1. Hinweis
Emperor Wu of Liang asked the great master Bodhidharma, "What is the highest meaning of the holy truths?“, Bodhidharma said, "Empty, without holiness.“ The Emperor said, "Who is facing me?“ Bodhidharma replied, "I don't know.“ The Emperor did not understand. After this Bodhidharma crossed the Yangtse River and came to the kingdom of Wei.
Later the Emperor brought this up to Master Chih and asked him about it. Master Chih asked, "Does your majesty know who this man is?“ The Emperor said, "I don't know." Master Chih said, "He is the Mahasattva Avalokitesvara, transmitting the Buddha Mind Seal." The Emperor felt regretful, so he wanted to send an emissary to go invite (Bodhidharma to re turn). Master Chih told him, "Your majesty, don't say that you will send someone to fetch him back. Even if everyone in the whole country were to go after him, he still wouldn't re turn."
(Cleary/Cleary 1977 (auch die folgenden))
Worte sind im Zen nur Hinweise, zeigen nie direkt das Gemeinte. Ich muss es schon kennen oder ahnen, wovon das Zeichen Auskunft gibt, sonst kann ich es nicht richtig auffassen. Was ist mit einem Menschen, der sich befreit hat von gesellschaftlichen Zwängen und Konventionen, die nicht zu ihm passen? Die Mitmenschen versteht ihn nicht mehr, er weiß nicht was er da gerade Seltsames tut. Nur der ein oder andere (meist ein Kind) schaut staunend zu, es weiß auch nicht was diesen Menschen antreibt… aber es dämmert, dass es dies auch will und dort etwas Großes passiert und nicht einfach aufgegriffene Traditionen ohne Kern und lebenden Gehalt. Aber wie kann es auch dazu kommen, wo dieser Mensch ist?
Vielleicht hat die Person (vielleicht die Schwester) ein Bild von Liebe aus Romanen und Filmen im Kopf… etwas Großes und Heiliges, wozu bestimmte Verhaltensweisen gehören. Mit diesem Bild im Kopf, wird sie die Braut nicht finden. Und die Braut sagt, nichts von dem, was du gelesen hast, nur offene Weite. Du brauchst dies nicht zu erörtern oder diskutieren: Liebe nur, und dann tue was du willst (Augustinus). Die Schwester fragt sich, warum die ganze liebgewonnen Liebesgeschichten (und Glaubenswahrheiten) aus der Sicht der Braut alle nichts taugen. Wer bist du denn verliebte Schwester? Und die Braut sagt nur ich weiß es nicht: weder ich, noch der Bräutigam, noch das Ehepaar und doch alle zusammen… und auch nichts, was ich geplant oder erträumt habe. Jetzt weiß die Schwester gar nicht mehr weiter, was mit der Braut los ist. Denn die Braut „richtet keinen Schriftbuchstaben auf; sondern weist mit ausgestrecktem Finger auf das Herz des Menschen, dass er im Anblick seiner innersten Natur zum Buddha werde“ oder Jesus… also das die Liebe eine Wandlung bewirkt… ins Offene, aber Unaussprechliche. Was zwar eine Entwicklung ist vom eros zur philia hin zur agape, aber was man nicht lernen oder machen kann, sondern mit sich geschehen lassen muss. Die Braut merkt, dass auch wenn sie frei es ausspricht, sie von der Schwester nicht verstanden wird und folgt weiter dem was sich in ihr entfaltet… hinein in die offene Weite.
In der Grabschrift des Kaisers auf Bodhidharma heißt es: „Ich traf und traf ihn nicht!“ Ist dies nicht meistens so zwischen Menschen und nur ganz selten trifft man sich tatsächlich… und dann kann diese offene Weite entstehen.
Und es bringen auch keine Worte und Beschreibungen etwas, wenn diese Erfahrung nicht besteht. Und danach verschwindet Bodhidharma. Aber die Begegnung hat alles verwandelt und nach dieser Begegnung ist Bodhidharma immer da. Bodhidharma und der Kaiser leben auf zwei verschiedenen Planeten: der eine hat geliebt, der andere nur Geschichten davon gelesen; oder der eine hat gebetet, der andere ist immer Sonntags in die Kirche gegangen.
Aber warum ist Bodhidharma so radikal und macht noch nicht einmal den Versuch zu vermitteln? Dies wird alles dem Edlen überlassen, der damit aber auch nichts mehr retten kann, sondern nur die vertane Chance noch einmal rekapituliert. Denn was ist es für eine Situation für Bodhidharma: er macht sich von Indien auf den Weg nach China den Zen zu bringen, ist dabei einige Jahre unter gefährlichen Umständen unterwegs, kommt in China an und trifft auf einen grundsätzlich aufgeschlossenen Kaiser… und findet nur tiefstes Unverständnis. Noch mehr Unverständnis als bei Personen, die vielleicht noch nie etwas vom Buddhismus gehört haben (vielleicht ist die Kirchenreform auch heute total in den falschen Händen: bei den Bischöfen und den grauen (aber sehr ehrenwerten) Mütterchen von Maria 2.0?!?!). Er reist direkt unverrichteter Dinge wieder ab und sitzt im Anschluss in Shaolin 9 Jahre vor einer Felswand in Meditation. Dies ist an unglaublicher Sinnlosigkeit und vertaner Energie kaum zu überbieten. Höchster Auftrag (das Zen nach China und damit sozusagen das Heil den Menschen zu bringen) und tiefster Fall (da vollkommenes Unverständnis und Rückzug)… und doch alles gewonnen: denn Bodhidharma ist unangefochten die größte Gestalt im Zen… Gewinn im Scheitern? Ganz ähnliche Situation auch bei Jesus: höchster Auftrag (ich bin das Heil der Welt) und tiefster Fall (der Kreuzigung, mit „mein Gott, mein Gott, wohin hast du mich verlassen?“) und gerade darin gewonnen… Auferstehung und Gründung der Kirche als sein Leib.
Was ist diese offene Weite also? Resignation, tiefe Gebrochenheit, abgrundtiefe Sinnlosigkeit, dass Hingeschlachtetsein des Opferlamms ohne Nutzen? Bricht genau da jeder letzte Versuch dies zu Verstehen? Wird hier der Boden des Fasses ausgeschlagen, so dass das Fass nichts mehr hält, sondern nur Durchgang ist (wie Erleuchtung oft im Zen beschrieben wird)? „Nichts als Heilig“, dass auch letzte Glaubenswahrheiten zerbrochen werden… denn so etwas wie dass die Leere heilig ist oder auch die Auferstehung sind erst wieder als Konzepte nachträglich entstanden (sozusagen als die Dornen, die notwendig entstehen, wovon im Gesang dies Rede ist)? Und kann man diese Sinnlosigkeit ohne etwas drüberzukleistern überhaupt auf Dauer aushalten? Kann ich den Tod von Bruder oder Sohn in der ganzen Sinnlosigkeit sehen, wie eine Feldblume, die abgemäht wird? Das wertvollste in unseren Leben ist bei näherer Betrachtung nichts: eine ehrliche Begegnung von der vielleicht außer den Beteiligten niemand je erfahren wird und wenn beide gestorben sind, ist sie einfach weg… ohne Spur. Ist dies die offene Weite? Ich handle aus dieser Tiefe, ohne annähernd zu verstehen was passiert? Ich handle entsprechend der Situation, ohne Zweck, Ziel und Nutzen?
