Kapitel 1
Im Ursprung war das Wort, und das Wort war vor Gott, und Gott war das Wort. / Denn im Ursprung war dieses vor Gott. / Alles ist durch ihn entstanden, durch Abtrennung von ihm ist es entstanden, sonst wäre nichts. Was entstanden ist: / Sein Leben ist es, und dieses Leben ist Licht dem Menschen. / Und dieses Licht lässt alles erscheinen in der Finsternis, aber in der Finsternis ergriffen sie es nicht.
Ein Mensch entstand, von Gott wurde er geschickt, sein Name war Johannes. / So ist er gekommen um zu bezeugen, dass das Licht wahrhaftig (verlässlich) ist, damit alle daran glauben können durch ihn. / Nicht selbst war er das Licht, aber das Licht wird durch ihn bezeugt.
Er brachte das Verborgene ans Licht, was den ganzen Menschen erscheinen lässt, und in den Kosmos zurückbringt. / Er ist in der Welt, und die Welt entsteht durch ihn, aber die Welt erkannte ihn nicht. / In sein Eigenstes kam er, aber dieses Eigene nahm ihn nicht auf. / Die ihn aber aufnahmen, gegeben hat er ihnen die Kraft Kinder Gottes zu werden, um an seinen Namen zu glauben, / die weder aus dem Blut, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott entstanden ist.
Und dies ist das Zeugnis von Johannes selbst, abgesandt haben die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm, um ihn zu fragen: Wer bist du? / Und er gab zu und leugnete nicht: Ich bin nicht der Christus! / Da fragten sie ihn: Aber wer dann? Bist du Elias? Und er sagte: Nicht ich bin (es)! Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein./ Also sprachen sie zu ihm: Wer bist du also? Wir müssen antworten denen, die uns geschickt haben. Was sagst du selbst über dich? / Er sprach:
„Durch mich braust die Stimme der Wüste in euch hinein
bereitend seinen Weg“
wie Jesaja der Prophet gesprochen hat.
Und die abgesandt waren von den Pharisäern,/ fragten ihn und sprachen zu ihm: Und warum taufst du dann, wenn du weder Christus, noch Elias, noch ein Prophet bist? Johannes erwiderte und sprach: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch ist einer, den ihr nicht kennt,/ der in meinem Rücken geht (strömt), und mir kommt es nicht zu, mich von seinen Zügel zu lösen./ Dies geschah in Bethanien jenseits des Jordans, wo Johannes taufte.
Am nächsten Tag erkennt er Jesus, der vor ihn tritt, und er sagt: Seht, das Lamm Gottes, das aufhebt die Sünden der Welt./ Dieser ist es über den ich gesprochen habe: Der in meinem Rücken geht (strömt), ist dieser Mann, der nun auch vor mir steht und der schon immer vor mir war./ Auch ich erkannte ihn nicht vollends, aber damit Israel klar sehe, bin ich gekommen, um mit Wasser zu taufen./
Und Johannes bezeugte und sagte: So schaute ich den Geist herabkommen wie eine Taube aus den Himmeln und er blieb auf ihm./ Auch ich erkannte ihn nicht vollends, aber ich bin gesandt mit Wasser zu taufen, damit derjenige auf den der Geist hinabkommt und auf dem er bleibt, erkannt wird als der er ist: der mit dem Heiligen Geist tauft./ Auch habe ich gesehen, dass er der Sohn Gottes ist.
Am folgenden Tag kehrten dorthin zurück Johannes und zwei seiner Schüler./ Und zu Jesus schauend, der dort spazieren ging, murmelte er: Sieh, das Lamm Gottes./ Und seine beiden Schüler hörten ihn so daherreden und folgten Jesus. Als Jesus weiterzog und sich umsah zu dem ihm Folgenden, sprach er zu ihnen: Welchen sucht (vermisst) ihr?/ Sie sagten zu ihm: Rabbi - was übersetzt Lehrer bedeutet - wohin drängt es dich?
Er sagte: Kommt näher und seht! Sie gingen mit ihm und erkannten so, wohin es ihn drängte. Und sie blieben diesen Tag bei ihm, es war um die zehnte Stunde./ Andreas, der Bruder von Simon Petrus, war einer der beiden, die Johannes gehört hatten und dann selbst nachgefolgt sind./ Er fand zuerst seinen eigenen Bruder Simon und sagt zu ihm: Gefunden haben wir den Messias: übersetzt der Christus. Er führte ihn zu Jesus./ Jesus blickte ihn an und sagt zu ihm: Du bist Simon, der Sohn des Johannes: Du sollst Kephas genannt werden - worunter man Petrus (Stein bzw. Felsbrocken) versteht.“
Am folgenden Tag wollte er nach Galiläa aufbrechen und dabei traf er auf Phillipos. Und Jesus sprach zu ihm: Folge mir!/ Aber Phillipos stammte aus Bethsaida, dem Heimatort von Andreas und Petrus./ Und Phillipos erkannte Nathanel und sagte zu ihm: Bei Moses in den Gesetzen und bei den Propheten steht geschrieben: Erkannt haben wir Jesus, den Sohn Josephs aus Nazareth./ Und Nathanel erwiderte: Aus Nazareth - kann von dort etwas Gutes kommen? Und Phillipus sagte zu ihm: Komm und siehe!/ Jesus sah Nathanel zu ihm kommen und sagte zu ihm: Siehe, ein wahrer Israelit, an dem keine Verstellung ist./ Nathanel sagte zu ihm: Woher kennst du mich?/ Erwidernd sagte Jesus zu ihm: Bevor Phillipus dich ansprach, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen/ Nathanel erwiderte ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels./ Jesus erwiderte und sprach zu ihm: Weil ich zu dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe, glaubst du?! Größeres wirst du aber noch sehen!/ Und er sagte zu ihm: Amen, Amen, ich sage euch: Geöffnet seht ihr den Himmel und die Engel Gottes hinauf und hinabsteigen über dem Menschensohn.
1, 1-5
Im Ursprung war das Wort, und das Wort war vor Gott, und Gott war das Wort. / Denn im Ursprung war dieses vor Gott. / Alles ist durch ihn entstanden, durch Abtrennung von ihm ist es entstanden, sonst wäre nichts. Was entstanden ist: / Sein Leben ist es, und dieses Leben ist Licht dem Menschen. / Und dieses Licht lässt alles erscheinen in der Finsternis, aber in der Finsternis ergriffen sie es nicht.
Der Prolog hat schon immer viel Raum für theologische Spekulationen geboten. Aber eigentlich macht Johannes hier direkt am Anfang seines Textes, das genau Gegenteil (so dass uns Arius und Kollegen erstmal egal sein können). Denn er versetzt uns in eine Situation, wo alle unsere Denkkategorien versagen und ins Leere laufen: Im Ursprung. Während Matthäus ja noch sehr freundlich ist und nicht vom Ursprung sondern von der Herkunft aus ansetzt, die bei Abraham beginnt, ist der Beginn des Alten Testaments da radikaler, denn da geht es um die Grundierung der Welt, als das Scheiden von Licht und Finsternis etc. Die Genesis bewegt sich damit am Rand von dem, was wir uns vorstellen können.
Johannes ist da ganz anders: Wie soll man sich den Ursprung vorstellen? Ein schwarzes Loch, aber selbst das ist entstanden und nährt sich von etwas… Und dann ist in diesem unvorstellbaren Ursprung auch noch irgendwie ein Wort. Man kann sich dann schnell darein flüchten und sich auf die Monotheismus-Debatte werfen. Aber lenkt man damit nicht vom eigentlich Problem ab? Hier geht es erstmal um den Ursprung, der für uns keinerlei Weise greifbar wird, aber in dem Gott irgendwie da ist und wohl auch irgendwie ein Wort.
