmehr nicht ist? Was entzieht sich uns mehr als das Wesen des Seyns, d. h. dessen, was in allem uns umwaltenden und tragenden, verfertigten und gelenkten Seienden das Nächste und Abgegriffenste und doch Ungreifliche ist? Das Suchen selbst als das Ziel setzen, heißt: Anfang und Ende aller Besinnung festmachen im Fragen nach der Wahrheit des Seyns selbst — nicht dieses oder jenes Seienden oder alles Seienden. Die Größe des Menschen bemißt sich nach dem, was er sucht, und nach der Inständigkeit, kraft deren er der Suchende bleibt.“ (Heidegger 1983: 6)
Hier haben wir die herrliche Zen-Situation, dass alles zusammenbricht und wieder zurückschlägt: Erst schien es so, dass Changqing seinen Freund Baofu dabei erwischt hat, dass er die Erleuchtung an einem Ort festsetzt und dafür auch nur dogmatische Formulierungen aus einem Sutra verwendet, d.h. weit weg von jeder echten, authentischen Erfahrung des Zen. Deswegen greift Changqing ihn sich und testet ihn… aber bei näherem hinsehen, „zitiert“ Baofu nur genau diese in der Schwebe bleibenden Suche, die Changqing einfordert. So war zunächst Changqing oben und hat anscheinend Baofu erwischt und niedergerungen, aber im gleichen Zug zeigte sich, dass Baofu gar nicht dort ist, wo Changqing ihn vermutet hat. Denn nun liegt Changqing unten, weil er dem festgefahrenen Dogma aufgesessen ist, dass dass zitieren von einem Sutra nur ein Eselspflock ist, woran sich jemand ohne eigene Erfahrung selbst gebunden hat - aber Baofu drückt mit diesem „Zitat“ nur die eigene erfahrene Freiheit aus. Genau an diesem Punkt ereignet sich eine Zen-Begegnung: Schlag… Gegenschlag… beide frei!
Die beiden haben also für sich ein wieder mal geklärt, woran sie aneinander sind, nämlich dass sie aus dem Zen-Geist von Xuefeng leben und alles andere töten. Aber diesen Geist hätten sie auch im Kloster testen können. So ist Xuedous Frage, was sie denn eigentlich dann auf dem Berg treiben, vollkommen berechtigt. Zwar ist der Berg nicht die Erleuchtung, im Sinne, dass man dort hingeht oder hingeführt wird… und dann hat man es. Es gibt keinen solchen Ort. Zwar ist er letztlich der Ort der Erleuchtung, aber genauso kann dies an allen anderen Orte auch sich ereignen. Nur dass der Berg gute Bedingungen und eine gute Stimmung hierfür bietet. Erleuchtung ist grundsätzlich auch in einem Helene-Fischer-Konzert oder im Fußball-Stadion möglich, nur dass hier (unbewusst) alles daran gesetzt wird, genau dies zu verhindern, während der Berg hier gute Voraussetzungen für schafft. So beschreibt Heidegger sehr gut, inwiefern der Berg widerspiegelt, was er mit seinem Denk-Stil versteht. „Es gilt, um im Bilde zu reden, einen Berg zu besteigen. Das gelingt nicht dadurch, daß wir in der Ebene des gewöhnlichen Meinens uns aufstellen und über diesen Berg Reden halten, um ihn auf diese Weise zu ‚erleben‘, sondern der Aufstieg und die Gipfelnähe gelingt nur so, daß wir sogleich zu steigen beginnen. Wir verlieren dabei zwar den Gipfel aus dem Blick und kommen ihm doch nur nahe und näher, indem wir steigen, wozu auch das Zurückgleiten und Abrutschen und in der Philosophie sogar der Absturz gehört. Nur wer wahrhaft steigt, kann abstürzen. Wie, wenn die Abstürzenden den Gipfel, den Berg und sein Ragen am tiefsten erfahren möchten, tiefer und einziger als jene, die scheinbar den Gipfel erreichen, wodurch er ihnen alsbald die Höhe verliert: zu einer Ebene und Gewöhnlichkeit wird? Man kann weder die Philosophie noch die Kunst und überhaupt keine schaffende Auseinandersetzung mit dem Seienden mit Hilfe des bequemen Rechenschiebers des gesunden Menschenverstandes und des angeblich gesunden und doch längst schon verbildeten und mißleiteten ‚Instinktes‘ beurteilen und ausmessen, sowenig wie mit dem leeren Scharfsinn des sogenannten ‚Intellektuellen‘. Hier ist alles und das Einzige nur zu erfahren im Vollzug, in der Anstrengung des Steigens. Wer nur einzelne Sätze aufschnappt, steigt nicht mit. Es gilt, die einzelnen Schritte und die Schrittfolge mitzugehen. Nur so erschließt sich die Sache, auf die wir uns besinnen, zu der wir hinwollen.“ (Heidegger 1983: 22f.)