Aber ist es nicht mit allen wichtigen Sachen im Leben so? Kinder bekommen ist total schön… naja, die Geburt ist auch echt mit Angst verbunden, Veränderungen im ersten Jahr, schön aber auch dauernd mit Sorgen verbunden, zurechtfinden in Kita und Schule, Pubertät, erste Freunde und Liebe und Drogenerfahrungen… aber trotzdem fühlt es sich richtig an, oder? Und ist dann offene Weite, dass sich diese unterschiedlichen Erfahrungen nicht irgendwo bilanzieren, sondern aufgehoben werden in einem ganz nicht-verstehbaren Raum von Leere (Budhismus) oder Liebe/Gott (Christentum)? Und gibt es zwei Strategien damit umzugehen: ich versichere mich in gesellschaftlichen Werten oder ich mache mich verletzlich in diesem total unbegreiflichen und lasse mich dadurch auffangen? Und leistet diese Tiefe die Kirche heute mit ihren Traditionen und Ritualen? Oder sind es einzelnen gläubige Menschen? Und welche sind dass dann? Was mich immer gewundert hat, dass die wirklich tollen Menschen irgendwo meist durch eine richtig harte Scheiße gegangen sind: also früh die Mutter gestorben oder Kinder oder selbst sehr krank gewesen. Also Dinge die du nie begreifen kannst, die du aber auch nicht verdrängen kannst und die du selbst im Kern bist? Das Fremde und Feindliche was ganz tief in dir wohnt, was dich mehr als alles andere ausmacht - aber was dich gleichzeitig zutiefst prägt und was mehr du selbst bist, als jedes Image und Selbstbild was man von sich pflegt. Und diese Menschen sind es, die genau mit diesem Fremden Seite an Seite leben können und genau daraus leben und in die Leere wachsen.
Warum ist im Zen das Nichts und die Leere so zentral? Eigentlich überhaupt keine schönen Begriffe und das Gegenteil was man eigentlich will? Oder im Christentum/Judentum, der Gott, den man nicht versteht: Mose bekommt nur seinen Rücken zu sehen (und damit ist er privilegiert vor allen anderen Juden), Jesus versteht seinen Gott am Kreuz nicht mehr, Maria wird nur zu Boden gestossen und sagt jedes mal wieder Ja zu diesem Gott…
Auch hier steht nicht der wundertuende und alles heilmachende spektakuläre Gott im Mittelpunkt. Sondern Leere, die oft so gar nicht heilig erscheint. Zumindest nicht dem Bild von Heiligkeit, was wir uns gerne für uns zusammen basteln. Denn das Heilige ist eben nicht der Weihnachtsmann, der mir meine Wünsche erfüllt. Aber das Heilige ist schon das Schenkende, nur eben nicht die triviale Wunscherfüllungsmaschine, sondern eine radikale nicht-triviale Maschine (im Sinne von Heinz von Foerster). Damit muss man umgehen lernen, aber auch hier wird es erst interessant (was die Kirche heute nicht so wahnsinnig von sich behaupten kann).
Bodhidharma ist ein radikal Nicht-Wünschender. Und gerade auf diese Weise hat er auch kein Ich, mit Wünschen und Vorstellungen, die er auf die Welt projiziert, zumindest keine, die er quasi ontologisch festsetzt, sondern die immer wieder in die Leere zurückfallen und sich darin aufgehen lassen. Deswegen Antwortet er auch auf die Frage von Wu, wer er denn sei, mit „Ich weiß es nicht!“. Denn zum einen gibt es keinen „festen Bestand“, der die abgegrenzte Person Bodhidharma definieren würde und bleiben wird. Es ist eher eine große Bewegung, die in sich wenig beständig ist und die auf der anderen Seite auch anerkennt, dass in ihr viel ist, was nicht die eigene Leistung ist… Bodhidharma ist der Erwachte, der nach China geht, nur weil Buddha unter dem Bodhi-Baum gesessen hat und weil Kashyapa die Blume erkannt hat… (eben die Zwerge auf den Schultern von Riesen).
Zwar antwortet auch Wu danach auf die Frage, wer Bodhidharma sei, mit den gleichen Worten, dass er es nicht weiß. Dennoch sind beide Antworten so grundverschieden. Zwar hat Wu Bodhidharma bei ihrer Begegnung verpasst und auch beim Gespräch mit dem Minister hat er ihn nicht erkannt und selbst sein Grabspruch lässt ihn Bodhidharma verpassen. Aber dennoch steht ihm weiterhin die Begegnung mit Bodhidharma ständig offen… da er ihn in der Leere treffen kann. Genauso wie Bodhidharma den Buddha und Kashyapa begegnet ist. Und genauso können wir Jesus heute mehr begegnen als dies etwa Petrus zu Jesus Lebzeiten konnte. Bodhidharma macht sich in jedem Augenblick auf diesen unglaublichen Weg von Indien nach China zu je uns selbst… aber viel öfter muss uns Bodhidharma den Rücken kehren und in der Dunkelheit über den Fluß fahren. „Is there any patriarch here?/ He answered himself, „There is.“/ Call him here to wash this old monk’s feet.“
Für Nix und wieder Nix!
2. Hinweis
Chao Chou, teaching the assembly, said, "The Ultimate Path is without difficulty; just avoid picking and choosing. As soon as there are words spoken, "this is picking and choosing," "this is clarity." This old monk does not abide within clarity; do you still preserve anything or not?"
At that time a certain monk asked, „Since you do not abide within clarity, what do you preserve?“
Chao Chou replied, "I don't know either."
The monk said, "Since you don't know, Teacher, why do you nevertheless say that you do not abide within clarity?"
Chao Chou said, „It is enough to ask about the matter; bow and withdraw."
Der Zen-Weg ist unaussprechlich schwierig und niemand hat ihn bisher vollendet. Es bleibt immer Weg, nie Ausruhen im Ziel, sondern Ruhe in der Bewegung und im Daraufzugehen. Und diese Erfahrung kann nicht mitgeteilt werden, sondern muss jeder für sich machen. Sie kann nicht kopiert oder nachgemacht werden. Es ist nutzlos, wenn man nur die Literatur kennt, aber keine eigenen Erfahrungen hat.
Jetzt sagt Joshu aber genau das Gegenteil: es ist gar nicht schwer. Es ist gar nicht schwer, weil es der eigene Weg ist, der dir ganz nahe ist, der Weg kennt dich besser als du dich selbst. Schwer ist es diesen Weg zu finden, weil dein Weg bisher noch nie beschritten und dadurch auch nicht beschrieben wurde. Du kannst ihn nicht übernehmen, nicht irgendwo ablesen.
Weiterhin kommt hinzu, dass auf diesem Weg nicht unterschieden und bezeichnet werden darf… nimm was dir geschenkt wird… alles wird seinen Sinn haben, wenn du es als Teil deines Weges betrachtest. Aber sobald man denkt und spricht finden Unterscheidungen statt, man ist sofort wieder verwickelt: bin ich jetzt auf meinem Weg oder kopiere ich einen Weg: schon ist eine Unterscheidung. Und hier ist es egal ob ich urteile, ob mein Weg einem gesellschaftlichem Ideal entspricht oder eigenen idiosynkratischen Wunschvorstellungen. Beides gleich falsch, weil beides Unterscheidungen.
Der eigene Weg kennt kein richtig oder falsch, heilig oder alltäglich, versaut oder zärtlich. und der Mönch macht darauf aufmerksam, dass man nie ganz frei sein wird. Man kehrt immer wieder ganz schnell zu Unterscheidungen zurück... und Joshu ist so cool, dass er dies als großer Meister auch einfach zugibt, dass es hier keinen Ausweg gibt.
Aber mitunter löst sich dies erst etwa in der Liebe auf: Ich gebe dir meinen Willen und du bist dann mehr mein Willen als ich dies kann... und trotzdem dominierst du mich nicht mit deinem Willen. Sondern es ist unser Willen, der in dieser Wechselseitigkeit des aufeinander eingehens etwas anderes wird, was wir dann nur noch zulassen. Dies geht, weil es keinen getrennten Willen mehr für sich gibt. Gebe ich meinen Willen auf, ist es nicht dein Willen, der mich bestimmt, sondern du spürst nach, was mir gefallen würde, was dann nicht dein Willen ist und auch nicht mein Wille ist, weil du über mich hinausgehst... da ist dieser Mut und das Aufbrechen was wir in der Liebe haben.