Vielleicht ist es der Zweck dieses Evangeliums-Anfangs auch sich genau darauf einzustimmen. Auf dieses Unendliche und Unfassbare. Hier ist nicht zu erwarten, dass hier etwas erklärt und eingeordnet wird. Vielmehr scheint es so zu sein, dass gerade auf diese Abgründigkeit hingewiesen wird. Und wenn Kant seinen Ausgangspunkt beim bestirnten Himmel nimmt und hierfür Ehrfurcht empfindet und daraus sozusagen (zusammen mit dem moralischen Gesetz in mir) sozusagen den Motor seines Schaffens sieht, verlegt Johannes dies noch weiter. Es nicht mehr nur der Sternenhimmel, den ich noch sehen kann, aber unendlich entfernt und nicht erreichbar ist, sondern es wird noch weiter zurückgelegt.
„Der reine Ursprung ist das vollkommene Unfaßliche, das Untastbare, Unantastbare, Farblose, Zeitlose, das was jedem Denken und Begreifen immer vorauslieft, das ewige Früher, das ewig immer schon Dagewesene. Es ist das Göttliche, das Abgründige in Gott.“ (von Speyr 1949: 17) Hier werden alle Verstehensmöglichkeiten und menschlichen Zugänge zurückgewiesen. Die Welt und Gott sind vom Menschen in seiner ganzen Tiefe nicht zu verstehen, weil es räumlich und zeitlich so viel größer ist, dass dies alle Vorstellungskraft sprengt.
Johannes nimmt hier einen Einstieg vor, der sehr kurz ist und traditionell immer schnell durch sophistische Spekulationen zum Monotheismus übergangen wurde. Aber man muss sich in diesem Beginn einstimmen, der sozusagen die Tonart ist, in der alles weitere gespielt ist, es ist die Grundstimmung, aus der dass ganze Evangelium atmet.
Zugegeben macht Johannes seiner Leserin dies nicht ganz einfach, dies wahrzunehmen. Zwar ist dies der erste Satz, aber dies bleibt dann eben auch sehr kurz. Schaut man sich aber das Avatamsaka-Sutra an, was im Buddhismus eine ähnliche Bedeutung hat wie das Johannes-Evangelium im Christentum, so wird dies in epischer Breite ausbuchstabiert. In nicht enden wollenden Aufzählungen werden hier verschiedene Welten, Königreiche, Buddhas etc. aufgezählt, von denen man noch nicht ansatzweise etwas gehört hat. Die aufzählenden Beschreibungen versuchen auf immer neue Weisen unser Zählen und Rechnen zerbrechen zu lassen. Um nur ein willkürliches Beispiel hier zu bringen, so spricht Samantabhadra „to cause all the Buddha teachings to be brought forth, to increase the nature of vast, profound all-knowledge of the cosmos, he spoke these verses: […] The boundless ocean of myriad lands explained Vairocana Buddha has all beautifully purified. / The World Honored One's realm is inconceivable; Such arc his knowledge, wisdom, and mystic powers. // Enlightening beings cultivate the practice of oceans of vows, / Universally adapting to the inclinations of sentient beings. / The mentalities of sentient beings arc boundless; /The enlightening beings' lands extend throughout all ten directions. […] O Children of Buddha, each of the oceans of worlds has bases of support as numerous as atoms in an ocean of worlds. That is to say, they may rest on all adornments, or in space, or on the lights of all jewels, or on the lights of all Buddhas, or on the lights of the colors of all jewels, or on the voices of all Buddhas […] The oceans of worlds have such bases as these, as many as atoms in an ocean of worlds.“ (Cleary 1993: 185f.) Und in dieser Tonlage schreitet das Sutra über anderthalbtausend Seiten voran.
Der Leser verschwindet beim Lesen immer mehr: entweder er verschwindet, weil er die Monotonie nicht mehr aushält und die Lektüre abbricht oder weil er sich immer weiter relativiert, als nur ein äußerst kleiner Teil einer Welt von tausenden Welten und Millionen von Universen in unzähligen Äonen. Die eigenen Empfindungen und Werte werden auf diese Weise genauso wichtig, wie der kategorische Imperativ oder der Gott der Moskitos.
Dies gleicht auch der Rede Gottes zu Job (Job 38,1-40,2), der ihn auch darauf verweist, dass seine Wert- und Denkmaßstäbe nicht dafür geeignet sind die Schöpfung in ihrer Gänze zu fassen und das so ein menschlicher Begriff etwa von Gerechtigkeit immer nur heuristisch sein kann und irgendwann kollabiert.
Und dennoch ist hiermit nirgendwo ein hoffnungsloser Atheismus gemeint. So ist die zentrale Botschaft des Avatamsaka-Sutra das Perlennetz der Indra (vgl. Cook 1994), wo es zwar dieses unendliche Netz gibt, in der Größe der oben beschriebenen Meeren von Welten, aber, und dies ist die entscheidende Wendung, das in jedem einzelnen Atom, in jedem Teil und damit auch in jedem Menschen, sich das ganze Universum widerspiegelt. Es ist alles da, in jedem Atom.
Und auch Job erfährt in der Rede von Gott ja nicht allein eine Zurückweisung, sondern Gott wendet sich ihm zu und dies auf eine intensive Weise, wie dies wohl kaum sonst einem Menschen zugekommen ist.
Aber bei beiden ist es gleich, dass man erst untergehen muss. Im Sutra geht der Mensch unter in der Unendlichkeit der „oceans oft worlds“ und Job geht unter, weil er in der größtmöglichen Scheiße sitzt, die man sich eigentlich ausdenken kann.
Genau dies ist auch die Grundstimmung des Evangeliums von Johannes, wo nicht nur im Ursprung alles droht zu verschwinden, sondern es ist auch ein Wort da. „Dass Wort ist der Ausdruck, die Sprache, die Erfüllung, das Licht. So ist in Gott der Ursprung immer schon Wirklichkeit, das Entstehen immer schon Sein, der Abgrund immer schon Licht. Nie war in Gott ein Gegensatz zwischen dem Ursprung und em Wort, denn das Wort war im Ursprung, der Ursprung war im Wort, das Wort war nicht nur bei Gott, dass Wort war selbst Gott: und Gott war das Wort.“ (von Speyer 1949: 17)
Für den Neutestamentler Klaus Berger sind „die üblichen deutschen Übersetzungen dieser Verse schlicht unverständlich“ (Berger 2011: 325), womit er sicher recht hat - aber was wohl auch notwendig immer so bleiben muss und gerade der Motor des Glaubens bleibt. Inwiefern dieses da ist und in welchem Verhältnis es zu Gott steht, bleibt nach dem bisher gesagten, immer nur heuristisch.
Im folgenden soll ein kommunikationstheoretischer Ansatz gewählt werden (Luhmann 1984; Baecker 2005), der von einem Formenkalkül ausgeht (Spencer Brown 1969) und damit eigentlich eine recht einfache und elegante Lösung darstellt. So versteht Luhmann Kommunikation (was wir hier erstmal mit λόγος/Wort gleichsetzen) als selbstreferentiell geschlossenes soziales System, was die Konsequenz hat, dass „selbstreferentielle Systeme sind auf der Ebene dieser selbstreferentiellen geschlossene Systeme, denn sie lassen in ihrer Selbstbestimmung keine anderen Formen des Prozessierens zu. So haben soziale Systeme keine Verwendung für Bewusstsein“ (Luhmann 1984: 60). Generell bedeutet dies für Kommunikation, dass kein bewusster Gedanke direkt in Kommunikation überführt werden kann, sondern immer nur annähernd und in verschiedenen Formen ausgedrückt werden. Eine Gedankenübertragung ist Kommunikation dagegen nie. Das spricht zwar nicht gegen eine Gedanken als Auslöser und Intention einer Kommunikation, aber der Gedanke bleibt für alle anderen außer dem Sprecher nicht direkt zugänglich - aber dem Sprecher dagegen auch, wie sein geäußerter Gedanke in der Kommunikation weiter verwendet wird und auch nicht, was sich die Hörenden für Gedanken dazu machen.
