Kapitel 6
Danach ging Jesus zum See von Galiläa, den bei Tiberias./ Es folgten ihm viele Leute, weil sie die Zeichen gesehen hatten, die er bei den Kranken gewirkt./ Jesus ging mit seinen Schülern den Berg hinauf./ Das Pascha war nah, das Fest der Juden./
Als Jesus aufstand und sah, wie viele Leute im gefolgt waren, spricht er zu Philippus: Wo sollen wir Brote kaufen, das sie zu Essen haben?/ Er sagte dies, um ihn herauszufordern. Denn er selbst wusste schon, was er zu tun hatte. Ihm erwiderte Philippus: 200 Denare für Brot ist nicht ausreichend, damit jeder auch nur ein kleines Stück abbekommt./ Da sprach einer seiner Schüler zu ihm, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:/ Ein Junge ist hier, der hat fünf Brot aus Gerste und zwei Sachen zur Beilage, aber was ist das schon für so viele?/ Jesus sprach: Veranlasst, dass die Menschen sich niederlassen. Denn es war viel Gras dort an diesem Ort. Sie ließen sich nieder, Männer, fünftausend an der Zahl.
Jesus nahm die Brote, dankte, und gab sie den Liegenden und genauso machte er es mit der Beikost, und dies so viel jeder wollte./ Als sie satt waren, sprach er zu seinen Schülern: Sammelt alle restlichen Stücke ein, so das nichts vergessen werde./ Sie sammelten die Stücke auf, benötigten zwölf Körben, für die fünf Broten aus Gerste, die nicht gegessen wurden./ Als die Menschen sahen, welches Zeichen er gewirkt hatte, sagten sie: Das er in Wahrheit der Prophet ist, der in die Welt kommen soll./ Da Jesus aber wußte, dass sie ihn nun packen und zum König machen wollten, zog er sich wieder auf den Berg zurück - allein!
Als es Abend wurde, stiegen die Schüler selbst zum See herunter/ und in ein Boot, um nach über den See nach Kafarnaum zu fahren. Und dunkel ist es schon geworden, aber Jesus ist noch nicht zu ihnen gekommen,/ und der See tobte, weil ein gewaltiger Sturm wütete./ Als sie nun 25 oder 30 Stadien gefahren sind, erblicken sie wie Jesus über den See schreitet und sich dem Boot nähert./ Dann sprach er zu ihnen: Ich bin (es/da)! Fürchtet euch nicht! Da wollten sie ihn ins Boot aufnehmen, und sogleich war das Boot an Land, wohin sie wollten.
Am folgenden Tag sehen die Leute, von der anderen Seite des Sees, das kein anderes Boot da war, als eben dieses eine, in das Jesus nicht zusammen mit den Schülern eingestiegen war, sondern womit die Schüler alleine aufgebrochen waren./ Andere Boote kamen nach Tiberias, von dem Ort wo sie das Brot gegessen hatten und der Herr dafür gedankt hatte./ Denn die Leute hatten weder Jesus noch seine Schüler gefunden und sind deshalb in die Boote gestiegen, um in Kafernaum Jesus zu suchen./ Und als sie ihn auf der anderen Seite des Sees fanden, sprachen sie zu ihm: Rabbi, wann bist du hierher gekommen?/ Erwidernd sprach Jesus zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, ihr sucht nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr vom Brot gegessen habt und satt geworden seid./ Müht euch nicht um die Nahrung, die immer wieder vergeht, sondern um die Nahrung die unendliches Leben gibt, und dies gibt euch der Menschensohn. Denn dies ist besiegelt durch Gott./ Sie erwiderten ihm: Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werk lebendig machen?/ Erwidernd sprach Jesus zu ihnen: Die Werke Gottes sind da, wenn ihr an den glaubt, den er geschickt hat.
Sie sprachen zu ihm: Was für Zeichen machst du denn, damit wir sehen und an dich glauben können? Was erschaffst du? Unsere Väter aßen Mana in der Wüste, so wie es geschrieben steht, ‚Dort aus den Himmeln gab er ihnen zu essen. Da sprach Jesus zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, nciht Moses gibt euch das Brot aus den Himmeln’, sondern mein Vater gibt auch das wahre Brot der Himmeln. Denn das Brot Gottes ist der, der aus den Himmeln herabgestiegen und der Welt das Leben gibt./ Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns immer dieses Brot./ Jesus sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten./
Doch ich sage euch: Obwohl ihr mich gesehen habt, glaubt ihr nicht!/ Jeder, den mir der Vater gegeben (zubestimmt) hat, nehme ich auf, und wer zu mir kommt, werde ich nicht zurückweisen. Denn ich bin nicht von den Himmeln herabgestiegen, damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen, der mich ausgesandt hat./ Dies ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, das Alle, die mir gegeben wurden nicht vergehen, sondern auferstehen am letzten Tag./ So ist aber der Wille meines Vaters, dass alle die den Sohn gesehen haben und an ihn glauben das ewige Leben haben und mit mir auferstehen am letzten Tag./
Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das von den Himmeln kam./ Außerdem sagten sie: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen, dass er aus den Himmeln herabgestiegen ist?/ Jesus antwortete und sprach: Murrt nicht gegeneinander. Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn führt./ Ihn lasse ich auferstehen am letzten Tag./ Es ist von den Propheten geschrieben: Alle werden sie von Gott belehrt und wer auf den Vater hört und so lernt, wird zu mir kommen./ Erblickt wird der Vater dabei nicht. Allein der, der durch Gott ist, erblickt den Vater./ Amen, Amen, ich sage euch, wer glaubt, hat unendliches Leben./ Ich bin das Brot des Lebens./ Eure Väter haben in der Wüste das Mana gegessen und sind gestorben. Dies hier ist aber das Brot, das von den Himmeln herabgestiegen ist, deswegen wird der, der hiervon sich nährt nicht sterben./ Ich bin dass Brot des Lebens, das von den Himmeln herabgestiegen ist. Wer von diesem Brot sich ernährt, wird leben auf Ewigkeit haben und das Brot, das ich gebe, es ist mein Fleisch gegeben für das Leben der Welt./
Es stritten sich aber die Juden untereinander und sagten: Wie kann er uns nur sein Fleisch zu essen geben?/ Jesus sprach zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohnes und nicht trinkt sein Blut, wird in euch kein Leben sein./ Wer mein Fleisch zu sich nimmt und mein Blut trinkt wird ewiges Leben haben und er wird auferstehen am letzten Tag./ Denn mein Fleisch ist wahre Nahrung und mein Blut ist wahres Getränk./ Wer zu sich nimmt mein Fleisch und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm./ Wie ich gesandt bin durch den lebendigen Vater und selber lebe aus dem Vater - und genauso wer mich zu sich nimmt, er wird leben aus mir./ Das Brot, dass aus den Himmeln herabgestiegen ist, ist nicht das, was die Väter gegessen haben und danach sind sie trotzdem gestorben. Denn wer dieses Brot zu sich nimmt, wird in der Ewigkeit leben./ Dies sprach er, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte./
Unter den Vielen, die zugehört hatten, waren auch seine Schüler, die sprachen: Schwer zu tragen ist sein Wort. Wer kann dies schon (an)hören? Jesus aber sah, dass es Gemurre unter seinen Schülern gab und er sprach zu ihnen: Darüber regt ihr euch schon auf?/ Was denn erst, wenn ihr seht, wie der Menschensohn aufsteigt, nach dort, wo er herkommt./ Der Geist ist das Lebendige, das Fleisch dagegen nichts. Selbst die Worte, die ich daherplaudere, Geist sind sie und Leben./ Aber es gibt unter euch welche, die nicht glauben. Denn Jesus wußte von Anfang an, dass nicht alle glaubten und auch was ihm aufgetragen wird./ Und er sprach: Deshalb habe ich auch dargelegt, dass keiner zu mir kommen kann, der mir nicht durch den Vater gegeben wurde./
Viele Schüler gingen daraufhin wieder zurück und brachen nicht wieder mit ihm auf./ Jesus sprach da zu den Zwölfen: Und? Wollt auch ihr nicht hinübergehen?/ Darauf erwiderte Simon Petrus: herr, wohin sollten wir gehen (uns auflösen)? Worte des ewigen Lebens hast nur du! Und wir zum Glauben und zur Einsicht gekommen, dass du der Heilige Gottes bist./ Jesus erwiderte darauf: Habe ich nicht selbst euch Zwölf ausgewählt? Und doch ist einer unter euch vom Teufel./ Dies war gesprochen über Judas, des Simon Iscariot, denn er werde ihn ausliefern und er war einer von den Zwölfen.