Der höchste Weg ist gar nicht schwer…was ist das für eine Paradoxie, die hier drin steckt? Denn nur die wenigsten erreichen diesen Weg und dies wie gerade im Zen betont, nur mit einem unmenschlichem Aufwand. Es ist vergleichbar mit einer Wanderung durch die Kaiserklam. Was passiert, wenn man durch die Klam wandert? Man wird gesichert durch ein Geländer, dass man nicht abstützt, von daher ist die Gefahr gebannt… aber was macht das, was vor dem Geländer ist mit einem? Ich kann es benennen, der Berg hat den Namen und ist so hoch etc. Ich kann dieses ganze Wissen aber auch einfach vergessen und lasse mich auf diese Wucht und Gewalt der Berge ein, lasse mich von dem Fluß mitreissen… Und zwei Wanderer können an der gleichen Stelle stehen und etwas ganz unterschiedliches erleben… der eine schwallt den anderen mit Wissen zu, der andere staunt einfach nur…was ist einfacher?
Aber was passiert im Staunen über die Berge? Ich nehme nicht mehr mich wahr, sondern gehe ganz auf in der Wahrnehmung dieser Gewaltigkeit. Und ich werde auch deswegen ausgelöscht, weil ich vor den Bergen nichts bin: so klein im Vergleich, und nur ein paar Jahre hier auf der Erde im Gegensatz zu den Bergen, die etwa von der Eiszeit erzählen…ganz sterben, nicht wieder leben… in dieser Betrachtung.
Aber irgendwie ist der Totenschädel ja nur halbtot weil er ja noch Sinne hat, und der Baum, dadurch dass er morsch ist und von Mikroorganismen zersetzt wird, ist auch noch halb am Leben bzw. befindet sich mitten im Prozess des Sterbens, der Wandlung.
Der Totenschädel mit seinen Sinnen und der morsche Baum stehen somit auch im krassen Gegensatz zur eingangs formulierten Verdoppelung, denn da bekommen sowohl die Wahl als auch die Klarheit eine Semantik der Superlative: Nie der Mittelweg, sondern eine volle Entscheidung, ein entweder-oder. Es gibt keine eingetrübte Klarheit, es gibt keine hingenommene Wahl. Kein „bisschen erleuchtet", kein bisschen ficken, kein bisschen hingeben, sondern nur das schöpfen aus den Vollen und aus dem nichts zurückhaltenden sich ganz verschenken. Es gibt zwar vielerlei Arten, aber nicht zweierlei - du bekommst zwar alles, kannst aber immer nur eines haben. Umso wählerischer muss die Wahl ausfallen.
Der Totenschädel und der Baum sind der Prozess, doch eigentlich geht es um die ganz Einheit der Vielheit, die hinter diesem „Vielerlei“ steht. Und dann merkt man, dass es gar nie die absolute Klarheit gibt, sondern immer alles zusammen. Leben ist sterben, ein Morsch-werden des Körpers, ein Schwinden der Sinne.
Und genau hier im „ganz sterben, nicht wieder leben“, wo die unterscheidenden Sinne ganz verschwunden sind und nur noch eine Wahrnehmung des Ganzen stattfindet, empfindet der Totenschädel keine einzelnen Freuden mehr, sondern ist nur noch leerer Wiederhall des Ganzen… und erst dann, wenn er hier ganz gestorben ist, reißt dieser Totenschädel wieder die Augen auf! Und der morsche schon tot geglaubte Baum treibt wieder Blüten aus. Aber sind auch die Empfindungen von Erhabenheit im Staunen noch auszulöschen? Gehören die Augäpfel nicht mehr in den Totenschädel? Ist dies mein Leben, dass auf der einen Seite viel von mir schon gestorben ist, aber ich immer noch in der Welt lebe mit meinen Augäpfeln? Sozusagen ein Zombie?
Jeder Tag besteht aus einem Teil Schicksal, das wir annehmen, aber auch aus Entscheidungen, die wir treffen müssen/dürfen. Aber dazu müssen wir erst einmal erkennen, worüber wir entscheiden können…und das setzt aber dann schon wieder eine Differenzierung voraus. Deshalb kann der Mönch vielleicht auch nicht in der wolkenlosen Klarheit stehen und bleiben, weil er ja lebt und solange er lebt und mit seinen Sinnen wahrnimmt (wahrnehmen muss?) und unterscheidet (unterscheiden muss?) und kategorisiert (kategorisieren muss?), wird diese Klarheit immer wieder eingetrübt…auch eine "Grundgelassenheit den Dingen gegenüber“ ist als Prozess zu verstehen.
Ich stehe an!
3. Hinweis
Great Master Ma was unwell. The temple superintendent asked him, "Teacher, how has your venerable health been in recent days?" The Great Master said, "Sun Face Buddha, Moon Face Buddha."
Vielleicht die zentralste Frage im Zen ist der Zugang: Wie kann ich überhaupt verstehen, was in diesen Zen-Dialogen passiert? Wie finde ich zu einer Freiheit aber auch Gebundenheit, die der Zen bedeutet? Der Zugang ist nicht aus Büchern oder direkt von einem Lehrer zu erlernen. Und die meisten Menschen sehen hier auch gar keine Notwendigkeit etwas zu lernen… damit ist der erste Schritt Wunden in gesundes Fleisch zu bohren, d.h. deine Illusionen von gesellschaftlichen Werten aufzudecken bzw. in ihrer Begrenztheit zu zeigen. Es muss etwas aufgebrochen werden, aber dahinter liegt dann kein eindeutiger Weg, kein Gleis, keine Regel. Wenn du denkst, dass du so etwas erkennst, liegst du falsch. Wenn du anstehst, stehst du eigentlich richtig. Ja und Nein, beides falsch. Gutes und Schlechtes können nicht mehr unterschieden werden (siehe auch die Indifferenz bei Ignatius von Loyola). Eine bezeichnete richtige Richtung gibt es nicht.
Mazu liegt im Sterben und der Vorsteher kommt zu ihm und fragt nach seinem Befinden, wie man es halt so macht. Mazu reist hier die Konventionen direkt nieder: Sonnengesicht… Mondgesicht… ein Tag folgt dem nächsten… ist ein Sonnenaufgang oder -untergang gut oder schlecht?… dem Leben folgt das Sterben… ist das Leben oder das Sterben gut oder schlecht? Yuanwu sieht die zentrale Frage hier darin: Wie gewinne ich für dieses Leben Frieden und Freiheit? Jeder Tag bringt etwas Neues oder auch nichts Neues, aber kein Tag ist überflüssig.
Ist es einfach diese Indifferenz, was die offene Weite nichts Heiliges ausmacht? Die Freiheit sich auf jeden Tag und jede Nacht so einzulassen, wie sie ist? Muss ich dieses ganze Netz an Präferenzen niederreissen, was gesellschaftlich und bewusst gesetzt wird? Denn das meiste was mir begegnet kann ich eh nicht ändern… Jedes zu seiner Zeit und es hat keinen Sinn zu klagen. Hat es Sinn sich darüber zu beklagen, dass man die große Liebe noch nicht gefunden hat (und eine solche grosse Lieb, die man erwartet, ist ehr die Wunschvorstellung aus einem Kitschroman und eben keine offene Überraschung)… oder genießt man sie so, auf welch krummen Wegen sie auch daherkommt mag?