Liest man mit dieser theoretischen Perspektive die ersten Verse von Johannes, so stand im Ursprung ein Wort, im Sinne einer Kommunikation. Dieses Wort stand „vor“ Gott (wird oft etwas unterschlagen, dass der griechische Text hier noch ein προς hat), im Sinne einer Vorstellung/Gedanken, der dann kommuniziert wird. Auf diese Weise wäre technisch auch eine hypostatische Union in Jesus dem Wort sichergestellt und gleichzeitig die eigentlich Unzugänglichkeit von Gottes „Gedanke“ und dass das Wort eine Eigenständigkeit gewinnt, aber dadurch auch nicht beliebig wird.
Darauf folgt der Vers: „Alles ist durch ihn entstanden, durch Abtrennung von ihm ist es entstanden, sonst wäre nichts.“ Gott äußert sich also, er spricht sein Wort, trennt dies sozusagen von sich ab und genau dies ist das Grundprinzip, wenn man Kommunikation im Rahmen eines Formenkalküls versteht (wie es Luhmann und Baecker im Anschluss an Spencer Brown tun). „Draw a distinction“ ist die alleinige Konstruktionsaufforderung in den Laws of form (Spencer Brown 1969: 3), hierdurch entsteht alles aus dem Nichts (bei Spencer Brown aus dem unmarked space). Johannes ist hier aber zurückhaltend, was dadurch entstanden ist, so dass nicht Seiendes benannt wird, was ex nihilo geschaffen wird wie in der Genesis, sondern es wird dieses Grundprinzip eingesetzt: draw a dinstinction. In der Genesis wird dies quasi angewandt, also es wird eine Unterscheidung getroffen zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Land und Wasser etc. Dieses Unterscheiden ist dann das, wodurch erst Leben möglich ist. Nur wenn sich etwas von allem anderen abgrenzt, kann etwas leben. Kann es diese Grenze nicht mehr aufrechterhalten, so stirbt es.
Aber was meint Johannes dann mit dem Licht? „Und dieses Licht lässt alles erscheinen in der Finsternis, aber in der Finsternis ergriffen sie es nicht.“ Auch der Mensch lebt aus diesem Unterscheiden, allerdings unterscheidet er sich nicht nur darin, dass er seinen Körper oder Bewusstsein von anderen unterscheiden muss, dass er Dinge von anderen Dingen unterscheiden muss, sondern dem Menschen ist grundsätzlich die Möglichkeit geschenkt, sich dieses Unterscheiden bewusst zu machen: dies ist das Licht, was dem Menschen über das Leben hinaus geschenkt worden ist, dass er die Unterscheidungen, die er trifft (Leben), selber wiederum unterscheiden kann (Licht). In der Begrifflichkeit von Spencer Brown wäre Leben der „mark“ und Licht das „re-entry“. So kann der Mensch sich ganz basal auf die biologische Unterscheidung bewusst werden, dass er sterblich ist. Er kann sich bewusst werden, dass er die Dinge seiner Welt unterscheidet und sich so seiner Werte und Rationalität bewusst werden. Er kann sich bewusst werden, dass er sich von anderen Bewusstseinen unterscheidet und ausgehend hiervon kommunizieren.
All dies ist dem Menschen als Möglichkeit gegeben - allerdings muss er diese Möglichkeit auch ergreifen. Und das Licht, diese Unterscheidungen sich bewusst zu machen, kann aber muss nicht ergriffen werden. Allerdings kann dies immer verschiedene Grade haben, so dass eigentlich kein Mensch die eigene Sterblichkeit leugnen kann, aber man kann sie verdrängen. Genauso mit meiner Welt, die ich als die einzig richtige ansehen kann, in der es keine (praktizierenden) Schwule geben kann oder andersherum in der jeder sein Geschlecht frei zu wählen hat und darüber auch kein weiterer Kommunikationsbedarf gesehen wird.
Der Anfang des Evangeliums nach Johannes lässt sich also gut in den Begrifflichkeiten des Formenkalküls lesen: man muss sich den unmarked space in jeder Unterscheidung bewusst machen, wo der unmarked space letztlich in den Ursprung bei Gott zurückkreuzt, aber dies kann in jedem Moment und jeder alltäglichen Handlung geschehen. Dies stellt den Schlüssel, der durchaus auch eine sehr buddhistische Prägung hat, für die weitere Lektüre da (siehe zum hier verwendeten Verständnis des Formenkalküls auch den Kommentar zum Herz-Sutra).
1, 6-8
Ein Mensch entstand, von Gott wurde er geschickt, sein Name war Johannes. / So ist er gekommen um zu bezeugen, dass das Licht wahrhaftig (verlässlich) ist, damit alle daran glauben können durch ihn. / Nicht selbst war er das Licht, aber das Licht wird durch ihn bezeugt.
Mit Johannes ist ein Mensch da, der von Gott die Sendung erhält für dieses Licht zu zeugen. Zu zeugen dafür, dass im Grunde unseres Daseins dieses Unterscheiden liegt und gleichzeitig dafür zu werben, dass man dies realisiert und annimmt. Aber dies bedeutet nicht die Annahme eines bestimmten Glaubenssatzes und Dogmatik, sondern auf dieses Spiel der Unterscheidung sich einzulassen. Es bedeutet immer ein „Crossen“ der Grenze, was in letzter Konsequenz auch immer das Crossen ins Nichts zu Gott hin ist: das wäre dann eine neue Form wie man sich im Alltag bekreuzigt. Es ist die Bereitschaft immer wieder sich von Gott in Anspruch nehmen zu lasse, immer wieder die festen Gewohnheiten aufzugeben und zu crossen, um offen für Gottes Weg sich zu machen.
Die Welt wird auf diese Weise so gar nicht auf ihrer Oberfläche ruhig und sicher. Ein solches Christentum wagt sich vielmehr heraus ins Ungewohnte, ins Unbequeme etc. Es ist heilige Unruhe die antreibt. Eine Unruhe, die immer merkt, dass unter allem dieses Nichts als Abgrund gähnt. Und darin ein Gott sich merkbar macht, der so gar nicht greifbar ist, aber doch sehr deutlich da ist. Der eine Unwiderstehlichkeit eines schwarzen Lochs hat, umso näher man ihm kommt. Aber damit auch immer stärker eine Bedrohung für das eigene Ich wird.
Johannes ist diesem Gott so nahe gekommen, dass er sich so rückhaltlos für das Werben für diesen Gott einlässt, bis dahin dass er sein eigenes Ich verleugnet und nur der Weg für Jesus ist und letztlich wegen einer der banalsten Eitelkeiten den Kopf abgeschnitten bekommt - so haarsträubend absurd lässt Gott seinen ihm so treuen Gehorchenden hinschlachten! Belohnung für den Glauben stellen sich die meisten anders vor… aber man kann ja noch auf den Ausgleich im Himmel warten…
1, 9-13
Er brachte das Verborgene ans Licht, was den ganzen Menschen erscheinen lässt, und in den Kosmos zurückbringt. / Er ist in der Welt, und die Welt entsteht durch ihn, aber die Welt erkannte ihn nicht. / In sein Eigenstes kam er, aber dieses Eigene nahm ihn nicht auf. / Die ihn aber aufnahmen, gegeben hat er ihnen die Kraft Kinder Gottes zu werden, um an seinen Namen zu glauben, / die weder aus dem Blut, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott entstanden ist.
Nun wird eingeführt, wen und was Johannes bezeugt. Es ist er, der als Licht, das verborgene ans Licht bringt. Und hier mit ist gar nicht in erster Linie gemeint, dass „Gott alles sieht!“ im Sinne, dass er jede Sünde sieht und in einem Beichtspiegel abhakt. Dies ist zwar ein Teil davon, aber sicherlich nicht der wesentliche Teil, aber noch viel weniger das eigentliche Ziel. Denn geht man von einem differenztheoretischen Ansatz wie dem Formenkalkül aus, so verweist dies immer darauf, welche Markierung wurde getroffen und was ist damit ausgeschlossen worden. Dies kann unter dem Gesichtspunkt der Sünde betrachtet werden, d.h. warum hast du dies und nicht jenes getan? Die Sünde zeigt aber auch, dass immer ein Wechsel der Grenze, eine μετάνοια, möglich ist. Das christliche Konzept der Sünde ist damit eine sehr gute Anwendung eines Formenkalküls, allerdings ist die Sünde sozusagen nur ein Anwendungsfall dafür und so zeigt etwa der Buddhismus, dass er die gleiche Funktion in seinem Mittelpunkt stehen hat, ohne aber eigentlich den Begriff der Sünde zu kennen.