6,1-15
Danach ging Jesus zum See von Galiläa, den bei Tiberias./ Es folgten ihm viele Leute, weil sie die Zeichen gesehen hatten, die er bei den Kranken gewirkt./ Jesus ging mit seinen Schülern den Berg hinauf./ Das Pascha war nah, das Fest der Juden./
Als Jesus aufstand und sah, wie viele Leute im gefolgt waren, spricht er zu Philippus: Wo sollen wir Brote kaufen, das sie zu Essen haben?/ Er sagte dies, um ihn herauszufordern. Denn er selbst wusste schon, was er zu tun hatte. Ihm erwiderte Philippus: 200 Denare für Brot ist nicht ausreichend, damit jeder auch nur ein kleines Stück abbekommt./ Da sprach einer seiner Schüler zu ihm, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:/ Ein Junge ist hier, der hat fünf Brot aus Gerste und zwei Sachen zur Beilage, aber was ist das schon für so viele?/ Jesus sprach: Veranlasst, dass die Menschen sich niederlassen. Denn es war viel Gras dort an diesem Ort. Sie ließen sich nieder, Männer, fünftausend an der Zahl.
Jesus nahm die Brote, dankte, und gab sie den Liegenden und genauso machte er es mit der Beikost, und dies so viel jeder wollte./ Als sie satt waren, sprach er zu seinen Schülern: Sammelt alle restlichen Stücke ein, so das nichts vergessen werde./ Sie sammelten die Stücke auf, benötigten zwölf Körben, für die fünf Broten aus Gerste, die nicht gegessen wurden./ Als die Menschen sahen, welches Zeichen er gewirkt hatte, sagten sie: Das er in Wahrheit der Prophet ist, der in die Welt kommen soll./ Da Jesus aber wußte, dass sie ihn nun packen und zum König machen wollten, zog er sich wieder auf den Berg zurück - allein!
Jesus geht nun nach Tiberias zu einem See. Viele folgen ihm, aber nur weil sie gesehen haben, wie er Kranke geheilt hat. Sie folgen ihm allerdings nicht, weil sie auch alle krank sind und von Jesus geheilt werden möchten (denn dann wäre Jesus hartherzig, wenn er die Kranken sich hinter ihm sich herschleppen lässt). Vielmehr wollen sie einfach neue spektakuläre Wunder sehen - Jesus das frühe Netflix.
Jesus geht jetzt mit seinen Schülern auf den Berg, um zumindest sie zu lehren, worum es eigentlich geht. Als er von den Schülern aufschaut, sieht er die vielen Leute und sorgt sich auch um sie. Allerdings setzt er nun nicht an, sie zu lehren wie seine Schüler, sondern er bleibt auf ihrem „Niveau“ und sorgt sich nur um das basale Bedürfnis des Essens - und die implizite Lehre ist, dass sie sich keine Sorgen machen sollen. Gleichzeitig nutzt er dies, um seine Schüler weiter zu lehren. Aber die merken es nicht, sie erkennen nicht, dass selbst in jeder Alltagssituation sich dass Verhältnis zum Vater beweist und man schnell dabei ist, diesen vertrauensvollen Bezug zu verlieren. Für die Schüler gibt es einfach viel zu oft nur noch die Schwierigkeiten dieser Erde - der Vater im Himmel ist dagegen weit weg und vergessen.
Eigentlich ist die Situation der hungernden Menge weltlich hier nicht zu lösen, denn sie haben nicht genügend Geld, um für alle Brot zu kaufen und auch das was an Beikost da ist, reicht längst nicht für alle. Eigentlich kann man hier nur resignieren und verzweifeln. Und eigentlich sind die wirklich wichtigen Dinge in unserem Leben auch immer solche Aporien, die wir selber nicht lösen können, denn wie ich richtig leben und sterben kann, werde ich nie wissen… es sind immer nur vermutete Annäherungen, die manchmal gut, ein anderes mal weniger gut wahrgenommen werden. Und manchmal erscheint sogar etwas Schlechtes im Nachhinein als glückliche Fügung, weil es etwas Positives angestoßen hat - oder umgekehrt. Klarheit haben wir eigentlich nie, auch nicht im Rückblick (was schon Aristoteles mit der ευδαιμονία in der Nikomachischen Ethik wusste (Aristoteles 2002)).
Jesus zeigt seinen Schülern, dass sie falsch liegen, wenn sie sich hier blockieren lassen angesichts der Aporie. Klar scheint die Situation ausweglos und nach menschlichen Kräften nicht zu lösen. Aber Jesus geht es darum die Freiheit zu zeigen, die ein Mensch hat, der auf Gott vertraut. Denn er handelt einfach soweit er dies kann und verteilt einfach, das Wenige, was er hat - und bleibt nicht resigniert im Gras sitzen. Und genau dies ist das eigentlich Wunder: er tut einfach, was in seinen Kräften steht und lässt sich dabei nicht beirren. Was fehlt wird ihm einfach von oben hinzugegeben - aber dies ist eben nicht das Wunder, sondern nur die Zugabe, das Supplement zum Wunder was Jesus wirkt (oder jeder gibt dann doch noch das dazu, was er noch bei sich findet, denn sie werden nicht alle mit leeren Taschen losmarschiert sein).
Und dies aber nur, weil er vertraut auf den Vater und auch für sich und seine Schüler erstmal nichts zurückbehalten hat, sondern alles weggegeben hat. Erst wenn ich ganz leer bin, wird es von oben aufgefüllt. Wenn ich bis oben gefüllt bin, mit meinen Sorgen, Bedenken, aber auch mit meinem Ego und Selbstwirksamkeit gibt es keine Platz, wo der Vater etwas geben könnte. Und das Geben des Vaters ist die Überfülle, das Überbordende und Überlaufende… es ist die Fülle des Huayen-Sutra.
Vielleicht haben seine Schüler etwas hiervon nun begriffen, die Leute dagegen überhaupt nicht. Denn sie wollen ihn zum König machen, so dass sie jeden Tag von ihm ernährt werden und auf der Wiese liegen können… oder dies schnell ins Gegenteil kippen kann und sie ihn umbringen wollen. Das also eine „erneute Flucht des Herrn: nicht nur vor dem erstickendem Andrängen des Hauf (Mk 6, 31-33), sondern im Grauen vor dem treulos tückischen Raubtier im Menschen, der den Propheten als Sensation feiert, um ihn zuletzt zu zerreißen.“ (Przywara 1939: 251f.) Jesus ist der einzige, der wirklich vertrauend leer sein kann für den Vater… und zieht sich nun alleine auf den Berg zurück.
6, 16-21
Als es Abend wurde, stiegen die Schüler selbst zum See herunter/ und in ein Boot, um nach über den See nach Kafarnaum zu fahren. Und dunkel ist es schon geworden, aber Jesus ist noch nicht zu ihnen gekommen,/ und der See tobte, weil ein gewaltiger Sturm wütete./ Als sie nun 25 oder 30 Stadien gefahren sind, erblicken sie wie Jesus über den See schreitet und sich dem Boot nähert./ Dann sprach er zu ihnen: Ich bin (es/da)! Fürchtet euch nicht! Da wollten sie ihn ins Boot aufnehmen, und sogleich war das Boot an Land, wohin sie wollten.