Aber was ist der Maßstab, wonach ich mich treiben lasse oder dem ich mich füge? Ist es ganz Kant und Preußentum: ich tue meine Pflicht und erfülle alles was mir begegnet, egal ob ich daran jetzt Gefallen habe oder nicht? Oder kann ich im Leben freiwillig sterben und dann so weiterleben... als toter Baum oder Totenschädel. Denn was hast du zu verlieren, wenn du schon tot bist... und vor allem was hast du zu gewinnen? Jeder Tag kommt aus dem Nichts und ist nicht selbstverständlich... kein Alltag, keine Routine, keine Erwartung. Nicht der Tod scheidet uns, sondern der sterbende Mönch vereint uns.
Hsüä-dou beschreibt in seinem Gesang wie er selber angestanden ist, bei dem was Mazu gesagt hat. Zwanzig Jahre hat er diese Worte mit sich herumgetragen, bis er einen passenden Vers dafür gefunden hatte. Aber nicht nur ihm geht es so. In der Regel steht man vor den Zugängen und Gesängen an. Man findet keinen Anpack, keinen Zugang, nichts ergibt Sinn, man hat zwar das Gefühl, dass man hier etwas sehr Sinnvolles vor sich hat, aber selber nur Splitter sieht… und selbst die Erläuterungen sind nur Splitter, nur ein Ohr hinter dem Busch rausschauen, aber man das entsprechende Tier noch nie gesehen. Und die Erläuterungen, die man rational versteht, wie bei Gundert oder Yamada Koun, erklären nur Hintergrundwissen und nichts Wesentliches. Allerdings muss man sich hüten, vor diesem Gefühl zu flüchten, indem man etwas anderes macht oder nach flachen Erklärungen sucht… denn diese Unruhe macht etwas mit einem. Ich habe das Gefühl, dass diese Unruhe wie ein Mahlstein ist, der Zweifel, Konventionen etc. zu Staub macht… und sozusagen den Weg zur Freiheit schafft.
Und Hsüä-dou findet nach diesen zwanzig Jahren einen Vers, der eigentlich genauso erratisch dasteht. In einer anderen Übersetzung heißt es schlicht: Who were the ancient emperors? Yuanwu sagt dazu nur, dass man nicht an den Worten kleben soll, sondern auf das Eigene zurückgehen soll. Und bringt dann das Beispiel von einer Taube, die von einem Habicht geschlagen wird. Vielleicht bringt das ganze Nachdenken hier auch gar nichts, und man wird geschlagen, aus heiterem Himmel, ohne dass man dies ahnt… aber man bereitet es in sich vor… manchmal zwanzig Jahre. Zwei Menschen gehen ihren Lebensweg, machen Erfahrungen, denken nach und treffen dann auf einander… keiner hat dieses Treffen geplant, aber es passt… klack, wie der Habicht, der sich die Taube schnappt, kein Nachdenken, sie ist sofort und ganz tot respektive verliebt. Ist es so auch hier? Ich muss mir die Fälle zwar intellektuell erschließen, aber das eigentlich passiert im Hintergrund und dann vielleicht irgendwann mal plötzlich.
Und was bedeutet dann der Vers: Who were the ancient emperors? Es sind doch nur Menschen, die großes Gewese um sich gemacht haben, die viel menschliche Macht hatten… und was ist übrig geblieben… ihre Reiche sind vergangen, sie sind gestorben und sie sind vergessen… ich persönlich kenne keinen einzigen. Sie sind Sonnengesicht, Mondgesicht ohne es je gewusst zu haben.
WO IST SUDHANA ?!?!?!?!?!?!?!
4. Hinweis
When Te Shan arrived at Kuei Shan, he carried his bundle with him into the teaching hall, where he crossed from east to west and from west to east. He looked around and said, "There's nothing, no one." Then he went out.
Hsueh Tou added the comment, "Completely exposed." But when Te Shan got to the monastery gate, he said, "Still, I shouldn't be so coarse." So he reentered (the hall) with full ceremony to meet (Kuei Shan). As Kuei Shan sat there, Te Shan held up his sitting mat and said, "Teacher!" Kuei Shan reached for his whisk, whereupon Te Shan shouted, shook out his sleeves, and left.
Hsueh Tou added the comment, "Completely exposed.“
Te Shan turned his back on the teaching hall, put on his straw sandals, and departed. That evening Kuei Shan asked the head monk, "Where is that newcomer who just came?" The head monk answered, "At that time he turned his back on the teaching hall, put on his straw sandals, and departed."
Kuei Shan said, "Hereafter that lad will go to the summit of a solitary peak, build himself a grass hut, and go on scolding the Buddhas and reviling the Patriarchs."
Hsueh Tou added the comment, "He adds frost to snow."
Im Mittelpunkt steht hier das freien Lauf lassen oder festhalten. Dö-Schan kommt in die Halle und findet nichts, weil er in Klarheit ist, der nichts hinzuzufügen ist, auch nicht durch eine Meditationshalle. Gleichwohl merkt er schnell, dass etwas falsch daran ist, nur selbstverliebt in dieser Klarheit zu leben und meldet sich beim Abt, um mit ihm zu sprechen. Damit lässt er sich auf einen anderen Menschen ein, der einen anderen Blick hat. Interessanterweise erkennen die beiden sich sehr schnell in ihrer Klarheit und Dö-Schan schneidet das Gespräch ab, wo es anfängt zu konkret zu werden… sie haben sich auf gemeinsamen Grund bereits erkannt und aufeinander eingelassen.
Aber was bedeutet dieses Verhältnis von Loslassen und Festhalten für mich im Alltag? Festhalten ist dann, dass alles in seiner Bedeutung eingeordnet wird: das meiste ist nur Spiel, berufliche oder akademische Erfolge, kommunikative Erfolge in Schlagfertigkeit, Beliebtheit etc. Hier muss man an sich halten, sich davon nicht vereinnahmen lassen. Was zählt ist große Liebe und der Tod. Davor muss sich alles relativieren. Aber man darf nicht nur aus dieser Perspektive leben, es ist arrogant, wenn man die Welt betrachtet, dass es alles Illusion und eine Verschwörung der Idioten ist. Und dies wäre dann das wieder Loslassen, ich lasse mich auf die Banalitäten des Alltags ein, lasse mich davon aber nicht einnehmen, sondern relativiere diese nur in seiner Bedeutung. Und dann steigert sich beides gegenseitig.
Ich kann den Alltag besser meistern, wenn ich weiß, was wichtig ist: wenn ich wissenschaftlich Aufsätze schreibe, wenn ich etwas zu sagen habe, und nicht weil es für die Karriere wichtig ist. Ich spüre die Liebe einer Liebesbeziehung realistischer, wenn ich gemeinsam einen Alltag mit Kindern organisiert bekomme, als wenn ich als Teenie verliebt auf der Wiese liege. Und doch ist es dieser feine Grat des stetigen Wechsel zwischen beiden Seiten: Dö-Schan erkennt schnell, wann er wieder wechseln muss.
Aber sind es eigentlich zwei Seiten, zwischen denen man wechselt. Kann man diese trennen? Ich hatte nach Jorams Tod oft das Bild, dass ich in einer Bretterhütte sitze und das Licht zwischen den Bettern durchscheinen sehe. Allerdings komme ich aus dieser Hütte nicht heraus, bin eingesperrt und kann die Bretter nicht aufbrechen oder bewegen. Ich weiß, dass das Licht da ist und ich nur davon getrennt bin durch diese dünne Bretterwand. Ich spüre auch, dass dadurch die Hütte gewärmt wird und ich mich auch etwas wärmen kann, durch manchen Lichtspalt der auf meine Haut fällt… aber raus aus der Hütte komme ich nicht.