Die Sünde ist damit aus christlicher Perspektive eine sehr gut ausgearbeitete und gelebte Praxis, aber der eigentlich Punkt, der sich hierin zeigt, erschöpft sich sicher nicht in der Sündenbetrachtung. Gerade weil die Betrachtung der Sünde rein geschichtlich sehr viele Irrwege beschritten hat und deswegen heute weitgehend nicht mehr Anschlussfähig ist (dies zeigt sich allein daran, dass Gesprächstherapie aber ein so viel umfassenderes Instrument wie die Beichte so wie gar nicht mehr genutzt wird), soll dies hier nur als ein Anwendungsbeispiel für ein allgemeineres Motiv verwendet werden.
Das Licht zeigt damit nicht nur, welche guten Möglichkeiten der Mensch auch hätte und motiviert ihn, diese entsprechend zu verwirklichen und damit das Sündendasein immer mehr zu verlassen. Nein, hier etwas viel umfassenderes mit gemeint. Es geht darum, dass immer etas ausgeschlossen wird, was mal besser oder schlechter sein kann, aber wohl meist auch einfach nur gleichwertig und anders ist. Aber auch wenn dies ausgeschlossen wurde (egal ob bewusst oder unbewusst), so gehört und definiert es den Menschen und bleibt in vielerlei Hinsicht als Möglichkeit auch weiterhin zugänglich. Aber auch darüber geht dieses Konzept noch hinaus, so dass es auch die Abgrenzung des jeweiligen Menschen im ganzen Kosmos bedeutet - und durch das Licht wieder bewusst und zugänglich gemacht wird. So dass jeder Mensch sich in seinen sozialen Interaktionen abgrenzt, in seiner Funktion, Rolle, Selbstbildet etc. (Geser 1980; Kieserling 1999) und auch in den weiteren Bezügen in denen er steht, in denen er sich zuzählt oder abgrenzt. Aber egal ob es jetzt Identifikation oder Abgrenzung ist, beides gehört zu einem selber, definiert jemanden und ist auch ständig in Bewegung. So kann ich mich als Vater von der Tochter abgrenzen, indem ich etwa Erziehungsaufgabe wahrnehmen für die Tochter übernehmen und nicht die Tochter für den Vater (obwohl es sicher auch eine gut gehütete Illusion ist, dass dies nur einseitig geschieht). Gleichwohl sind Vater und Tochter „identisch“, wenn sie etwa als Familie irgendwo auftreten.
Das Licht macht hier also die andere Seite wieder sichtbar und lässt erkennen wie sie weiterhin konstitutiv ist. Zwar macht dies eine systemtheoretische Gesellschaftsanalyse beispielsweise auch in Bezug auf soziale Systeme, Religion allerdings treibt dies konsequent zu Ende, so dass am Ende nicht nur der unmarked state steht, sondern der unmarked space, was letztlich nur noch Gott ist. In Gott läuft dagegen alles zusammen oder wird vielmehr sichtbar, was immer schon so gegeben ist: das alles miteinander verbunden ist, wie dies etwa durch die Bezeichnung Schwester und Brüder markiert wird oder wie es das Avatamsaka-Sutra im Netz der Indra darstellt.
Im nächsten Vers wird nicht nur gesagt, dass Gott und der Logos den ganzen Kosmos geschaffen haben, aber dann sich dieses Schauspiel bestenfalls noch anschauen. Nein, sondern er ist auch im Kosmos. In der Regel wird dies übersetzt, dass er in der Welt „war“. Dies ist aus der Perspektive übersetzt, dass der Logos einmal als Jesus in die Welt hineingeboren worden ist. So festgelegt ist dies aber weder vom griechischen Text noch vom Kontext. Bezieht man dies nur auf den Logos als Prinzip, so war dies durch Jesus, als demjenigen, der dies bis ins letzte gelebt hat, einmal in der Welt, aber als Prinzip bleibt es in der Welt. In jedem Menschen und in jeder Situation ist das Kreuzen im Sinne von Spencer Brown möglich. Somit ist die Welt durch den Logos geschaffen, aber der Logos bleibt in dieser Welt immer greifbar - er bleibt greifbar, aber er wird nur von wenigen ergriffen.
Denn meist ist die Welt nur die markierte Seite oder das Seiende im Verständnis von Heidegger. Die Unterscheidung selber respektive das Sein wird dagegen in der Regel nicht gesehen. Und dies ist eigentlich das Eigenste, da es das ist, was uns im Innersten definiert und was aber so oft unser „blinder Fleck“ bleibt. In diesen blinden Fleck leuchtet dann das Licht. So das Augustinus bekennen kann, „doch du warst innerlicher als mein Innerstes und überragtest meine höchste Höhe.“ (Augustinus 2003: 78)
Wenn man allerdings sich auf dieses Licht einlässt, dann schenkt Gott denjenigen die Kraft Kinder Gottes zu werden. Allerdings bedeutet dies erst die Bereitschaft alles aufgeben zu wollen, was einem gehört, was man ist, etc., weil alle Grenzen gekreuzt werden können. Es gibt nur noch Gott, dies ist der einzige Name noch, die einzige Grenze die es dann noch gibt, darin geht alles auf. Kinder Gottes sind damit keine besonders gut von ihm behütete Spezies, wie man am Leben von Johannes des Täufers sehen kann und es ist unwahrscheinlich dass ihm im Bilanz im Himmel im Vergleich zu irgendweinem Bonzen aufgefüllt wird. Sondern Johannes ist nur noch bei Gott und dort wird es nicht mehr Johannes geben, dort wird es nur noch einen Namen geben: SEINEN Namen! Und sonst wird da nichts sein.
Diese Kraft zur Kindschaft hat man aber nicht schon einfach so im Blut oder erlangt sie durch Willenskraft, sondern dadurch, dass man sich ganz auf Gott einlässt. Und der Täufer ist eines der prägnantesten Beispiele für dieses sich auf Gott einlassen. Denn er ist wie das Alte Testament ein Vorläufer, der Jesus Christus den Weg vorbereitet. Denn sie teilen beide das „Ich bin es nicht…“! „ Es ist so sehr das ‚Nicht‘ des Einen blinden Glaubens, indem alles im alten Bund steht […] es ist das ‚Ihn nicht wissen‘, darin der echte Alte Bund, im Symbol des Täufers, sich ins Letzte ‚verringern‘ läßt, daß Er, der Eine Einzige, ‚wachse und wachse‘ (3; 30), - ins ‚alles in allem Christus‘ (Klo 3; 11)“ (Przywara 1954: 48f.).
Das „Ich bin es nicht…“ steht damit im Gegensatz zum „εγώ έιμι“ von Jesus was eine Weiterführung des „᾿Εγώ εἰμι ὁ ὤν“, das Gott zu Moses spricht (Ex 3, 14). Das Sein liegt damit nur bei Gott und Jesus und selbst der größte unter den Menschen, nämlich Johannes, ist selber nichts. Johannes Größe besteht genau darin, dies radikal erkannt zu haben.
1, 19-23
Und dies ist das Zeugnis von Johannes selbst, abgesandt haben die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm, um ihn zu fragen: Wer bist du? / Und er gab zu und leugnete nicht: Ich bin nicht der Christus! / Da fragten sie ihn: Aber wer dann? Bist du Elias? Und er sagte: Nicht ich bin (es)! Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein./ Also sprachen sie zu ihm: Wer bist du also? Wir müssen antworten denen, die uns geschickt haben. Was sagst du selbst über dich? /
Er sprach:
„Durch mich braust die Stimme der Wüste in euch hinein
bereitend seinen Weg“
wie Jesaja der Prophet gesprochen hat.