Ohne Jesus, der weiterhin alleine auf dem Berg betet, steigen die Schüler nun irgendwann alleine zum See herunter und wollen weiter. Aber das nächste Ziel scheint auch mit Jesus abgesprochen, denn es ist kein Abschied, sondern sie gehen davon aus, dass er ebenfalls dort hinkommt. In dieser Hinsicht sind die Schüler schon autonom und hängen nicht auf jedem Schritt an dem Rockzipfel des Meisters.
Jesus schaut ihnen vermutlich vom Berg herunter nach. Sieht wie sie seine Lehre diskutieren, und dies eifrig und selbstbewusst. Vielleicht lächelt er etwas über sie, weil sie sich selber dabei so wichtig nehmen bei der Diskussion, aber doch noch so wenig verstanden haben. Es ist so wie wenn man Teenager beobachtet, die eine weltbekannte Sängerin werden wollen oder besprechen wie sie die ganze Welt verbessern wollen. Hierüber kann man lächeln, weil es in der Regel nicht dazu kommen wird, aber auch traurig sein, weil meist auch noch nicht einmal die geringste von diesen Ambitionen beibehalten wird. Die Mitte (mesotes) zwischen diesen bei Polen wird leider meistens verfehlt: Denn jeder Mensch wird mehr geliebt als jeder Superstar, von seinem Partner, von wirklichen Freundinnen, von seinen Eltern und von Gott (zumindest letzteres ist für jeden Menschen sicher).
So ähnlich sieht Jesus auf seine Jünger, die von der Βασιλεία Θεού sprechen und wer rechts neben Jesus sitzen mag… und sehen dabei nicht, dass sich ihr Glaube nicht im Himmel irgendwann entscheidet, sondern hier und jetzt. Denn es bricht hier in der Geschichte bereits der Abend an und die Dunkelheit zieht herauf. Kaum merklich verändert sich die eben noch so vertraute und sichere Umwelt. Eigentlich bleibt ja alles gleich, nur das Licht verschwindet. Und gegen dieses Aufziehen der Dunkelheit kann niemand etwas tun, der Abend zieht langsam und unaufhaltsam herauf… und dies jeden Tag aufs Neue.
Und nicht nur die Dunkelheit bedroht die Schüler, denn sie sind auch noch so mutig in ein Boot zu steigen, wo gleichzeitig doch ein Unwetter aufzieht. Eigentlich hat Jesus sich hier schon die richtigen Schüler ausgesucht. Denn sie hätte auch in Sicherheit bleiben können, erstmal auf dem Berg übernachten oder auch um den See drumherum gehen. Aber sie haben ein Ziel, was sie erreichen wollen. Und dafür nehmen sie Dunkelheit, den Abgrund des Wassers und selbst den Sturm in Kauf. Denn nur wenn man immer wieder den Tod miteinbezieht, kann man leben (vgl. auch das Gleichnis mit den Talenten (Mt 25, 14-30; Lk 19, 12-27). „So ist nun also die irdische Ebene das Auf und Nieder im Sturm, darin die Hölle gegen den Himmel tobt und finden der Himmle die Erde überläßt. ‚Geist‘ als ‚Sturm‘ (πνεύμα) erscheint voll enthüllt: im Gegenüber zwischen ‚Heiligem Geist‘ und ‚Unreinem Geist‘ (Mk 5,2).“ (Przywara 1939: 245)
Irgendwann erblicken sie dann auf einmal Jesus, der auf sie zukommt. Er spricht zu ihnen: εγώ έιμι. Was am einfachsten bedeuten kann: „Ich bin“ oder auch „Ich bin es, Jesus!“ Aber erkannt haben sie ihn ja offensichtlich, so dass er ihnen dies eigentlich nicht sagen muss. Und wem sollten sie dies sonst zutrauen über den See zu gehen als ihrem Meister, oder ggf. irgendwelchen Dämonen. Aber es ist auch eine griechische Anspielung auf den Gottesnamen im Dornenbusch: „Ich bin…“, der einfach da ist, der dir immer nah ist, egal wo und wann, der im tiefsten Wesen du selber bist und sich eben nicht von Dunkelheit, Abgrund und Sturm ablenken lässt. Der, der einfach ohne Furcht er selber ist, dass so wie er in Gottes Augen ist, als diese einzigartige einmalige Person, die durch keine Gefahr der Welt verändert werden kann… eben ein Superstar in Gottes Augen. Und dieser Superstar wird er immer bleiben, egal wie sehr er sich auch im Leben verirrt… er ist nur kein Superstar oder ein falscher Superstar, in dem er nicht er selber ist. Verstellt durch die eigene Furcht und daraus dann oft auch durch das eigene selbständige und eigenmächtige Ego und die Vorstellungen die man sich so von sich selbst macht.
Und dies ist dann auch der zweite Satz, den Jesus zu ihnen spricht: Fürchtet euch nicht. Obwohl zunächst unklar ist, wovor sie sich gerade fürchten. Denn aus der Geschichte geht erstmal nicht hervor, ob sie sich vor der Situation fürchten (das liest man eher aus der parallelen Geschichte der Synoptiker hier herein) oder ob sie sich nicht eher davor fürchten, das Jesus über das Wasser geht. Vermutlich kann man beides in unterschiedlichen Ausprägungen bei den Schülern annehmen. Und es gehört als Komplex auch zusammen, denn zum einen wird derjenige, der die Gefahr von außen als bedrohlicher wahrnimmt, Jesus umso bereitwilliger annehmen, egal in welcher Form er begegnet. Und auf der anderen Seite werden diejenige, die die ganze Situation als möglichst eigenmächtig handelbar ansehen, sich vor so etwas Unerwarteten fürchten, wie das Jesus übers Wasser geht, weil sie dies dann nüchtern-rational nicht mehr einordnen können, wie den stürmischen See und dass man irgendwann dann halt auch mal sterben muss.
Aber auch hier geht es um die μεσότης, die Mitte. Ich darf mich durch die Furcht, vor den äußeren Dingen nicht erdrücken lassen, denn ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hände. Aber ich darf auch nicht so nüchtern auf die Welt schauen, dass sie für mich nur noch rational und entzaubert ist (Weber 1994: 9). Ich muss Jesus auf mich zukommen lassen und vor ihm keine Angst haben: indem ich in Jesus wirklich meiner Angst offen begegnen kann, in ihm mitleidig werde mit dem vielen Leid der Welt, und dass ich mich von diesem Leid angehen lasse. Und dass ich mir in Jesus auch meinem eigenen Leid begegne, meinem Leid und Wunden, die ich erlitten habe und meiner Schuld, die ich zu tragen habe. Denn alles dies muss ich meistens ausblenden, um überhaupt im Alltag funktionieren zu können. Aber auch für mich alleine bin ich meist nicht in der Lage mir dies offen zugänglich zu machen: kann ich so manche Wund und Verletzung mir wirklich anschauen? Ist es nicht so schmerzhaft, das Wegschauen und Verdrängen nicht der richtige Weg ist? Muss ich mir Schuld, die ich bereue aber vielleicht nie mehr gut machen kann, mir wirklich anschauen? Sicher wird es die eigene gesellschaftliche Funktionalität einschränken, aber es wird auch ein authentischeres Leben, eben das eigene Leben und nicht nur das Gespenst was man meist ist, in dem man nur noch versucht gesellschaftliche Rollen möglichst gut auszufüllen.
Aber auch hier gilt die Mitte, da es nicht um eine mitleidige Nabelschau geht, sondern auch Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Authentisch geht dies aber nur, wenn ich mir auch meiner selbst bewusst werde (und nicht wie so mancher Sozialarbeiter, der hilft, um vor seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit wegzulaufen). In Jesus eröffnet sich mir die Möglichkeit meine μεσότης zwischen diesen beiden Polen, Verdränge und Präsenthalten, zu treffen. Und wenn ich bereit bin, Jesus so aufzunehmen, habe ich alles gewonnen - deswegen ist das Boot auf einmal so unvermittelt am Ziel.