Einen zeitlang habe ich versucht im Gebet Ruhe zu finden… so wie es die Zen-Meditation vorschreibt. Erstens fand ich dies schwer und zweitens fühlte es sich falsch an. Genauso im christlichen Gebet: ich bin nicht so gut Gott nur zu loben und zu danken. Was ich vielmehr mache ist, dass ich meine Widersprüche, meine Unruhe, meine Gefangenheit hier hereinbringe. Und sie so mit SEINEN Augen anschauen kann und dieses sich dadurch ordnet und auch zermahlen wird.
Allerdings zeigt die Hütte auch dieses Verhältnis von Loslassen und Festhalten…ich muss mich und meine Alltag sehen, die Bretter erkennen, in ihrer Schrägheit und Individualität und so auch in ihrer Schönheit… in ihrer eigenen Gestalt lassen sie auch das Licht durch, bearbeite ich sie zu stark habe ich eine illusionäre Geborgenheit von einem Eigenheim und sehe das eigentliche Licht nicht mehr.
Inwiefern begibt man sich in Gefahr, durch dieses gegenseitige Durchschauen? „Festhalten und Loslassen" - was sich auf den ersten Blick diametral gegenübersteht oder sich gar ausschließt, bedingt sich bei näherer Betrachtung gegenseitig: Ich kann nur Festgehaltenes loslassen und nur Losgelöstes festhalten.
Dieses fragile Gefüge steht nur allzu oft an der Kippe - ein Geländer (vom Schwiegervater erbaut) schützt uns aber im Alltag vor dem Fall über die Böschung. „Es fehlt nicht viel zum Sturz von steilem Hang“ - wenn diese Schwelle jedoch einmal überwunden ist, gibt es kein Zurück mehr. Eine Dynamik gerät in Gang, es läuft von selbst, eines geht ins andere über. Mühelos - ja fast beschwingt - stürzt man hinab, kullert purzelbaumschlagend in die Tiefe. Man wird mitgerissen, steht den Dingen machtlos gegenüber und kann sie nicht mehr aufhalten.
Die ständige Angst vor dem Unkontrollierbaren, vor dem Unterbewussten…man steht auf der Spitze des Eisbergs, immer im Begriff, diesen „steilen Hang“ hinabzufallen in das Reich des „ES“, des Triebhaften, des Schambehafteten, des Exilierten seiner Selbst? Das nicht-Sagbare, das nicht-Denkbare, das moralisch absolut unaussprechliche.
Dieser moralische Wildwuchs, der einfach nicht totzukriegen ist und seine eigenwilligen Blüten treibt. Inwieweit versucht man das „Es" zu verdrängen oder zu kontrollieren, mit Geländer und Hinweisschildern zu „domestizieren“ …das Loslassen dieser Schwiegervaterdinge führt zum freien Fall, diesen kleinen Tod den man dabei stirbt, um sich zu erlösen. Wie ein Orgasmus. Und wie stürzt man denn am Hang beim Skifahren? In dem man bewusst nachdenkt, wie man sich bewegen muss, d.h. auf die moralischen Vorgaben hört. Man fährt beschwingt wenn man mutig ist und sich einfach hineinstürzt und darauf vertraut, dass man von selbst die Fertigkeit in sich hat. Es ist gut die ganze Ratschläge mal gehört zu haben, aber sie müssen schon in den Beinen angekommen sein, und deine Ratschläge geworden sein.
Es fährt sich freier mit bekotzter Skijacke, auch wenn die Kinder des Schwiegervaters lachen.
5. Hinweis
Hsueh Feng, teaching his community, said, "Pick up the whole great earth in your fingers, and it's as big as a grain of rice. Throw it down before you: if, like a lacquer bucket, you don't understand, I'll beat the drum to call everyone to look."
Wieder ein guter Zugang zum Anstehen. Ein Einfallstor kann sein: „Hast du noch nie das Wort gehört: Was von außen zum Tor hereinkommt, ist des Hauses wahres Kleinod nicht. Du musst es aus der eigenen Brust her so strömen lassen…“ Hsüä-feng hat lange als Reiskoch gearbeitet, bei verschiedenen Köchen und gedacht, dass er durch ihre Lehre die Wahrheit finden würde. Das Kochen ist eh ein gutes Beispiel dafür und es gibt einen wundervollen Text von Dogen Zenji dazu (Uschiyama 2017).
Denn es geht nicht um intellektuelles Verständnis inwiefern in einem Reiskorn das ganze Universum enthalten ist, wie Wasser und Sonne und Arbeit etc. dort eingegangen sind. Sondern um eine fast schon intime Praxis. Man lernt die Kochkunst durch Rezepte UND dadurch dass man die Rezepte ignoriert und es aus dem Handgelenk macht. Beispiel: Ich habe erst sehr langsam gelernt Reis zu kochen. Meine Schwiegermutter hat immer gesagt, ich muss einfach nur die doppelte Menge an Wasser abmessen dafür. Ich habe geantwortet: für welchen Reis? Milchreis, Klebereis, Basmati, Thai-Reis? Aber was mich eigentlich so geärgert hat, war das Verhältnis zum Kochen… denn dieses Abmessen ist Garen und kein Kochen (auch Stichwort Therrmomix). Ich kippe doch einfach nur Wasser auf den Reis ohne nachzudenken… und am Ende kommt es gut aus… ich stelle keine Wecker, sondern merke, wann er fertigt ist. Das wäre für mich Kochen, das ist Leben und auch das allgemeine Finden von Wahrheit.
Ich kann das Katholische übernehmen und ein ganz getreuer Diener darin sein… wie Papst Benedikt, total gebildet und klug, aber so tot langweilig. Ich habe immer das Bild von ihm als Tunte in einer Konditorei, der eine schicke Sahne-Hochzeitstorte macht und diese schön garniert, mit hier einem Kringel Augustiuns, da ein Schokoherzchen Bonaventura auf der Torte anbringt… etc. Die Torte ist schick anzusehen, und wenn man sie ist, wird man zwar satt aber bekommt nur Bauchschmerzen. Przywara ist da eher der Brotbäcker, der den Teig knetet, der schwitzt, der sich fühlt in der Arbeit, in der Hitze des Ofens, der Geruch des Sauerteigs… und der etwas macht, wovon man wirklich leben und zehren kann.
Benedikt hat Menschen nichts anzubieten, die wirklich Hunger haben, die also sich wirklich der Frage nach Leben, Tod und Gott stellen. Nur denen die zufrieden in dem sind, was sie vorfinden und dies noch intellektuell als Glasperlenspiel durchdringen wollen, kann er was anbieten… was aber nicht mehr ist als Zeitvertreib!
Das Sauerteigbrot ist lebensnotwendig, die Torte Dekadenz… oder doch nicht? „Wer ist‘s, für den die Blumen all/ im Lenz erblühen, wer?“
Selbst in eineinhalb Jahren auf Distanz, kann ein ganzes Leben sein.
6. Hinweis
Yun Men said, "I don't ask you about before the fifteenth day; try to say something about after the fifteenth day."
Yun Men himself answered for everyone, "Every day is a good day."
Jeder Tag ein guter Tag! Was für ein widerlicher Kalenderspruch… denk positiv! Ich könnte kotzen, tausende Kinder verhungern jeden Tag, es wird Krieg geführt, Kinder werden wahrscheinlich nicht wenige 100 Meter von uns entfernt jeden Tag missbraucht… denk positiv?!? Ja, kannst ja eh nichts dran ändern, blende es aus, und fokussiere darauf, was du jeden Tag was Tolles machst und bewundert wirst. Jeder Tag ein toller/doller Tag! Ich könnte kotzen.