Johannes gibt also erstmal gar keine positive Antwort, was oder wer er selbst ist. Er nimmt eher als Person etwas an und ist Disposition: ein freischwingendes Pendel, dass sich selbst an nichts bindet, außer dass es allein an Gott über dem Abgrund frei schwebt. Auch im weiteren verwendet er lediglich ein Zitat, um zu beschreiben wer er ist. Also auch da hat jemand anderes gesetzt, was er ist. In diesem Sinne sagt er auch ουκ έιμι, anstatt wie Jesus εγώ έιμι.
Aber die geschickten Juden haben selber auch gar keine Interesse zu „erfahren“, wer Johannes ist, sie wollen nur eine Information einholen und diese weitergeben.
In dem Jesaja-Zitat womit Johannes sein Selbstverständnis ausdrückt, geht es bei φωνή nicht um eine semantische Äußerung, sondern um Kundgabe einer Grundbefindlichkeit des ganzen Lebens, als Schrei, Seufzer etc. (ebenso wie weiter oben das Kreischen), aber auch hier ist Johannes nur ein Durchgang, durch den dieser Wind hindurchweht. Dies ist die Aufgabe von Johannes: und Aufgabe kann hier zweideutig gelesen werden, so dass Aufgabe auch hingeben und Übergabe des Eigenen ist und damit nur den Durchgang für jemand anderen ermöglicht und vorbereitet.
Hier passt auch, dass Johannes der Täufer der Patron der Alkoholiker ist, denn es geht in beiden Fällen um Kapitulation. Es geht um die Aufgabe der Vorstellung, dass man selber etwas alleine bewirken kann. Erst indem man sich aufgibt, sich in die Ohnmacht freigibt, wird paradoxerweise nicht die Sucht stärker, sondern man erhält Freiheit geschenkt. Denn eigentlich ist der Alkohol nichts Fremdes, dass einen von außen leitet, sondern der Alkohol (oder auch jede andere Droge oder Abhängigkeit) ist das eigene Ich - und gerade deswegen ist die Sucht immer stärker als man selbst, weil sie einem immer ein Schritt voraus ist, weil sie jeden Gedanken schon kennt und ihn direkt in die Sucht wendet. Kämpfe ich stärker, wird die Sucht stärker. Gebe ich auf, gebe ich in einem ganz grundsätzlichen Sinn mein Ich auf, und werde zu jemanden, der aus einem Geschenk heraus leben darf. Freiheit ist damit nicht, dass man tun kann, was man will, sondern die Öffnung für das, was einem geschenkt wird.
Auch die Wüste steht für die ohnmächtige Leere, in der es nichts zu fassen gibt und in der es keine Orientierung gibt und nichts was man tun kann, sondern sich einfach nur überlassen kann, sich von einem Führer leiten lässt und vom Wetter beschenkt wird, was übermächtig über einem jeder Zeit hereinbrechen kann. Und dieses Bild von der Wüste zeigt sehr deutlich die Grundbefindlichkeit von Johannes, der einsam in der Wüste ist und sich dennoch durch den Herrn so geborgen und behütet fühlt (siehe hierfür auch Psalm 4). Und die Gewalt und Unvorhersehbarkeit der Wüste ist ein sehr beeindruckendes Bild für den Gott, der für Johannes die Aufgabe bedeutet.
1, 24-28
Und die abgesandt waren von den Pharisäern,/ fragten ihn und sprachen zu ihm: Und warum taufst du dann, wenn du weder Christus, noch Elias, noch ein Prophet bist? Johannes erwiderte und sprach: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch ist einer, den ihr nicht kennt,/ der in meinem Rücken geht (strömt), und mir kommt es nicht zu, mich von seinen Zügel zu lösen./ Dies geschah in Bethanien jenseits des Jordans, wo Johannes taufte.
Johannes hat eher eine Ahnung oder besser Witterung als Worte und Wissen für das, was er verkündet. Wie ein Blinder, der von den Juden aufgefordert wird, die Farbe eines Gegenstandes zu ertasten. Er kann zwar die Farbe nicht ertasten und damit auch nicht die Fragen der Juden beantworten, aber er ertastet diesen Gegenstand… und er ist sich dieser Präsenz des Gegenstandes so sicher, und angesichts dieser Präsenz ist es ihm eigentlich egal welche Farbe der Gegenstand hat. Er ist einfach da… und dies ist Johannes Trost genug und alles was er wissen muss.
Und er kann diese Barriere nie überwinden und er ist sich dessen bewusst. Aber er versucht es auch nicht. Er ist da und doch nicht beschreibbar in den alltäglichen Kategorien wie hier die Farbe. Die Juden wollen klare, definierte und feststehende Antworten. Johannes weiß, dass er diese nicht hat, sondern nur die Hoffnung und Ahnung davon, und die Gewissheit, dass er da ist. Und auch seine Stimme aus der Wüste und Leere hinein in den Alltag der Stadt ist nicht fassbar und verfliegt sofort - und wer hört überhaupt die Leere?
Jesus geht in seinem Rücken, d.h. aber dass Johannes Jesus gar nicht sieht, da er in seinem Rücken ist. Der ihm zwar den Rücken stärkt, aber indem Johannes vor ihm steht auch allen Widrigkeiten direkt ausgesetzt ist. Jesus ist in diesem Sinne kein Schutzschirm vor allem, sondern er stützt ihm immer den Rücken, so dass er nicht umfällt. Johannes bekommt durch Jesus Schutz kein cosy-rosy Leben, sondern im begegnen alle Gefahren und er hat sie auszuhalten. Aber Jesus ist immer stärkend nahe hinter ihm.
Aber Jesus stützt ihn nicht nur von hinten, sondern er strömt hinter ihm. Jesus ist die treibende, ruhige, aber gewaltige Kraft hinter Johannes, der dadurch wie durch einen mächtigen Fluss sich seinen Weg bahnt. Zwar steht Johannes vorne, aber der Weg wird durch Jesus treibende Kraft bestimmt.
In diesem Sinne soll hier auch ein Gleichnis anders verstanden werden. In der Regel ist immer von den Sandalen, die Johannes nicht wert ist aufzuschnallen, die Rede. Alle Erklärungen hierzu sind nicht besonders plausibel und bestenfalls dadaistischer Scheiß. Aber das Wort „Sohle“ was hier eigentlich anstatt Sandale steht, kommt von „binden“ und „zügeln“. So dass man dies auch so verstehen kann, dass Johannes nicht gewillt ist, die Zügel, in die Jesus Johannes gespannt hat, indem er hinter ihm steht, nicht lösen darf. Johannes ist nichts, er dient Jesus und lässt sich so in die Zügel von Jesus nehmen und so lenken und nach vorne treiben.
Mit dem Jordan ist auch das Todesufer und die Grenze gemeint, d.h. Taufe ist auch immer die Grenze von Leben und Tod, Vergebung und Sünde und ein oszillieren zwischen diesen beiden Seiten.
1, 29-31
Am nächsten Tag erkennt er Jesus, der vor ihn tritt, und er sagt: Seht, das Lamm Gottes, das aufhebt die Sünden der Welt./ Dieser ist es über den ich gesprochen habe: Der in meinem Rücken geht (strömt), ist dieser Mann, der nun auch vor mir steht und der schon immer vor mir war./ Auch ich erkannte ihn nicht vollends, aber damit Israel klar sehe, bin ich gekommen, um mit Wasser zu taufen./
Passt hier nicht aufheben besser als hinwegnehmen? Es ist wörtlicher, aber auch inhaltlich besser: 1. Meine Sünden werden aufgelöst, 2. sie werden dafür in einen höheren Kontext (Gott) gehoben, 3. und dadurch ist es möglich befreit zu werden und sie dennoch aufzubewahren, da sie weiterhin zu mir gehören (denn Verletzungen, die ich jemanden zugefügt habe, können nicht durch jemand anderen verziehen werden und sie machen auch weiter mich in meinem Wesen aus und gerade Fehler prägen eine Persönlichkeit).