Aber dieses Ziel ist kein sicherer Hafen. Denn der Vergleich zu den Synoptikern zeigt einen weiteren Aspekt auf, nämlich dass Petrus aufgefordert wird, über den See zu gehen. Denn sich auf Jesus einzulassen, bedeutet immer sich auf das Unvorhersehbare und das nicht Verstehbare einzulassen… einfach ihm glauben und vertrauen. Und dass es ein sich Fallenlassen in ein immer mehr und immer Größeres ist. Petrus wird aufgefordert selber über den See zu gehen, wo sein Glaube und Vertrauen nicht ausreicht. Bei Johannes fehlt dies, weil Johannes alles, was jetzt kommt, unter dieser Perspektive sieht. Der weitere Weg der Schüler mit Jesus birgt immer diese Szene: kann ich mich so in Vertrauen und Glauben auf Jesus einlassen, dass ich nicht untergehe?! Glaube ist auch immer Gefahr, wenn ich mich darauf wirklich einlasse. Es ist eben nicht das sitzenbleiben im mehr oder weniger sicheren Boot (der Gesellschaft), sondern es ist das - auf den ersten Blick so absolut absurde - Aussteigen aus dem Boot auf offenen Wasser. Dies ist so absolut hirnrissig! Aber darum geht es: sich ohne Sicherheit und rationale Gründe von einem Vertrauen auf jemand anderen tragen zu lassen.
Denn Jesus ist selber immer eine Gefahr, weil ich untergehen kann, wenn ich nicht fest genug glaube. Auch hier wieder μεσότης: zwischen dem liebenden Gott (der heute fast ausschließlich im Mittelpunkt steht) und dem gefährlichen und ehrfurchtgebietenden Gott (der als strafender Gott früher dominant war). Nur gehören beide Seiten zusammen. Nimmt man nur eine der Seiten heraus, egal welche dies jetzt ist, bleibt nur eine starre Götze übrig und kein dynamisches göttliches Feuer.
Damit geht es gar nicht so sehr um ein mäßigende Mitte, nicht um den wohltemperierten Schwiegersohn, der es allen recht macht. Es ist eine Mitte, die jegliches Maß sprengt: „Weil es um das Maß Gottes geht, ist aller Glauben, der noch mit den Maßen des Geschöpfes mißt, ‚Gering-Glauben‘ (Mt 8, 26) eines vom Unendlich des Maßes Gottes herunter-geringerten (nr. 279 [im Exerzitien Buch von Ignatius von Loyola]) Glaubens. Es ist der Glaube, wie er nicht erfordert ist durch ‚Heil der Seele‘ oder ‚religiöse Aktion‘, sondern durch die objektive Repärsentation der Unendlichkeit des grenzenlosen Gottes. Folgerichtig dazu ist de Sinn eines solchen Lebens auch in eben dieser Repräsentation. Das Warum des Hin- und Her-Geschleudert, wie es die beiden Seestürme (als Symbol für das ganze Leben) darstellen, liegt in der Darstellung Gottes, der ‚tötet und lebendige, abführt zur Unterwelt und zurückführt…, erniedrigt und erhöht“ (1 Sam 2, 6-7).“ (Przywara 1939: 259f.) Im Sturm wird damit kein Glaube getestet, der ein Ratgeber für ein erfolgreiches, angenehmes und auskömmliches Leben ist: sondern ein Glaube, der gänzlich in der Herrlichkeit Gottes aufgeht. In der die Gegensätze wie große Wogen ineinander zusammenbrechen, wo es kein oben und unten mehr gibt, keine menschlich-rationale Hoffnung mehr, sonder nur noch die Wucht und Herrlichkeit Gottes gespürt wird, die sich so deutlich im Dunklen und im Sturm zeigt, um sich dann aber auch wieder in der Stille zurückzuführen. Aber alles liegt nicht in der Verfügbarkeit des Menschen, er kann diesem nur nachspüren und sich in diese „Stimmung“ einfühlen: „Sehen also das Entschwinden aller Ufer und das Schwankend-werden alles Festen und Zuverlässigen in das Jähe des Sturms; sehen das Trügerischeren alles gewohnten Gesichtes und auch und gerade des Gesichtes Gottes Selber in spukend Gespenstersturm entfesselter Nacht; - und also gerade nicht nur sehend werden für das eigentliche unsichtbare Gesicht Gottes (als des Sturmes des Liebe), sondern selber endgesichtet werden aus allem eigenen Gesicht, das Gesicht Gottes zu werden als dieses Gottes des je neuen und je maßloseren und darum alles Gesicht sprengenden ‚Über-Hinaus’ (Eph 3, 19)“ (Przywara 1939: 260f.)
6, 22-29
Am folgenden Tag sehen die Leute, von der anderen Seite des Sees, das kein anderes Boot da war, als eben dieses eine, in das Jesus nicht zusammen mit den Schülern eingestiegen war, sondern womit die Schüler alleine aufgebrochen waren./ Andere Boote kamen nach Tiberias, von dem Ort wo sie das Brot gegessen hatten und der Herr dafür gedankt hatte./ Denn die Leute hatten weder Jesus noch seine Schüler gefunden und sind deshalb in die Boote gestiegen, um in Kafernaum Jesus zu suchen./ Und als sie ihn auf der anderen Seite des Sees fanden, sprachen sie zu ihm: Rabbi, wann bist du hierher gekommen?/ Erwidernd sprach Jesus zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, ihr sucht nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr vom Brot gegessen habt und satt geworden seid./ Müht euch nicht um die Nahrung, die immer wieder vergeht, sondern um die Nahrung die unendliches Leben gibt, und dies gibt euch der Menschensohn. Denn dies ist besiegelt durch Gott./ Sie erwiderten ihm: Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werk lebendig machen?/ Erwidernd sprach Jesus zu ihnen: Die Werke Gottes sind da, wenn ihr an den glaubt, den er geschickt hat.
Die Leute wundern sich, wo Jesus ist und folgen dem Boot seiner Schüler und finden dort auch Jesus, was sie noch mehr wundert, weil er nicht mit ihnen in das Boot gestiegen ist und fragen sich, auf welche Weise er dann so schnell ans andere Ufer gekommen sein kann. Sie sind auf der Suche nach Jesus, weil sie am Vortag durch sein Brot gesättigt worden sind und jetzt auch noch herausfinden wollen, wie er so schnell dort hingekommen ist. Jesus erkennt dies, dass sie keine wahren Nachfolger sind, da sie nur nach einer ähnlichen Sättigung wie durch das Brot im Stande sind zu suchen: sie suchen einen kurzen, berauschenden, beglückenden Moment, der ihnen geschenkt wird, wofür sie selber nicht viel tun müssen (außer das Brot zu nehmen und zu essen, aber eben nicht anbauen und backen müssen etc.)… und der Hunger kommt am nächsten Tag wieder. Jesus nachfolgen bedeutet aber, dass Gegenteil von dieser Nahrung: Nahrung, die auf ewig satt macht und die ich schon geschenkt bekommen habe, die ich nur im Glauben an Jesus lebendig zu machen brauche - aber dies ist dann eben doch Arbeit.