Und dann behauptet dies Yunmen noch nicht einmal als Bilanz, d.h. wenn du Licht und Schatten deines Lebens aufwiegst, war es positiv am Ende. Nein, dies soll für jeden einzelnen Tag gelten. War der Todestag meines Opas ein guter Tag für meine Oma? Klar, wieder Kalenderspruch: Er wurde von seinem Leiden erlöst etc…blablabla…kotz!
Yunawu erläutert es damit, dass durch diesen Satz jede Unterscheidung von einem Zuvor und Nachher an der Wurzel abgeschnitten wird. Hakuin kommentiert: „This saying is cold; it has no explanation. It is hard to penetrate, hard to understand (Cleary 2000: 22). Für die Zen-Meister scheint dieser Spruch also etwas ganz Grundlegendes auszudrücken, was sicher nicht auf dieser Kalenderspruchebene liegt.
Zum einen bindet es Yunmen gar nicht an einzelne Tage, denn man soll nicht einen vergangenen Tag beurteilen oder eine Bilanz für eine Zeitspanne vornehmen, sondern für kommende Tage, wo man noch nicht weiß, was passieren wird. Es kann also gar nicht um konkrete Dinge gehen und damit auch nicht darum, auf das Positive zu fokussieren und das Leiden (meistens der anderen) auszublenden. Sondern eher eine Grundeinstellung, vielleicht das, was Ignatius von Loyola im Prinzip und Fundament als Indifferenz beschrieben hat: weder Gesundheit noch Krankheit wünschen (Przywara 1938: 129ff.). Und damit wären wir tatsächlich am Angelpunkt, um den sich bei Ignatius alles dreht… und wo er mit dem Zen auf einer Linie liegt. Aber was bedeutet dies genau?
Geht es darum, dass ich von mir selber absehe? Mich genauso darüber freuen kann, wenn jemand was geschenkt bekommt, aber man selber nicht? Aber es verhungert kein Kind, nur weil ich satt bin. Leben ist in den meisten Fällen kein Nullsummenspiel. Bedeutet dies dann eine ganz devote Haltung, dass man das eigene Handeln/Wünschen etc. alles dem Willen Gottes unterordnet? Oder dass man wie im Zen ganz leer ist, d.h. keine eigenen Empfindungen mehr hat? Ist das Ideal dann der Student der am Ende der Nacht so betrunken ist, dass es ihm egal ist, mit wem er jetzt nach Hause geht und Sex hat?
Aber irgendwie ahnt man, dass hier etwas sehr Wahres drin liegt… etwas sehr Schönes, was tatsächlich Liebende vielleicht erfahren. Aber was ist das, wenn es nicht Ausblenden oder eine plumpe Indifferenz ist? Interessant ist, dass wenn man dies von Ignatius her denkt, dass es nicht darum geht, dass man keine Unterschiede kennt oder macht, d.h. angemessen auf verschiedene Situationen reagiert. Damit steht der indifferente Mensch schon sehr fest mit beiden Beinen in der Welt (dies würde der Zen auch immer so sagen).
Möchte man in einer Liebesbeziehungen nur Sonnentage erleben? Nein, man möchte auch an den Regentagen zusammen sein... vielleicht an denen sogar noch mehr, als an den Sonnentagen. Und ist damit nicht jeder Tag zwar nicht ein schöner Tag, aber ein guter Tag, in dem Sinne, dass man zusammen ist? Und kann man darüber eine Analogie zum Gottesbezug herstellen oder zur Leere im Zen?
Aber was versteht Ignatius genau unter Indifferenz? Als Pilger und Fremdlinge auf Erden werden alle Dinge nur als vorläufig und nicht so wichtig angesehen, soweit sie nicht zur größeren Ehre Gottes beitragen, d.h. letztendlich wird alles auf die Liebe (αγάπη) bezogen. Aber diese Ausrichtung muss immer wieder neu erreicht werden, immer wieder verfällt man diesem Alltag und dessen Bedeutungszuschreibungen. Es geht auch um das Loslassen von Fixierungen, was Vorurteile aber auch Pläne bedeuten können. Indifferenz ist aber das Gegenteil von Gleichgültigkeit schreibt Rahner (1965: 27ff.). Es geht vielmehr um ein klares Ja, zu dem, was uns (von Gott gegeben) begegnet und dieses anzunehmen und zu durchleben, in all seinen Facetten. Balthasar (1993: 68) betont, dass dies keine anthropologische, sondern eine trandszendente Bestimmung des Menschen ist: der Mensch wird unter den Willen Gottes gestellt. Hier geht es nicht um Selbstverwirklichung, sondern um Dienst als Lob Gottes. Er führt als bestes Beispiel Maria an, die immer auf den Ruf Gottes hört… und dies obwohl dies oft gegen das normierte Gesellschaftsbild spricht: uneheliches Kind, es soll ein König sein, in einer Krippe… um dann letztlich seine Bestätigung am Kreuz findet… und selbst da hält sie daran fest. Und warum? Nur weil sie ein unbeschreibbares Gefühl hat, dass dies richtig ist. Sie versteht es nicht, aber fühlt, dass es richtig ist. Sie bewahrt alles Unverstandene in ihrem Herzen und lässt es da reifen oder hebt es auch nur auf (Aufheben in seiner ganzen Mehrdeutigkeit).
Damit lebt der Christ nicht aus einem durch Werte, Traditionen etc. normierten Lebenslauf, sondern ist gerade auf das Unvorhersehbare des immer größeren Gottes gefasst, dessen Geist weht, wann und wie er will (Joh 3,8), ohne dass wir dies verstehen. Glaube ist damit nicht ein festes kohärentes Wertesystem der Dogmatik, sondern das Vertrauen, dass die ganzen Widersprüche, Gefühle, Unvollkommenheiten, Schönheiten, Lieben letztendlich nicht durch uns in eine ganze Gestalt gebracht werden, sondern nur eschatologisch durch IHN (Off 21). Und deswegen liebt Jesus die Sünder und nicht die Pharisäer, da die Sünder ihre ganze Widersprüchlichkeit und Gebrochenheit leben, die Pharisäer/Schwiegerväter aber alles in ein festes Normenkorsett hin abtöten.
In Hinsicht auf die Mesotes-Lehre findet man auch interessante Parallelen im Yi-Jing: während Aristoteles darin den Ausgleich sieht, ist es im alten China so konzipiert, dass es um die Steigerung der Gegensätze/der Pole geht und nicht in erster Linie um den Ausgleich (siehe Jullien 2001: 29ff.). Mit dieser Einschätzung wird Jullien zwar Aristoteles nicht ganz gerecht, aber eine interessante Zuspitzung: so dass es zum einen darum gehen kann, die Pole zu steigern (etwa in Form einer Paradoxie) oder als in eine Harmonien und Auflösung zu bringen (etwa in Form einer Dialektik). In dieser Hinsicht ist auch die Diskussion zwischen John Milbank (Paradoxie) und Slavoy Zizek (Dialektik) interessant (Milbank/ Zizek 2009).
Und auch Jesus ist ein Beispiel für eine Biografie mit Brüchen und Paradoxien, die nun gar nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht und wohl auch nicht seinen eigenen Erwartungen (siehe Gethsemane)… er aber immer darauf setzt, wieder geheilt zu werden bzw. dass dies immer schon der Fall ist… jeder Tag ein guter Tag. Es geht darum „das von Gott für mich Erwählte zu meiner eigenen Wahl zu machen. […] Gib mir deine Liebe und Gnade, das ist mir genug.“ (Balthasar 1993: 72) Damit ist das Fundament allein die Liebe, die kein berechenbarer Grund ist, auf den man sich versichern kann, sondern mit Brüchen und Widersprüchen versehen, aber dennoch der einzige Grund der letztlich trägt. Und oft geschieht auch erst über Brüche und Paradoxien ein zusammenwachsen, d.h. dass erst eine Trennung oder Widerspruch dazu führt, dass eine stabile und bewusste Beziehung zusammenwächst. Aber dann bedeutet dies nicht nur eine Verbindung, sondern in seiner zweiten Bedeutung, dass es immer ein über-hinaus ist, was in dieser gemeinsamen Interaktion und einer Liebe passiert: so ist Leben dann Zusammenwachsen.