In der Begegnung mit Johannes wird jetzt quasi die Rück- und Vorderseite zusammengebunden. In der Regel ist Jesus die treibende Kraft hinter mir, die ich nicht sehe. Aber er ist immer auch schon die Richtung und das Ziel, was wir aber nicht sehen, sondern dies sind eher die Zügel, die uns lenken. Wir kommen immer bei ihm an, auch wenn wir dies nicht erwarten. Am Ende steht er immer da - und hebt unsere Sünden auf, die wir in Blindheit und Kraftlosigkeit begangen haben. Wenn wir uns denn tatsächlich auf dieses Ankommen einlassen (z.B. im Gebet).
Und Übersetzen hat durchaus auch Parallelen zum Beten, gerade wenn man die Sprache nicht so gut kann, wie ich. Und beim Beten kann man die Sprache nie gut, sondern man tastet sich immer nur langsam voran. Manchmal verschließt sich der Text und ein anderes Mal öffnet er sich und zeigt neue Perspektive, aber man kann es selber nicht steuern. Und umso schlechter ich den Text direkt wörtlich übersetze kann, desto mehr muss ich mich in den Text hineinlegen (im Sinne von Donald Davidson (2005: 89ff.)). Aber es ist die Balance von sich hineinlegen, aber nicht nur sich selbst in dem Text zu sehen, sondern sich dadurch immer wieder aufbrechen zu lassen. Übersetzen und Beten muss immer auch Metanoia sein, und eben nicht dass immer bei sich bleiben.
1, 32-38
Und Johannes bezeugte und sagte: So schaute ich den Geist herabkommen wie eine Taube aus den Himmeln und er blieb auf ihm./ Auch ich erkannte ihn nicht vollends, aber ich bin gesandt mit Wasser zu taufen, damit derjenige auf den der Geist hinabkommt und auf dem er bleibt, erkannt wird als der er ist: der mit dem Heiligen Geist tauft./ Auch habe ich gesehen, dass er der Sohn Gottes ist.
Am folgenden Tag kehrten dorthin zurück Johannes und zwei seiner Schüler./ Und zu Jesus schauend, der dort spazieren ging, murmelte er: Sieh, das Lamm Gottes./ Und seine beiden Schüler hörten ihn so daherreden und folgten Jesus. Als Jesus weiterzog und sich umsah zu dem ihm Folgenden, sprach er zu ihnen: Welchen sucht (vermisst) ihr?/ Sie sagten zu ihm: Rabbi - was übersetzt Lehrer bedeutet - wohin drängt es dich?
Johannes zeugt weiter für den Herrn. Auch ihm scheint in seiner Aufgabe noch nicht alles klar zu sein, auch ihm erschließt sich seine Sendung immer mehr auf seinem Pilgerweg. So dass er hier bezeugt, dass er Jesus bisher auch noch nicht voll erkannt hatte und dies jetzt erst weiter realisiert, wo der Geist auf Jesus herabkommt. Johannes hatte vielleicht einen Begriff vom Vater und von Jesus, aber jetzt tritt erst der Heilige Geist hinzu. Und durch dieses Hinzutreten, was nur ein Hinzutreten für Johannes ist, wird die Einheit der drei erst von Johannes wirklich realisiert: „Diese Bewegung der Drei zur Einheit ist unzeitlich und unteilbar, und doch werden die Drei schon immer aus der Einheit heraus zur Drei, und jede hat die Eigenschaften, die alle drei zusammen besitzen.“ (von Speyer 1949: 187)
Für Johannes entsteht hier erst die wirkliche Dynamik, indem diese Einheit der Drei die Gegensätze in Bewegung bringt und dies als das innere Wesen der Taufe gesehen wird. Zwar findet Taufe nur einmal im Leben statt, aber eigentlich stellt sie den Grundvollzug eine christlichen Lebens dar, da sie immer wieder im Kleinen aufs neue vollzogen wird: „das Sakrament der Initiation ins Christliche je immer neu: unter den äußeren Zeichen von Weggang, Untertauchen und Umkehrung die innere Gnade der Mitteilung des Dreipersönlichen Lebens. Feuer und Sturm, die solchem Weggang, Untertauchen und Umkehrung mächtig sind, werden darum zu Kennzeichen der Taufe Christi, in der Christus uns in seine Taufe mit-eintauft“ (Przywara 1939: 157).
Durch die Taufe ist man also nicht erlöst und alle Schuld ists für immer ausgelöscht, sondern man wird sozusagen auf den Weg gesetzt. Taufe ist damit Aufbruch, aber bei dem der Weg und das Ziel noch offen ist. Letztes Ziel ist immer Gott, aber der Weg und die Sendung dorthin ist immer anders. Die Taufe ermöglicht es dann, alle Pläne und Dogmatiken aufzugeben und sich allein auf die Dynamik von Vater, Sohn und Heiligen Geist einzulassen. Die Taufe schwingt und pendelt jeden Getauften auf diese ökonomische Trinität ein, zumindest eröffnet sie die Möglichkeit sich hierauf einzulassen.
„Die unrastige, je immer neu ausheimatende Bewegtheit von Weggang, Untertauchen und Umkehrung wird also dann zum bezeichnenden und erteilenden äußeren Zeichen (signum signans et conferens gratiam): bezeichnend die Bewegtheit des inngöttlichen Lebens, vom Vater zum Sohn zum Heiligen Geist zum Vater, und sie mitteilend: uns einbefassend in die circulatio, den ‚Kreislauf je jetzt‘, der Gott innerst ist (Thomas v. Aquin). […] Die Unendliche Bewegung des Ewigen Lebens (circulatio), als innere Gnade, offenbart Sich und teilt Sich mit in der ausheimatenden Ruhelosigkeit des je neuen Weggangs (partida) und Abschieds (despedido) und Von-weg-zu (desto… al) und Untertauchens (βαπτισμός) und Umgekehrtwerdens (μετάνοια). So ist es die Eine ‚kreisende Liebe‘ (Dionysios Areop.)“ (Przywara 1939: 157f.). Mit dieser angestoßenen Dynamik geht das Evangelium dann weiter zur Berufung der Schüler.
Die Schüler suchen bei jemandem Orientierung, der selber nur spazieren geht bzw. daherwandelt. D.h. der eigentlich ganz ohne Ziel ist. Vielmehr ist er offen für das was ihm begegnet. Dies steht im starken Kontrast, was man erwarten würde, im Sinne von festen Werten und Ausrichtung und klaren moralischen Ansagen (wie es dann die Kirche ja auch weitergeführt hat). Jesus scheint hier eine andere Grundhaltung zu haben. Und auch sonst spiegelt sich dies im Evangelium auch darin wieder, dass es zwar auf Jerusalem und seinen Tod zuläuft, aber nicht geradlinig, sondern eher ornamental umkreisend und sich langsam darauf zu bewegend. Und selbst die letzten Stunden sind kein gerader Weg zum Kreuz, sondern ein hin und her geschubst und gestoßen werden.
Johannes ruft bei der Begegnung mit Jesus gar nicht laut aus: Seht alle her, dies ist das Lamm Gottes! Es ist gar keine Proklamation und auch keine missionarische Absicht, die hinter diesem Ausspruch steht. Er schaut genauso ziellos, offen und verträumt auf den spazierenden Jesus und stellt ohne Intention aus seiner eigenen Mitte hervor für sich selber fest und deswegen nur murmelnd: Siehe, das Lamm Gottes. Es ist als ob er erst jetzt langsam realisiert, wer Jesus ist, da im Absatz vorher noch gesagt wird „er erkannte ihn nicht vollends“.
Und genau dies überzeugt die Schüler, da niemand hier versucht sie mit irgend welchen Lehrinhalten zu belehren und zu überzeugen und zu sagen, was richtig ist: sondern indem Johannes dies für sich realisiert, ganz tief aus seinem Wesen heraus und dies vielleicht noch nicht einmal in Worte fassen kann, was gerade in diesem Augenblick in ihm passiert, dies macht aus dem Lehrer Johannes den Bekenner und den Zeugen (Märtyrer). Die einzige Lehre die Johannes hat, ist, dass er durch Jesus verwandelt wurde (der Zen-Meister würde vielleicht sagen, Kensho erlangt hat).