Denn man verläuft sich nicht mal eben auf einen Gipfel, ohne passendes Schuhwerk (dazu gehört dann auch das theoretische Studium, aber es reicht halt nicht aus, genauso wie die schicken Bergsteigerschuhe im Schrank einen noch nicht auf den Gipfel bringen) und die entsprechende körperliche/geistige Verfassung (neben der Theorie braucht man aber auch die richtige Stimmung der Entschlossenheit) komm ich da nicht hoch… man muss total entschlossen sein, aber auch immer bereit sein, alles wieder loszulassen und ganz neue Pläne zu machen. Und dann ist es dieses Wechselspiel: beim Bergsteigen sieht man den Berg selbst nicht mehr, sondern nur die Aussicht drumrum, da muss man schon auf den Nachbarberg steigen, um den Gipfel zu erkennen (deswegen erkennt Sudhana seinen Lehrer Megashri auch nur auf dem anderen Gipfel). Aber vom Tal oder einem kleinen Hügel aus wird man nie die ganze Bergspitze sehen, sondern diesen nur erahnen können. Ich muss ihn praktisch besteigen, bin ihm dann viel zu nah, sehe nur noch meine Füße und den Weg vor mir, aber nicht mehr den Berg als Ganzes. Wo ich bin, weiß ich nur, weil ich den Berg auch von Weitem beobachtet habe. Beides funktioniert aber nur zusammen, ich muss ihn besteigen und beobachten, sonst erfasse ich nie was er eigentlich ist und wo ich bin. Auch ist oft die Wolkendecke nur über dem Tal, damit sieht man nur mehr die anderen Berge und nicht mehr das Tal…aber da oben wird die Luft recht dünn…
Aber nur weil man auf dem Berg ist, ist man noch lange nicht dem nahe, was auf dem Berg möglich ist. Denn viele kommen hoch mit dem Sessellift in Badelatschen und machen oben ein paar Fotos. Oder auch der Fitness-getriebenen iron man (in unterschiedlichen Ausprägungen und Antrieben) mit ihren Schnelligkeitsrekorden oder E-Bikes bekommen nichts vom Eigentlichen mit, sondern nur das Bild, was sie sich von ihrem Ego gemacht haben - denn geht man nicht nur hoch, um ein „perfektes“ Bild für Instagram zu haben und will eigentlich nur das Bild, was man eh schon im Kopf hat? Aber Sessellift und Ebikes sind doch genau worum es hier geht. Es geht gar nicht um den Ort. Sondern was mit mir passiert auf dem Weg dahin und dann ist der Ort erst das, was er ist, d.h. der mich zu mir und meinem Abgrund und Absturz führt.
Xuedou kommentiert die Begegnung der beiden weiter, indem er sagt, dass fast alle den Berg verpassen. Eben weil sie mit ihrem eigenen Bild nur die Welt erfassen können. Hier geht es aber darum, dieses eigenen Bild loszulassen und sich von der Wucht und Massigkeit und fast schon Zeitlosigkeit des Berges zu Nichts machen zu lassen, und in diese Ohnmacht abzustürzen. Und dies erreichen eben nur sehr wenige, selbst in Hunderten von Jahren. Damit besteht der Test der beiden Zen-Mönche auf dem Berg darin, genau diesem sich auszusetzen und alle Bilder von sich abfallen zu lassen (selbst Bilder aus einem Sutra). Den beiden geht es darum, die eigene Macht und das eigene Ego loszulassen und sich dem Berg auszusetzen, der so viel größer und älter als sie selbst, aber auch so unberechenbar etwa von seinem Wetter und der Zugänglichkeit der Wege und sich so gar nicht um die beiden Menschen kümmert. Und anders als beim Sessellift ist hier der Absturz immer sehr nahe. Der Test wie Yuanwu einführt, den die zwei hier durchführen, liegt genau in diesem sich Aussetzen in die Möglichkeit des Absturzes hinein.