Dieses Zusammenwachsen ermöglicht Yünmen, indem er Schranken und Markierungen von uns nimmt: „Er besaß Beißzange und Hammer, um den Leuten die Nägel aus dem Kopf zu ziehen und ihre Pflöcke auszureißen. […] Das schneidet als tausend Unterschiede an der Wurzel ab und geht über heilig und gemein hinweg. […] (und das, meint Yüan-wu, besteht eben darin, sie über alle Unterscheidung, über alles Einzelne, Besondere hinauszuführen). Am Ende seiner Frage gibt er selbst die Antwort: Tag um Tag ist guter Tag. Dieses Wort geht durch Vergangenheit und Gegenwart glatt hindurch, schneidet jede Unterscheidung von zuvor und naher an der Wurzel ab.“ (Gundert 1960: 150f.)
"Eines lässt er liegen, holt sich dort dafür sieben.“ Beginnt Xuedou Chongxian seinen Gesang zu diesem Zugang. Was lässt man liegen, wenn jeder Tag ein guter Tag ist? Ich lasse den Masstab liegen, woran ich den Tag messe. Ich gebe dieses gesellschaftliche Moralgerüst auf, wonach ich alles bemesse und einschätze, was ich tue und erlebe. Er holt sich nicht hier sieben, sondern DORT. In diese abenteuerliche Reise bricht er aber völlig entschlossen, mutig und voller Vertrauen auf.
Yuanwu kommentiert dies damit, dass man, in das vorzudringen hat, was der Bildung von Worten und Sätzen vorausgeht, d.h. wie wenig ist es, wenn man nur auf dieser Wort- und Kommunikationsebene bleibt? Wie schal ist es, wenn man nur das Spiel hier spielt ohne etwas dahinter zu haben? Der Streber, der ein Liebesgedicht super interpretieren kann, weil er es sich angelesen hat, worauf etwa Goethe in der Mythologie anspielt etc., dagegen der Schulverweigerer, der weiß was Goethe meint, weil er total in seine Klassenkameradin verliebt ist, aber keine Ahnung hat, wie man das beschreiben soll und auch denkt, was geht dies die verfickte Lehrerin an. Aber wer bekommt die gute Note und was wird gesellschaftlich mit sehr viel Druck erzeugt?
Yuanwu schreibt weiter, „der den großen Tod gestorben ist und dabei im Gegenteil das Leben findet“ (154), für ihn zählen die guten Noten nicht, sondern man muss allem Absterben, was damit zu tun hat. Allerdings ist dieses Absterben nichts, wo man einfach seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt und dann zähneknirschend den gesellschaftlichen Normen, dem Dienst zum Lobe Gottes dient oder dem kantischen Sittengesetz unterwirft… sondern eine Freiheit!
Und diese Freiheit im großen Tod, ist dann die Erklärung von Yunmen: denn „dem ist nichts zu vergleichen“ geht der Vers weiter. Wie kann man Tage überhaupt vergleichen? Wenn ich keinen vorgegebenen Maßstab mehr habe, wie findet dann ein Vergleich statt? Es ist ein besserer Tag, wenn ich den Kumpels erzählen kann, dass ich eine gute Note und die Freundin heute geknallt habe… bin ich verliebt, ist mir die Note scheißegal und es ist schön die Liebe sich in ihrer je eigenen Form an diesem Tag entfalten zu lassen. Dann gibt es keine besseren oder schlechteren Tage, sondern nur gute Tage, d.h. gut in dem Sinne, dass ich mich ohne großen Maßstab auf das einlassen kann, was mir begegnet… lebe jeden Moment. Und wenn ich diese Massstäbe aufgebe, bekomme ich, obwohl ich jetzt eigentlich erstmal mit nichts dastehe es doch siebenfach (d.h. unendlich) in Fülle zurück. Ist auf diese Weise, dann jeder Tag ein guter Tag?
Denn hier geht es um keine rechnende Bilanz, sondern um eine Grundeinstellung. Denn nicht ohne Grund fragt Yunmen nicht, ob sie die vergangenen Tage als gute Tage werten, sondern die zukünftigen Tage, die sie also noch gar nicht kennen und so auch nicht berechnen können in ihrem Ertrag. Diese wertenden Maßstäbe sind die Pflöcke die Yunmen lebenslang versucht aus den Köpfen der Menschen zu ziehen. Und das es so auch keinen Unterschied zwischen den Tagen gibt, nicht zwischen den vergangenen und mit einer solchen Grundeinstellung auch nicht zwischen den kommenden Tagen.
„Feierlich schreitet der Fuß auf dem Rauschen der strömenden Wasser“, so führt Xuedou seinen Gesang weiter. Hier ist dieses Spiel der Gegensätze von Chaos (rauschender Fluß) und Ruhe (feierlich Schreiten) sehr eindrücklich. Als Westler hat man direkt die Assoziation zu Heraklits Fluß, in dem man nicht zweimal gleich steigen kann. Der Fluß als dauernde Veränderung und damit auch ein gutes Bild für die uns mitreissenden Tagen. Nur meist schreiten wir nicht über dieses Wasser, sondern werden mitgerissen und hin und her geworfen von den Fluten, schaffen es gerade uns über Wasser zu halten… das ist Leben, das ist Abwechslung, das ist aufregend und umso weiter man im Fluß gekommen ist, desto besser. Von der Landschaft hat man aber nichts gesehen und sich selber hat man auch nicht kennengelernt, sondern hat sich treiben und mitreißen lassen.
Das feierliche Schreiten hat dagegen etwas von einer ganz anderen Dynamik. Es folgt zwar weiterhin dem Flusslauf, aber etwas abgekoppelt davon - nichts erzwingt, weil nicht nur heute ein guter Tag ist, sondern der richtige Zeitpunkt (καιρός), der immer irgendwann kommt.. Es wird auf dem Rauschen einhergeschritten. Man denkt direkt an Jesus, der über den Wassern ebenfalls einherschreitet (Joh 6, 16-21), während seine Schüler bedrängt im Unwetter im Boot die Orientierung verloren haben. Diese feierliche Bewegung von Jesus ist eine Grundeinstellung, die auch Yunmen hier im Blick hat. Eine Grundeinstellung die vertraut, aber auch nicht erwartet. Hier findet eine Resonanz statt, wo es allerdings nicht mehr um ein „Was“ geht, sondern darum „Dass“ etwas ist. Damit eine Grundeinstellung, die offen ist und nicht an eigenen Vorstellungen hängt, aber sich in Anspruch nehmen lässt.
18.06.2021
7. Hinweis
A monk (named Hui Ch'ao) asked Fa Yen, "Hui Ch'ao asks the Teacher, what is Buddha?"
Fa Yen said, "You are Hui Ch'ao."
Wer ist der Buddha? Eine zentrale Frage, die im Buddhismus immer wiederkehrt, aber nie endgültig beantwortet werden kann. Auch bei uns heißt es “Gottes Wege sind unergründlich“. Aber sind das nicht auch meine Wege zu Gott? Bevor ich also frage, wer Gott/Buddha/Allah ist, muss ich erst einmal klären, wer ich selbst bin. Wer bin ich also? Und wo stehe und befinde ich mich eigentlich? Erst wenn meine Position geklärt ist, kann ich von dort aus meine Zugänge finden. Der eine geht in die Kirche, andere spüren durch bestimmte Rituale, Meditation, vielleicht sogar durch Sex, Rausch (durch Drogen oder Musik oder Kunst) oder einfach so in einer banalen Alltagssituation die Nähe zum Göttlichen.