Und oft hat man das Gefühl, dass Kirche hieraus eben genau nicht lebt. Man hört so oft die Sätze: Gott ist in Jesus Mensch geworden und er ist für uns gestorben und auferstanden. Und man hat diese Sätze schon tausend Mal gehört und meistens nur dahingeplappert. Sicherlich verbindet der eine und andere mit diesen Sätzen eine ähnliche Erfahrung wie hier Johannes. Vermittelt wird diese aber in dieser Form nicht, sondern es sind nur noch Lehrsätze übrig geblieben, die dann eben genau nicht auf diesen Weg führen. Vielleicht sollte man vom Judentum lernen: Sie pflegen die Ehrfurcht und Scheu vor dem Gottesnamen und vermeiden diesen auszusprechen. Vielleicht sollten die Christen es ähnlich mit ihrem Magnum Mysterium halten. Man spricht nur selten und auch nur dann davon, wenn es gerade einem im Tiefsten anrührt dieses Geheimnis… denn es muss und bleibt ein Geheimnis. Und Geheimnisse flüstert man nur und auch nur jedem einzeln. Verkündet man es dagegen auf einem Marktplatz oder eben auch von der Kanzel ist das Geheimnis tot.
Aber es gehören immer beide Seiten zusammen, so dass es für Jesus die Zeit des Spazierens gibt und dann aber auch die Zeit des strategischen „Weiterziehens“ (genauso Zeiten des Betens und Alleinseins und des Handelns und Lehrens). Jesus nimmt sozusagen seine Sendung auf, um seine Jünger zu berufen.
Sie folgen Jesus nicht zu einem konkreten Zweck. Auch Johannes hat sie nicht direkt aufgefordert dazu. Sie spüren in sich vielmehr die leere Mitte, aus der Johannes sprach, eine Art Sehnsucht aus der Leere heraus, ein Teil, der in einem fehlt, der aber zu einem gehört (wie die Sehnsucht der Kugelmenschen bei Platon (Symposion 189d-193), allerdings mit der Hinausführung über eine menschliche Liebesbeziehung hinaus, die aber der Anstoß sein kann vom έρως zur αγάπη zu Gott zu kommen).
Johannes hat seine Aufgabe schon gefunden in der Wegbereitung zu Jesus, indem er hier den beiden Schülern gerade diese sehnsuchtsvolle Mitte in sich und ihnen erschließt - so werden sie von Schülern zu Nachfolgern Jesus (ακολύτη). Sie suchen schon keine konkrete Lehre mehr als Schüler, sondern sie spüren in sich die Sehnsucht der Nachfolge, auch wenn sie ihn weiterhin als gewöhnlichen Lehrer ansprechen. Und auch wenn der Funke der Nachfolge in ihnen entfacht worden ist, ist damit nicht schon alles abgeschlossen, sondern sie machen sich erst in der Nachfolge auf den Pilgerweg und da bleiben wie weiter Schüler, die immer neu und weiter zu lernen haben.
1, 39-51
Er sagte: Kommt näher und seht! Sie gingen mit ihm und erkannten so, wohin es ihn drängte. Und sie blieben diesen Tag bei ihm, es war um die zehnte Stunde./ Andreas, der Bruder von Simon Petrus, war einer der beiden, die Johannes gehört hatten und dann selbst nachgefolgt sind./ Er fand zuerst seinen eigenen Bruder Simon und sagt zu ihm: Gefunden haben wir den Messias: übersetzt der Christus. Er führte ihn zu Jesus./ Jesus blickte ihn an und sagt zu ihm: Du bist Simon, der Sohn des Johannes: Du sollst Kephas genannt werden - worunter man Petrus (Stein bzw. Felsbrocken) versteht.“
Am folgenden Tag wollte er nach Galiläa aufbrechen und dabei traf er auf Phillipos. Und Jesus sprach zu ihm: Folge mir!/ Aber Phillipos stammte aus Bethsaida, dem Heimatort von Andreas und Petrus./ Und Phillipos erkannte Nathanel und sagte zu ihm: Bei Moses in den Gesetzen und bei den Propheten steht geschrieben: Erkannt haben wir Jesus, den Sohn Josephs aus Nazareth./ Und Nathanel erwiderte: Aus Nazareth - kann von dort etwas Gutes kommen? Und Phillipus sagte zu ihm: Komm und siehe!/ Jesus sah Nathanel zu ihm kommen und sagte zu ihm: Siehe, ein wahrer Israelit, an dem keine Verstellung ist./ Nathanel sagte zu ihm: Woher kennst du mich?/ Erwidernd sagte Jesus zu ihm: Bevor Phillipus dich ansprach, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen/ Nathanel erwiderte ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels./ Jesus erwiderte und sprach zu ihm: Weil ich zu dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe, glaubst du?! Größeres wirst du aber noch sehen!/ Und er sagte zu ihm: Amen, Amen, ich sage euch: Geöffnet seht ihr den Himmel und die Engel Gottes hinauf und hinabsteigen über dem Menschensohn.
Wohin es Jesus drängt, ist so gar nicht etwas, was man unter Wohnung versteht (vgl. Mt. 8,20; Lk 9,58). Eher passt Heimweh als etwas Drängendes (was auch besser zum Wortstamm hier passt). Aber dies nicht als schon definierter Ort, sondern Heimweh als Sehnsucht in die Heimat des Werdens des Reichs Gottes. Kommt deswegen zu mir und ihr werdet Sehende, d.h. ihr werdet zu denen, die das Reich Gottes suchen. Heimat liegt damit im Suchen und nicht im Finden von einem behaglichen Zuhause, es ist Aufbruch und Pilgerschaft und keine sesshafte Sicherheit. „Die Jünger wissen, indem sie so fragen, daß sie bereits gefunden haben. Denn Jesus macht ihnen mit seiner Frage deutlich, daß sie am Ziele sind. Wenn sie auf seine Fragen antworten sollten, müssten sie mit ihrem ganzen Leben antworten. Aber das ist mit Worten unmöglich [vgl. auch oben das Jesaja-Zitat]. Die Jünger stellen keinerlei Bedingungen: sie fragen nicht, was er mit ihnen vorhabe oder wohin er sie führe.“ (von Speyr 1949: 195f.)
In seiner Gegenwart und in seinem Tun erhalten sie eine Ahnung von dem, worum es eigentlich im Innersten geht. Es geht also so gar nicht um eine „Bleibe“, d.h. einen definierten Platz zum Ausruhen und Ankommen, was oft mit Religion verbunden wird. Jesus geht es um Aufbruch und um unendliche Sehnsucht.
Bei der Berufung von Petrus wiederholt sich in der Ansprache von Jesus das Du. Es ist gleichzeitig direkte Ansprache und die Einsetzung in ein Amt. Interessant ist, dass Petrus gebracht wird, die beiden anderen von Johannes aber aus eigener Initiative folgen. Nachfolge kommt also aus einem selbst, zum Amt wird man gebracht. Aber Jesus öffnet diesen „Gebrachten“, indem er ihn anblickt und ihn zweimal mit Du direkt anspricht. Dies gilt entsprechend auch für einen tradierten Glauben, indem man etwa aufwächst und sozialisiert ist - dieser Glaube ist zunächst einmal tot, zumindest nach der Pubertät. Er muss quasi sterben und durch ein persönlich angesprochenes „Du“ erst wieder „auferstehen“. So hat jemand diesen Sprung wohl nicht geschafft, der als Erwachsener Gott noch wie in Kindheitstagen als „Lieber Gott“ adressiert. Auch wenn dies eine sehr passende Anrede ist, so findet auf diese Weise irgendwann nicht mehr eine persönliche Aneignung und Ansprache statt, sondern der Glaube ist reine Folklore geworden.