Die Leute, die Jesus ans andere Ufer nachjagen, sind ganz ähnlich wie die Fans von heute. Und interessant ist, dass heute Unternehmen ja auch damit werben, dass sie nicht Kunden, sondern Fans suchen. Funktionieren tut dies aber vor allem in der Musik oder beim Sport. Man kann dafür unsportlich auf der Couch sitzen oder ohne ein Musikinstrument zu üben, sich die Ohrstöpsel in die Ohren stecken. Man pilgert zu Sportereignissen und Konzerten… und dies von Tour zu Tour, von Spiel zu Spiel. Umso mehr man sich darauf einlässt, umso hungriger wird man. Das Richtige daran ist, dass man in dieser Euphorie und in diesem Aufgehen in der rezeptiven Teilnahme des Spiels, ein Gefühl erhält, dass man sich nicht selber geben und man sich auch als Ich hier einen kurzen Moment verlieren kann. Aber so schön dies auch sein kann der Ästhetik eines Leichtathleten zu folgen oder in einem Konzert die Matthäusspassion zu hören, es sind nur Abbilder, die bestenfalls für diesen einen Moment satt machen.
Hier kann man als Bild durchaus Platons Höhlengleichnis heranziehen, so dass man sich hier die Abbilder an der Wand anschaut (also Sportfeste, Konzerte etc.) und man immer besser wird, die Leinwand und die Beleuchtung mit immer neuen Effekten zu gestalten, so dass man immer gebannter auf die Wand schaut und eigentlich kaum noch auf die Idee kommt, sich umzudrehen und aus der Höhle herauszugehen. Aber genau diesen Aufbruch will Jesus.
Jesus nachfolgen bedeutet, dass der Sprung und Aufbruch geschafft wird, von der Wand (also dem Spektakel der Welt) sich irgendwann umzudrehen und blind in das gleissende Licht des Höhlenausgangs zu gehen… ohne Orientierung, ohne Ahnung, was wirklich dort draußen ist, wahrscheinlich irritiert, weil alle anderen weiter sitzen bleiben, alles auf diese ein Karte setzend und dann darauf hoffend und vertrauend, dass man dann nicht mehr nur Abbilder, sondern das Leben zu sehen bekommt.
Diesen Aufbruch bekommt man allerdings genauso wenig hin, wenn man abstinent von allem ist und in der Höhle die ganze Zeit ganz devot auf den Boden schaut (was heute Glauben oft zu bedeuten scheint), sich die Welt nicht in ihren Abbildern anschauen möchte. Denn dadurch ist man nicht näher an Gott, sondern noch weiter von ihm entfernt, da man sich Gottes Schöpfung ganz verweigert: man sieht weder die lebendige Schöpfung, noch deren Abbild. Dann kann man höchstens aus Langeweile zum Ausgang aufbrechen, aber nicht aus Neugier über die Schönheit der Abbilder und der Ahnung, dass die Abbilder einen lebendigen Ursprung haben.
Denn auch die Zu-Boden-Schauenden können dort ihr eigenes Fan-Dasein aufbauen. Denn auch ein religiöses Leben, kann ein nicht sattmachendes Brot sein. Denn möglichst oft die Schönheit und Erhabenheit der Messe oder des Gebets zu genießen, ist nichts anderes als nicht sattmachendes Brot. Dies hat auch Adrienne von Speyr in Teilen, das Bedürfnis von der häufigen Beichte und im Gebet so viele Heilige zu treffen und jede Facette von Jesus Passion auszuleuchten und fast schon zu begaffen. Es sind diese vollgerummelten Kirchen, wo man nur noch darauf schaut, ob man den Heiligen an seinen Erkennungszeichen benennen kann. Aber dies alles lenkt eher ab. Auch dies ist eine Art von Fandom. Dies kann auf dem Weg zum Höhlenausgang helfen, aber es kann genauso davon ablenken. Jesus Nachfolge ist ganz einfach, eigentlich fällt jede Facette weg. Nicht der Theologieprofessor, sondern das Kind kommt dem wahren Glauben näher. Aber vielleicht muss man ja manchmal durch eine sophistische Gourmetküche gegangen sein, um ein einfaches Sauerteigbrot mit Butter als das Beste wirklich schätzen zu können.
Der Höhlenausgang ist eigentlich immer da, die Werke Gottes sind aktuell. Wir müssen nur aufbrechen, um diese lebendig zu machen. μετάνοια bedeutet einfach nur Umdrehen, eigentlich nichts Großes oder Schwieriges, aber dennoch ändert es alles, halt die komplette Blickrichtung. Jeder ist ein Geschöpf, ein Werk Gottes. Gott hat zu jedem gesprochen: „Ich will, dass DU bist“ (siehe das Kunstwerk, dass einen am Eingang der Augustinerkirche in Würzburg überrascht und einlädt… diese schon beinahe stürmische Umarmung, die einen ereilt, nachdem man dort die Türe geöffnet hat (Quelle: eigenes Foto). Es gilt „nur“ diese Geschöpflichkeit lebendig zu machen. Und dies geschieht nach Jesus, indem man an ihn glaubt, den der Vater geschickt hat. Denn an Jesus sehen wir, wie man im Gleichklang mit dem Willen des Vaters lebt. Jesus lebt diesen analogen Rhythmus zwischen Geschöpf und Schöpfer, als Vater und Sohn, in den wir uns als Gotteskinder alle einschwingen können. Dafür müssen wir nur frei schwingen können und dafür müssen wir jede Bindung und jeden eigenen Willen verlieren, um frei über dem Abgrund zu schwingen (sonst gibt eine Glocke auch keinen Ton ab) bzw. blind ins gleissende Sonnenlicht des Höhlenausgangs zu gehen. Die Seele „hängt in Gott wie das schwingende Pendel, das keinen Boden unter sich haben darf und immer in Bewegung sein soll. So ist alles Haftenbleiben ein Sichwehren gegen das Hangen, und darum muß immer nur das Haftenbleiben gelöst werden, daß das Pendel frei hange.“ (Przywara 1938: 18).
6, 30-51
Sie sprachen zu ihm: Was für Zeichen machst du denn, damit wir sehen und an dich glauben können? Was erschaffst du? Unsere Väter aßen Mana in der Wüste, so wie es geschrieben steht, ‚Dort aus den Himmeln gab er ihnen zu essen. Da sprach Jesus zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, nciht Moses gibt euch das Brot aus den Himmeln’, sondern mein Vater gibt auch das wahre Brot der Himmeln. Denn das Brot Gottes ist der, der aus den Himmeln herabgestiegen und der Welt das Leben gibt./ Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns immer dieses Brot./ Jesus sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten./
Doch ich sage euch: Obwohl ihr mich gesehen habt, glaubt ihr nicht!/ Jeder, den mir der Vater gegeben (zubestimmt) hat, nehme ich auf, und wer zu mir kommt, werde ich nicht zurückweisen. Denn ich bin nicht von den Himmeln herabgestiegen, damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen, der mich ausgesandt hat./ Dies ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, das Alle, die mir gegeben wurden nicht vergehen, sondern auferstehen am letzten Tag./ So ist aber der Wille meines Vaters, dass alle die den Sohn gesehen haben und an ihn glauben das ewige Leben haben und mit mir auferstehen am letzten Tag./
Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das von den Himmeln kam./ Außerdem sagten sie: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen, dass er aus den Himmeln herabgestiegen ist?/ Jesus antwortete und sprach: Murrt nicht gegeneinander. Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn führt./ Ihn lasse ich auferstehen am letzten Tag./ Es ist von den Propheten geschrieben: Alle werden sie von Gott belehrt und wer auf den Vater hört und so lernt, wird zu mir kommen./ Erblickt wird der Vater dabei nicht. Allein der, der durch Gott ist, erblickt den Vater./ Amen, Amen, ich sage euch, wer glaubt, hat unendliches Leben./ Ich bin das Brot des Lebens./ Eure Väter haben in der Wüste das Mana gegessen und sind gestorben. Dies hier ist aber das Brot, das von den Himmeln herabgestiegen ist, deswegen wird der, der hiervon sich nährt nicht sterben./ Ich bin dass Brot des Lebens, das von den Himmeln herabgestiegen ist. Wer von diesem Brot sich ernährt, wird leben auf Ewigkeit haben und das Brot, das ich gebe, es ist mein Fleisch gegeben für das Leben der Welt./
Nun fordern die Leute Jesus heraus und fragen, was er denn für Zeichen zu bieten hätte, damit sie an ihn glauben sollen? Mose hat ihre Vätern zumindest durch Mana von den Himmeln immer wieder in der Wüste satt gemacht, also da wo es sonst nichts zu essen gegeben hätte, hat er sie gerettet.