Auch Heidegger hat oben den Absturz als essentiell für das Denken beschrieben. In einer Stelle aus dem Nachlass aus der gleichen Zeit schreibt er: „Der Denker bleibt im Seienden dem Seyn ausgesetzt. Die Anderen ‚setzen sich‘ für das Seiende im Seienden ‚ein‘.“ (Heidegger 1998: 156) Die Mönche und auch der Denker im Sinne Heideggers setzen sich damit auf dem Berg (also in etwas Seiendem) dem Unheimlichen (dem Seyn) dieses Berges aus. Dieses Unheimliche kommt aber nicht nur dem Berg zu, sondern verbirgt sich in jedem Seienden. Nur der Berg ist ein Ort, wo sich dies besonders leicht entbirgt (interessant ist, dass das deutsche Wort „Verbergen“ bereits Bezug auf den Berg nimmt. In Grimms Wörterbuch wird die Übersetzung von occultare und absconditus gegeben, die diesen Bezug explizit so nicht haben und auch sonst taucht dies auch nicht auf). Aber wie Xuedou sagt, es sind nur wenige, die sich dem Seyn aussetzen, die meisten anderen kümmern sich nur um das Seiende und richten sich hier absturzsicher recht gemütlich ein. Hier gilt der Einsatz sich in den Wettlauf des Seienden einzufügen und alles dranzusetzen und einzusetzen hier eine Karriere um Anerkennung zu schaffen, sei es mit dem Geschwindigkeitsrekord auf den Berg oder das spektakuläre Instagram-Bild. Aber die Wenige, die sich der Tiefe des Seyns des Berges aussetzen, hier ihr Leben einsetzen, erhalten erst das wahre Leben. Und ob sich beide in diesem wahren Leben auf dem Berg befinden, dass haben Baofu und Changquing gegenseitig getestet.
Christliches Jakogu:
„Er nahm Petrus und Johannes und Jakobus und stieg auf einen Berg um zu beten. Und es ereignete sich in seinem Gebet, dass das Aussehen seines Gesichts sich veränderte und sein Gewand blitzend weiß wurde.“ (Lk 9, 28-29)
Jesus zieht sich immer wieder auf einen Berg zurück (eine Art Exodus), um zu beten, aber auch viele der entscheidende Momente seines Lebens ereignen sich auf einem Berg (Golgatha, Ölberg, Bergpredigt etc.). Bei der Verklärung nimmt er drei Jünger mit und so wird uns mehr darüber berichtet, was in seinem Gebet sich ereignet: es verändert seine ganze Person. Was sich dann hier ereignet kennen die Jünger gar nicht aus ihrem eigenen Gebet und sie erschrecken bei der Wucht dieses Ereignisses, indem Jesus im Gebet das Gesetz (Moses) und Prophetie (Elija) in sich vereinigt und vor Gott bringt. Gott erwidert hierauf: … auf dies hört! Vielleicht geht es hier gar nicht nur darum, dass die Jünger und wir eingeschüchtert werden sollen durch ein Wunder und deswegen auf Jesus hören sollen, was er lehrt. Vielleicht bedeutet die Nachfolge Jesus, dass wir dieses Ereignis der Verklärung selber erfahren. Und wenn sich dann die Verklärung in einem ereignet hat, auf sich selber zu hören, was dann eben nur noch der Wille des Vaters ist. Aber dies kommt dann aus mir selbst und nicht aus einer historisch-kritischen oder traditionalistischen Auswertung von alten Schriften. In der Verklärung im Gebet müssen wir das Dharmakaya (法身) realisieren, auf das wir hören müssen. Und die beiden Mönche auf dem Berg haben sich gegenseitig getestet, ob sie in einem verklärten Zustand sich auf dem Berg bewegen.
P.S.: Papst Benedikt XVI. dagegen kennt in seiner Auslegung der Verklärung nur Schriftzitate und keine eigene Erfahrung (Ratzinger 2007: 353ff.). Der Professor wäre von den Zen-Mönchen wohl ordentlich verprügelt worden auf dem Berg, weil er eben nur Sutra- bzw. Bibel-Zitat ist und nichts eigenes. Aber Benedikt will ja auch kein Zen-Meister sein - und Sudhana will als Leben keine Sammlung von biblischen Kalendersprüchen sein. Deswegen pilgert Sudhana heraus aus der Kirche hin zum Berg Tabor.