Der Aufbruch „Komm und siehe!“ ist dann ein Aufbruch, für den kein Ziel genannt wird, er ist reine Nachfolge. Und dieser Aufbruch kommt aus der eigenen Tiefe. Dies überzeugt letztlich und nicht die Tradition, etwa dass der Messias nicht aus Galiläa, sondern aus Judäa kommen soll (wie der Einwand des wahrhaften Israeliten). Es ist ein freies Anhangen an ihm in der Nachfolge, dass sich nur auf dessen Vertrauen auf die Person Jesus verlassen kann und auf keine Gewissheiten, die sich aus der Tradition oder Schrift ergeben, diese sind wichtige Hinweise und Hilfsmittel, aber nie endgültig. Verabsolutiert man diese Hinführungen und Hilfen, so ist keine Nachfolge möglich, weil nur noch das Mittel und nicht der letzte Zweck im Blick ist. So ist ein moralisches und tugendhaftes Leben sicher hilfreich in der Nachfolge, bleibt es aber nur Moral und Tugend, ist es allerdings nichts, da das Feuer der Nachfolge fehlt, das wirkliche Ergriffensein ist nicht da. Und dieses Ergriffensein kann letztlich überall keimen, im moralischen Leben aber auch beim Alkoholiker oder der jungen Frau auf einer Rave-Party.
Nathanel ist ohne Verstellung, er gibt sich Jesus gegenüber offen, aber auch kritisch. Zunächst erwidert er gegenüber Jesus den Einwand der Schriftgelehrten, lässt sich aber dann durch die direkten Begegnung mit Jesus aufschließen. Und in dieser Hinsicht ist er ein wahrer Nachfolger Jesus. Jemand mit reinem Herzen, d.h. nicht jemand ohne Sünde und ohne Vergangenheit und falschen bzw. festgefahrenen Vorstellungen, aber jemand, der nichts an sich versteckt und sich ganz von Jesus annehmen lässt.
Jesus kennt jeden schon, bevor er zu ihm kommt. Und er kennt ihn durch und durch, mit allen seinen Fehlern, mit seinem Kummer und mit all seinen Sünden. Er ist vor ihm aufgedeckt, d.h. er kann und braucht sich auch nicht mehr verstecken. Darauf verweist der Feigenbaum, der im Judentum auch für den Baum der Erkenntnis und der Sünde bei Adam und Eva steht. Dies ist der Grund warum Nathanel auf einmal glaubt und Jesus nachfolgt: er fühlt sich restlos erkannt und angenommen, so wie er ist. Und diese Erkenntnis ist von so einer unglaublichen Banalität und doch von einer solchen Tiefe. Denn in der Regel ist genau dies unerreichbar: denn wir alle spielen Theater im sozialen Umgang und wir verdrängen für uns selbst so Vieles, was nicht zu unserem Selbstbild passt oder wovon wir wissen, dass wir es alleine für uns nicht tragen können (etwa Traumata). Vor Jesus stehen wir einfach nackt und er findet uns genau so schön (wie eine Rückkehr ins Paradies), ohne die ganze fremde Verkleidung (ich ziehe den alten Menschen aus, und ziehe Jesus an (Eph, 4)).
Vielleicht geht es bei dem „Größeren“ auch gar nicht um Wunder im Gegensatz zu jemand, der allein auf Grund der Worte glaubt (wie bei Thomas). Sondern dass Jesus die Menschen einfach nur ganz sieht, mit all ihren Schattenseiten und mit allem was sie von sich Ausgeschlossen haben, aber was in sie hineinwirkt. Denn er macht noch etwas viel Größeres als sie anzuschauen: er heilt sie! Er heilt alle Fehler, alle Brüche, alle Schmerzen etc., indem er sie annimmt und aufhebt. Und dies weil er sie mitträgt, da er ermöglicht dort hinzuschauen, wo ich meist wegschaue und ich gemeinsam mit ihm hinschaue und ich ihn an meiner Seite weiß und gesichert bin, denn letztlich vertraue ich darauf, dass er alles neu machen wird (Apk 21, 5). Aber neu ist kein Reset, sondern der Blick auf das, was ist. Und dass es so wie es ist, gut ist.
In der Genesis schaut Gott auch auf die einzelnen Schritte seiner Schöpfung und von der Scheidung des Trockenen und des Wassers bis hin zur Schöpfung der Tiere, fügt er an, dass es gut war (Gen 1, 12-25). Bei der Schöpfung des Menschen fehlt dies, auf diesen konkreten Schritt bezogen, sondern wir bilanzierend auf alle Schritte bezogen: „Und Gott schaute alles, was er geschaffen hatte, für ihn war es sehr gut.“ (Gen 1, 31) Man könnte hierin auch einen Hinweis sehen, dass allem außer dem Menschen, dass Gute von Beginn an gegeben ist, indem sie sich entsprechend ihrer Art und Instinkt verhalten und somit auch nichts Böses tun können. Nur dem Menschen ist das Gute nicht unmittelbar gegeben, sondern er muss es erlangen. Aber der Mensch hat dann dadurch, dass ihm die ganze Schöpfung in Obhut gegeben ist, die Möglichkeit sich selbst und die Schöpfung sogar noch zu steigern und sehr gut zu machen.
Jesus Verweis auf das Größere ist dann, dass sie den Himmel geöffnet sehen. Aber sehen sie dies tatsächlich jetzt oder ist es ein Versprechen, dass sie dies in der Zukunft sehen? Vielleicht ist diese Doppeldeutigkeit ja etwas, was auf das Wesentliche zielt. Wer hören kann, wird die Wahrheit hören und wer sehen kann, wird jetzt schon sehen, dass in Jesus der Himmel jetzt schon geöffnet ist. Für jeden der nicht sehen kann, wird dieser erst in der Zukunft geöffnet sein - aber der Himmel ist in jedem Moment zugänglich. Sie sehen den geöffneten Himmel tatsächlich in Jesus, ohne es wahr haben zu wollen oder zu verstehen! Aber macht Glaube nicht auch gerade diese Unbestimmtheit aus? Ich glaube, dass der Himmel und Gott für mich jetzt offen ist, jetzt in meiner konkreten, alltäglichen Situation und nicht erst am Ende der Zeiten - und doch sehe ich dies oft nicht, weil ich mich eben immer verschließe. Ich bin verschlossen, nicht der Himmel. Und Glaube wird immer dieses Oszillieren zwischen Nähe und Distanz - und somit liegt die Parusieverzögerung lediglich bei jedem einzeln selbst und in jedem Augenblick.
Und der Bezug zur Jakobsleiter zeigt zum einen, dass Jesus selbst Bethel, der Ort der Offenbarung, ist. Aber vielleicht verweist diese Stelle auch auf den Verlauf des Glaubens. Bisher waren den Bekehrungen ohne Hindernisse für Jesus gewesen. Jakob musste aber kämpfen und viele andere auch.
Aber was bedeutet es, dass die Engel über ihm auf und absteigen? Vielleicht im Sinne von „durch“ den Menschensohn? Der Himmel ist geöffnet nur indem ich durch Jesus hindurchgehe? Aber die Leiter ist ein sehr starkes Bild. Ich hatte persönlich immer die Assoziation von einem Regenbogen hierbei: bunt und vielfältig, strahlend aus der Dunkelheit und Ungemütlichkeit nach einem gewaltigen Gewitter. Und ganz nah und fern zugleich, er reicht ganz weit in die Ferne und den Himmel und gleichzeitig versenkt er sich tief in die Erde. Der Regenbogen ist damit wie das Leben: aus dem Verborgenden kommend, ins Verborgenden gehend… und dazwischen bunt leuchtend wie tanzende Menschenflöckchen beim ersten Schneefall. Und so schön der Regenbogen auch ist, er wird nie greifbar und lässt sich nicht aufbewahren und er entschwindet jedes Mal, wenn man versucht sich ihm auf diese Weise zu nähern, wie der Horizont. Und vielleicht ist er gerade deswegen so schön.