Darauf antwortet Jesus nur, dass dies eben nicht das Brot der Himmeln ist. Zwar fällt das Mana vom Himmel, genauso wie der Regen und die Sonne, die auch Wachstum erst ermöglichen. Hierdurch entsteht aber nur Nahrung, die immer wieder hungrig macht (siehe auch die Frau aus Samarien am Brunnen in Kapitel 4). Durchs Mana wird man eher ein Fan und Abhängiger, als ein wahrer Glaubender und freier Mensch.
Denn das eigentliche Brot ist der, der vom Vater geschickt worden ist - und er macht satt, indem man ihm einfach nachfolgt. Und dies ist auch nichts wofür man große Wunder, wie dass vom Himmel herabfallende Mana erwarten muss. Sie müssen nur Jesus annehmen, der direkt vor ihnen steht. Aber ist dieses „nur“ tatsächlich so leicht und trivial? Denn Nachfolge ist nicht ein passives Geschenk, wie das Mana. Sondern Nachfolge bedeutet, alles für Jesus aufgeben, ihm folgen, wohin immer dieser Weg auch führt, einfach in Jesus aufzugehen.
Und diese Nachfolge ist noch nicht einmal daran gebunden, dass er direkt vor ihnen steht. Denn Jesus ist damals nicht stärker präsenter als heute. Denn die Leute konnten damals direkt vor ihm stehen und haben ihn nicht erkannt - als den Gottessohn, sondern nur als Sohn des Tischlers Josef, den sie ja nur allzu gut kannten. Sie haben in ihm nicht erkannt, dass er den Willen des himmlischen Vaters tut und nur dieser Wille ist. Aber allein darauf kommt es an. Und dann bedeutet dies für jeden Einzelnen nicht, das gleiche zu tun, wie Jesus. Denn Jesus tut das, was der Vater IHM aufträgt. Dies ist SEINE Sendung. Wir müssen unsere eigene Sendung und Aufgabe lernen zu hören und auszuführen und dieser zu entsprechen.
Aber immer wieder die Frage, woran erkenne ich den Willen Gottes? Der IS-Kämpfer ist sich ziemlich sicher, den Willen Gottes zu kennen und auszuführen. Auch der Abtreibungsgegner oder der Spiritual im Priesterseminar, für die nichts angesprochen werden darf, was nach ihrer „Meinung“ nicht der einzig richtig Weg Gottes ist. Tut vielleicht schon eher die Krankenschwester, die aus einem links-atheistischen Milieu kommt und etwas für die Menschen tun möchte, unbewusst denn Willen Gottes? Und dies mehr als so manch ein Priester?
Aber eigentlich liegen Krankenschwerster und IS-Kämpfer beide falsch und sind gleichzeitig verstehbar. Viele IS-Kämpfer sind hoffnungslos, weil ihnen alle Perspektiven genommen wurden, von dem dann moralisch daherkommenden angegriffenen Westen. Hier fragt keiner nach Gott bzw. beide nehmen Gott oder die daraus abgeleiteten Menschenrechte als Grund für ihren Egoismus. Und die Krankenschwester ist in ihrem Alltag so gefangen, lebt ein Leben, wo sie nie fragt, ob es denn wirklich ihr Leben ist, so dass sie nie nach Gott fragt. Denn einfach nur sich einem Dienst zu unterwerfen wird der Person auch nicht gerecht, weil kein Mensch einfach nur Bediensteter ist, sondern ein besonderer und so gewollter Mensch.
Auch hier wieder eine fragile Mitte zwischen dem, das eigene Ich aufzugeben und doch das eigene Ich in seiner eigenen Sendung in Gott wahrzunehmen. Beide sehen etwas Richtiges, aber tun nicht den letzten Schritt: glauben. Und sobald ein Mensch an Jesus glaubt, wird er von ihm aufgenommen. Diese unbedingte Offenheit und Aufnahme, sobald ein Mensch glaubt, ist der Wille des Vaters den Jesus lebt und erfüllt. Und in dieser Aufnahme durch den Sohn werden sie mitgenommen in die Auferstehung zum ewigen Leben. Aber die wenigsten schaffen offensichtlich diesen Sprung, selbst seine Schüler, die kontinuierlich direkt von ihm unterrichtet werden, geraten ständig auf Abwege.
Jesus stößt überall auf Widerstand und Missverständnisse. Zwar sind diese bei den Juden, den Leuten und den Jüngern ganz unterschiedlich, aber niemand kann aus seinem aktuellen Weltbild heraus und sich wirklich durch Jesus bedingungslos und offen führen lassen - so wie er sich auf den Willen des Vaters einlässt. Hier drücken die Juden ihr Unverständnis darin aus, dass es unlogisch ist zu behaupten, dass er aus den Himmeln kommt, obwohl sie ja Jesus Eltern genau kennen, d.h. er kommt aus seinem Elternhaus und nicht aus den Himmeln. Habermas würde sagen, sie haben das bessere Argument… und wie so oft liegt Habermas wieder falsch und Leute wie Habermas werden, auch wenn sie sich auf Religion einlassen, immer religiös unmusikalisch bleiben und nie diesen wesentlichen Sprung in den Blick bekommen, egal wie dicke Bücher sie darüber schreiben (Habermas 2019). Habermas Buch liest sich wie ein Reiseführer, den jemand geschrieben hat, der nie dieses Land besucht hat und dies nur aus anderen Reiseführern zusammengestellt hat. Auf diese Weise kommt Religion nie in den Blick, weil sie im Kern kein Wissensbestand ist, sondern individuelles Bekenntnis, μάτυρείων. Habermas dickes Buch liest sich in weiten Teilen auch als Zusammenstellungen von Hausarbeiten, sehr gut und streberhaft gemacht, aber ohne Leben. Man kann sich nicht gegen den Eindruck wehren, dass Habermas sich mit den meisten Themen wie Konzilien, Augustinus, Thomas etc. das erste Mal jetzt im Alter dies angelesen hat und dies weit davon entfernt ist, eine sein Leben begleitende Auseinandersetzung zu sein. Deswegen ist es leider nur sophistisches Glasperlenspiel.
Jesus erwidert auf diese Diskussion, die die Juden untereinander führen, dass sie dies so nicht gelöst bekommen. Hier hilft keine Diskussion, so dass er hierauf gar nicht eingeht. Plausibel und logisch einsehen lässt sich dies wohl nicht. Vielmehr bedarf es des Vaters, da nur die zu Jesus kommen und ihn annehmen, um damit von ihm aufgenommen zu werden, die vom Vater selber geführt werden. D.h. man muss den Ruf des Vaters erstmal hören und sich dann auf diese Führung auch einlassen. Denn der Geführte weiß und versteht nicht immer, wo es hingeht und warum, wie das Kind was vertrauensvoll (manchmal mehr oder weniger lustvoll) den Eltern folgt, wohin sie gehen.
Und diese Haltung erkennt Jesus vor allem an den Propheten, die nicht allein logisch argumentiert haben, sondern sich im ersten Schritt erst einmal ergreifen haben lassen müssen und sich vom Vater belehren und führen haben lassen. Aber auch die Propheten mussten oft ihre eigenen Widerstände und ihr eigenes Weltbild für dieses Geführtwerden überwinden (hier sei nur an die Anfänge der beiden großen Propheten Jesaja und Jeremia erinnert).
Aber auch hier erwähnt Jesus direkt wieder die Schwierigkeit, die darin liegt: selbst die Propheten haben Gott nie erblickt. Sie müssen also blind folgen. Nur Jesus der bereits durch und aus Gott ist, erblickt den Vater. Und blicken wir auf Jesus, erkennen wir den Vater - aber dadurch, dass wir nie auf den Vater selber blicken können, können wir nie abgleichen, ob Jesus tatsächlich den Willen des Vaters lebt. Hier liegt wieder der Zirkel, der sich nicht lösen lässt, sondern den man nur durch einen vertrauensvollen oder vielleicht auch einen verzweifelten Sprung durchbrechen kann. Und dies ist dann Glauben - und eben nicht Wissen. Deswegen kommen die Juden (und auch Habermas) mit ihrer Diskussion auch nicht weiter.
Durch diesen Glauben an Jesus erhält man erst das ewige Leben und dafür reichen offensichtlich nicht die Regeln der Juden, selbst wenn sie Moses folgen. Zwar kam das Mana auch vom Himmel, aber es hat nur für einen Augenblick genährt und alle Väter sind gestorben. Jesus gibt sich selbst in dem Brot, er gibt sich darin ganz, sogar ganz leiblich und will so aufgenommen werden. Stärker kann man eine Aufnahme kaum ausdrücken, denn ich nehme nicht nur irgendwelche Lehrsätze auf, oder implizite Verhaltensweisen, sondern ich nehme ihn mit seinem Leib auf. In dieser Hinsicht ist Jesus der einzige Lehrer, der eine Aufnahme durch seine Schüler so radikal vollzieht. Ich werde als ganzer Mensch umgeformt und ausgetauscht (καταλλαγή (Przywara 1954)) und werde selber immer mehr Jesus.
6, 52-59
Es stritten sich aber die Juden untereinander und sagten: Wie kann er uns nur sein Fleisch zu essen geben?/ Jesus sprach zu ihnen: Amen, Amen, ich sage euch, wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohnes und nicht trinkt sein Blut, wird in euch kein Leben sein./ Wer mein Fleisch zu sich nimmt und mein Blut trinkt wird ewiges Leben haben und er wird auferstehen am letzten Tag./ Denn mein Fleisch ist wahre Nahrung und mein Blut ist wahres Getränk./ Wer zu sich nimmt mein Fleisch und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm./ Wie ich gesandt bin durch den lebendigen Vater und selber lebe aus dem Vater - und genauso wer mich zu sich nimmt, er wird leben aus mir./ Das Brot, dass aus den Himmeln herabgestiegen ist, ist nicht das, was die Väter gegessen haben und danach sind sie trotzdem gestorben. Denn wer dieses Brot zu sich nimmt, wird in der Ewigkeit leben./ Dies sprach er, als er in der Synagoge von Kafarnaum lehrte./
Die Juden haben einen weiteren Punkt an dem sie zu Recht anstoßen nehmen und ihr Unverständnis äußern: Wie kann er sagen, dass wir sein Fleisch essen sollen? Zwar ist dies kein Widerspruch wie beim Diskussionspunkt davor, ob er von den Himmeln herabgekommen ist oder durch Maria geboren wurde und dort aufwuchs. Aber menschliches Fleisch zu essen ist ein Widerspruch in sich. Zwar ist es grundsätzlich nicht schwer menschliches Fleisch zu essen, aber es gibt nur wenige so starke sozial-psychologische Schranken wie hier. Nur Inzest ist ein ähnlich stark wirkendes Tabu wie Kannibalismus. Jesus steigert dies sogar noch und weitet es darauf aus, auch noch sein Blut zu trinken (was gerade für Juden eine sehr starke Zuspitzung ist). Und in dieser Passage wird dies so penetrant wieder holt, sein Fleisch und Blut zu sich zu nehmen, dass einem bei der Lektüre eigentlich übel werden sollte - aber wir sind so abgestumpft durch christliche Lehre, dass wir das eher gelangweilt als bekannt zur Kenntnis nehmen.
Was bezweckt Jesus hier eigentlich (also unabhängig davon, was hier alles an Sakramentslehre hineingelesen werden kann)? Zunächst hat jeder schon mal menschliches Blut getrunken, etwa wenn man eine eigene Wunde aussaugt oder sich auf die Zunge beißt. Hier gibt es auch keine Widerstände interessanterweise. Dieser Widerstand baut sich aber sofort gegenüber anderen aus, denn eine blutende Wunde aussaugen bei jemand anderen würde man nicht tun. Beim eigenen Kind schon, aber wohl eher nur in dem Alter, wo das Kind tatsächlich noch sehr stark das eigene Selbst ist. Oder bei jemandem, den man zutiefst liebt. Dies trifft in ähnlicher Form auch beim menschlichen Fleisch zu, denn kleine Fitzelchen Fleisch beisst man auch von einer Wunde etwa am Finger ab - aber eigentlich eben auch nur bei einem selber.
Was Jesus also hier macht, ist dass er die Distanz zwischen mir und ihm aufhebt. Ich bin er, und er ist ich. Und in dem er sein Fleisch und Blut als Nahrung aufgreift, erzeugt er diese Identität auf einer nicht-rationalen Ebene. Denn hier geht es nicht darum, dass man das gleiche tut wie Jesus, als moralisch geboten etwa und dass man auf diese Weise eins mit ihm ist. Sondern viel weniger verbalisierbar, indem es sich auch auf einer körperlichen Ebene realisiert. Denn der Widerstand eine andere Wunde auszusaugen, liegt auch da, irgendwo tief in uns verankert. In unseren Grundprogrammierungen… und genau hier speist sich Jesus auf diese Weise ein.
Jesus geht es nur um diese tiefe Intimität, die zwischen mir und ihm aufgebaut wird und immer aufs Neue aufgebaut werden muss. Dies ist der einzige Ankerpunkt - und eben keine Lehrsätze, die in einer Dogmatik zusammengefasst, systematisiert und definiert werden können, sondern es geht um eine lebendige Beziehung, die nicht festgelegt oder definiert werden kann.
Denn dies ist der andere Teil, der hier tiefen Anstoß auslöst: Jesus schleift hier eines der tiefsten moralischen Gebote. Der Kannibalismus ist so tief in uns verankert, dass er noch nicht einmal in den 10 Geboten auftaucht, weil er einfach kaum denk- und ausführbar ist für fast alle Menschen. Jesus sagt hier, sei du ganz ich und lass mich ganz du sein und dafür kannst du alle moralischen und gesellschaftlichen Grundwert durchbrechen - wenn du tatsächlich aus mir heraus lebst. (In der Eucharistiefeier als der Mittelpunkt der Messe und des Glaubens ist auch eine Art Intimität angelegt, aber zumindest für mich in dieser liturgischen Form nicht annähernd erfahrbar wie hier angedacht… und der Kult um die Hostie erinnert eher an Zauberei, als an Intimität, weil es hier eben so gar nicht um etwas Äußeres und Materielles geht. Und mal ehrlich: wer versteht heute noch die Diskussion um die Transsubstantiation? Oder wenn sollte dies überhaupt interessieren außer Historiker? Entweder ist es Hokuspokus, Glasperlenspiel oder total irrelevant, als ob die Kirche keine wirklichen Sorgen hätte!)
6, 60-71
Unter den Vielen, die zugehört hatten, waren auch seine Schüler, die sprachen: Schwer zu tragen ist sein Wort. Wer kann dies schon (an)hören? Jesus aber sah, dass es Gemurre unter seinen Schülern gab und er sprach zu ihnen: Darüber regt ihr euch schon auf?/ Was denn erst, wenn ihr seht, wie der Menschensohn aufsteigt, nach dort, wo er herkommt./ Der Geist ist das Lebendige, das Fleisch dagegen nichts. Selbst die Worte, die ich daherplaudere, Geist sind sie und Leben./ Aber es gibt unter euch welche, die nicht glauben. Denn Jesus wußte von Anfang an, dass nicht alle glaubten und auch was ihm aufgetragen wird./ Und er sprach: Deshalb habe ich auch dargelegt, dass keiner zu mir kommen kann, der mir nicht durch den Vater gegeben wurde./
Viele Schüler gingen daraufhin wieder zurück und brachen nicht wieder mit ihm auf./ Jesus sprach da zu den Zwölfen: Und? Wollt auch ihr nicht hinübergehen?/ Darauf erwiderte Simon Petrus: herr, wohin sollten wir gehen (uns auflösen)? Worte des ewigen Lebens hast nur du! Und wir zum Glauben und zur Einsicht gekommen, dass du der Heilige Gottes bist./ Jesus erwiderte darauf: Habe ich nicht selbst euch Zwölf ausgewählt? Und doch ist einer unter euch vom Teufel./ Dies war gesprochen über Judas, des Simon Iscariot, denn er werde ihn ausliefern und er war einer von den Zwölfen.
Seine Schüler murren nach diesen Reden von Jesus. Und sie haben zunächst einmal Recht, denn wer hieran nicht Anstoß nimmt und dies einfach so glauben und hinnehmen kann, hat vermutlich nicht richtig hingehört. Denn Jesus zerstört hier Schritt für Schritt die Basis, aus der die Menschen leben: das tägliche Brot, wovon die Menschen leben, wir als zweitrangig dargestellt; Wunder, die diese Ernährung sicherstellen (angesichts dessen, dass damals Nahrungsbeschaffung schwer war und viele schlicht verhungerten), als falsch verstanden aufgedeckt; dass die ganzen jüdischen Gesetze und Dogmatik eigentlich nur Hilfsmittel sind und in sich nichtig; bis dahin, dass nur an Jesus zu glauben, der Weg ist… der aber nur durch den Vater bezeugt wird in seiner Echtheit, den aber von niemanden gesehen werden kann, sondern in den nur blind hereingesprungen werden kann. Und dieser durch nichts abgesicherte Sprung, den Jesus hier verlangt, ist so absurd und durch keinen gesunden Menschenverstand zu rechtfertigen… eigentlich muss jeder hier protestieren! Und wer dies tatsächlich blind glaubt ist eher kritisch zu betrachten (was auf viele religiösen Fundamentalisten auch heute noch zutrifft).
Aber Jesus geht auf diese Absurdität gar nicht ein und lindert dies auch nicht, indem er anerkennt, dass dies ein wirklich schwieriger Weg ist. Nein, er dreht die Schraube noch eine Windung weiter. So fragt er, dass dies Alles nichts dagegen ist, wenn er dann aufsteigen wird, wo er hergekommen ist. Und dieses zum Ursprung bedeutet offensichtlich hauptsächlich Geist und nicht mehr Fleisch, d.h. das alles was uns hier bindet und zweifeln lässt, losgelassen wird und man voll Vertrauen dem Geist folgt, der weht, wo und wann er will? Und alles was Jesus sagt und tut, ist jetzt schon aus diesem Geist und deswegen eigentlich für jeden nicht zu fassen bzw. man eigentlich immer nur auf dem Weg dorthin sein kann. Und Jesus weiß, dass diesen Weg nicht alle mitgehen können, und er weiß auch, dass er ausgeliefert werden wird und damit auch sein Weg kein bequemer Königsweg sein wird.
In der Konsequenz bedeutet dies aber, dass man jegliches Fleisch, jede Bindung, jeder Erwartung und jede Wertvorstellung loslassen muss, um Jesus folgen zu können. Ohne zu wissen wohin der Weg führt, bestenfalls kann man schon ahnen, dass dies kein bequemer Weg werden wird. Und selbst wenn man alles für Jesus aufgegeben hat, reicht es noch nicht. Denn nur diejenigen können zu Jesus kommen, die der Vater hierfür ausgewählt hat. Ich kann letztlich alles aufgeben und trotzdem kann mir immer verwehrt bleiben, bei Jesus anzukommen. Dies ist unwahrscheinlich, wenn man etwa daran denkt, wer klopft, dem wird geöffnet (Mt 7, 7) - aber die Möglichkeit bleibt offensichtlich. Und diese Möglichkeit wiegt schwer, angesichts des Einsatzes, der hier gefordert wird: du musst alles was du hast einsetzen, aber du kannst nicht mit einem Gewinn rechnen, sondern kannst leer ausgehen. Aber auch dies ist wieder eine Windung, die zeigt, dass es hier nur um das blinde, bodenlose Vertrauen gegenüber dem Vater geht.
Hier lässt Jesus allen, die ihm zuhören, den Kopf platzen. Und er dreht dies in einen solchen Wahnsinn hinein, dass einem davon schwindelig wird. Selbst ein Zen-Koan erscheint hier als gemütliche Gute-Nacht-Geschichte.
Jesus ist gar nicht der Beruhiger und der Geist gar nicht der Tröster, wie man sich dies so menschlich vorstellt. Dies ist vielleicht genauso falsch, wie das der Zen Entspannung und Ruhe bringt und Konzentration, um besser als Manager agieren zu können. Hierin ist Jesus durchaus ein guter Rinzai-Meister: er bringt seine Schüler und Zuhörer an den Rand der Verzweiflung, bis sie wirklich gar nichts mehr verstehen, keinen Boden mehr haben, auf dem sie stehen, alles verloren und keine Erwartungen mehr haben… und dann kommt eine sehr eigentümliche Ruhe. Eine Ruhe vielleicht so, wie wenn man nach vielem Hoffen und vielem medizinischen Lärm irgendwann sein Kind in den Armen hält und es sterben lassen darf.
Viele von denen, die ihm zuhören, sehen dann doch so klar, das Jesus dies völlig ernst meint. Das es keine Angstmache ist, sondern dass er genau das will, was er sagt. Sie ziehen daraus für sich die für sie als richtig und logisch erscheinende Konsequenz und kehren wieder zurück zu ihrem alten Dasein - unerlöst und das wahre gottgewollte Dasein verdrängend. Ein Leben zwischen Traum, Trauma und Albtraum.
Dann fragt Jesus die Zwölf, die er selber ausgewählt hat und von denen er ausgeht, dass sie dafür ausgerüstet sind (aus den unterschiedlichsten Gründen), mit ihm auf den Weg aufzubrechen: ob sie auch zurückkehren wollen? Petrus antwortet für die Zwölf, dass sie schon weiter sind als die anderen Zuhörer. Denn sie haben erkannt, dass es keine Alternative zu Jesus gibt (denn Buddha kennen sie nicht, der aber in gleicherweise radikale Forderungen stellt (oder auch Laotze, Zhuangzhi, dies sind nur die, die ich etwas kenne, wo es sicher noch andere wie Mohamed gibt)). Nur er kann ihnen den Weg zum Leben öffnen, alles andere führt in eine Illusion zurück.
Jesus antwortet darauf, dass er sie extra dafür ausgewählt und geprüft hat, dass sie diesen Weg mit ihm gehen können. Nur zwölf von so vielen Zuhörern (z.B. 5.000 am anderen Ufer des Sees), die er dafür als befähigt ansieht. Und selbst von diesen Auserwählten, wird einer den Weg nicht tragen können und Judas wird nicht einfach gehen, er wird ihn den Juden ausliefern. Und selbst Petrus, der Fels, strauchelt in einem fort.
Hier stellt sich die Frage, ob ein wahrer religiöser Weg eigentlich totale Elite ist. Es zeigt sich am Mönchs- und Nonnenwesen, die eigentlich ihr ganzes Leben diesem Weg widmen müssen und dies nicht nur als Experte in einem Beruf, sondern auch unter Verzicht auf Familie und alles andere. Und ist es dann nicht normal, dass Religion immer in dekadenten Dogmatismus oder Folklore ausartet? Was dann genau das Gegenteil ist, von dem was erzielt und eröffnet wird: Zwang statt Freiheit, Illusion statt Wahrheit, Jenseits statt Diesseits…