Denn es gibt nicht den einen Universalweg, und keiner kann dir sagen, was dein Weg ist. Den kann nur jeder für sich selbst finden. Manche suchen ihr Leben lang, verzweifeln und verlieren sich darin, weil sie sich selbst verloren haben. Zu verlockend mögen da die vorgefertigten Lösungen klingen, ein Versprechen, eine „einfache Lösung“. Kann das in die Kirche gehen und den Traditionen folgen vielleicht auch nur der Wunsch nach einer Abkürzung sein?
Viele fühlen sich auf ihrer Suche hilflos und verlassen, wissen nicht wohin. Vielleicht auch weil sie sich selbst verloren haben. Sie suchen alles im Außen, in der Ablenkung, in der Berieselung, im Entertainment, in vorgefertigten Bahnen und normierten Lebensläufen. Fragen lieber Außenstehende nach ihrem Weg zu Gott, anstelle in sich selbst zu wühlen und zu wuseln. Denn eine Innenschau und Einkehr kann (und muss vielleicht sogar) auch von tiefen Zweifeln, Wut, Frustration, Sinnlosigkeit und Leere geprägt sein.
Klar kann man auf die Frage „Wer ist Buddha?“ Oder „Welche Bedeutung hat das Kreuz?“ eine Antwort geben und diese gibt es ja auch ganz vielfältig und sehr differenziert in der Theologie. Aber eigentlich ist das alles nur etwas um akademische Grade zu erlangen, Glasperlenspiel… aber dies dringt nicht ein zum wahren Geschehen, sie hat nichts mit der eigentlichen Sachen zu tun, es hilft mir nicht in meiner Not und in meinem Leben. Und allein das Hui-tschau mit dieser „Frage daherkommt, zeigt, daß es mit ihm nicht ganz richtig steht.“ (Gundert 1960: 166)
Fa-yän antwortet auf diese Frage nur, dass es immer um die jeweilige Person geht, in diesem Fall interessiert nicht der Buddha in erster Linie, sondern um Hui Chao. Ich muss meine Antwort auf diese Frage finden… und dies in jedem Moment neu. Darauf weist auch Yuanwu in seinem Kommentar dazu hin: „Seht, so sind diese Alten zur Erleuchtung gelangt. Wie, nach welcher Vernunftordnung ging das wohl zu? Das dürft ihr euch nicht einfach von dem Mönch des Berges erklären lassen. Dieser Frage muß ein jeder alle zweimal zwölf Stunden des Tages nachgehen, in der sich in feinster Unterscheidung geistiger Dinge übt.“ (Gundert 1960: 169)
Man kann sich hier nichts anlesen und auswendig lernen… jeder Streber ist hier hoffnungslos verloren. Man kann aber sich auch nichts ausdenken und ergrübeln…jeder Grübler steht am Ende immer vor dem Selbstmord. Vielmehr muss die Antwort ganz woanders herkommen. Die Frage nach Buddha oder nach dem Kreuz muss alles in mir zerbrechen… ich finde keine Antwort darauf in der Literatur, ich finde keine Antwort darauf in meinem Nachdenken, ich finde nur eine Antwort darin, dass sich aller Halt auflöst, meine Konstruktion der Wirklichkeit in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit für die wirklich wichtigen Dingen zerbricht. Und ich am Ende nur in einer Aporie dastehe… mein Geist ist im absoluten Leerlauf, kein Halt mehr, es ist nur eine ganz seltsame Schwebe da. Auf der einen Seite beängstigend, wenn man wieder anfängt darüber nachzudenken, weil man so über dem Abgrund schwebt, auf der anderen Seite ist es aber auch eine ganz eigentümliche ruhige Freiheit.
Aber was führt zu dieser Ruhe? Was stoppt die ganze Unruhe an Erwartungen, die wir an uns selber und die Gesellschaft an uns stellen? Es ist keine inhaltliche Botschaft, die übermittelt werden kann, auch wenn dies letztlich dazugehört, so wie das Avatamsaka-Sutra die inhaltliche Grundlage des Zen darstellt (Gundert 1960: 177f.; Suzuki 1934). Aber hier darf nicht stehengeblieben werden, sondern es muss ein Überstieg stattfinden. So führt Yuanwu diesen Zugang folgendermaßen ein: „Das eine Sätzchen, das der Stimme vorausgeht, das können all die Tausend Heiligen dir nicht sagen. Solange du es noch nicht in persönlicher Audienz vernommen hast, ist es als trennten Tausende von Welten dich von ihm.“ (Gundert 1960: 165)
Aber dieses „Sätzchen“ ist kein Lehrsatz, sondern es ist eher eine Zusage. Und es ist auch nicht esoterisch, in dem Sinne, dass es ein geheimer Satz oder ein Mantra wäre. Zwar ist für jeden das Sätzchen ein anderes (und somit dann doch esoterisch), aber diese sind bekannt: so etwa ein „Ich liebe dich!“ oder auch nur ein „JA!“, was zu mir gesprochen wird. So kann der Satz „Ich liebe dich!“ die ganze Welt verändern, indem danach die ganze Welt durch eine rosa Brille gesehen wird. Aber eben nur für den, dem dieses Sätzchen direkt zugesprochen ist und der für diesen Satz auch bereit ist und diesen annehmen kann. Man kann diesen Satz tausend Mal in Büchern lesen und man kann sich durch Romane auf die Liebe vorbereiten - aber kein Roman kann diesen mir zugesprochenen Satz ersetzen. Und hierin liegt auch das große Mysterium der Religion, so dass ich mich wie in der Liebe auch hier ansprechen lassen muss, so dass ich mich in meiner Einzigartigkeit als gewollt annehmen kann und darf: Ich will dass du bist! Dies flüstert mir Gott zu. Aber eben nur Gott selbst und kein Dogmatik-Handbuch. Und Gott spricht so leise und man muss gut vorbereitet sein, dies nicht nur zu hören, sondern auch annehmen zu können… diese unendliche und unbedingte Liebe, die mir hier entgegengebracht wird.
Hsüä-dou bringt hierfür sehr anschauliche Bilder. „Ein Rebhuhn ruft tief im Versteck wo Blütenbüsche steh’n:“ (Gundert 1960: 170) Wie das Rebhuhn ruft, so ruft auch Gott bzw. hier im Beispiel der Meister seinen Schüler. Er spricht ihn an, aber quasi aus dem Nichts, so wie das Rebhuhn zwar in seinem Ruf klar vernehmbar ist, aber mit seinem Gefieder in den Blüten nicht zu erkennen ist. Man bekommt es auf diese Weise nie zu greifen, man hat nur den Ruf, den man aufnehmen kann und dann ihm folgen.
Und auf diese Weise folgen dann auch die Fische einem Ruf im darauf folgenden Vers: „Ein Fisch am dreigestuften Fall stieg hoch, flog auf, ward Drache.“ (Gundert 1960: 170) Die Fische am Wehr riskieren alles. Entweder sie überspringen das Wehr oder sie sterben davor oder falls sie es nicht schaffen, verenden sie am Ufer. Aber selbst dieser Flug reicht Yuanwu nicht aus… sie sollen zertreten werden. Es geht nicht um den Höhenflug und sich dann im Glanz des „Erleuchteten“ feiern und bewundern zu lassen, sondern darum, wieder im Wasser zu landen und weiterzuschwimmen. Der Fluss und das Schwimmen sind das gleiche wie vorher. Hier hat sich eigentlich nichts geändert - nur das diese Fische beim Übersprung des Wehrs ihr Leben riskiert haben. Allerdings haben die Fische, die das Wehr übersprungen haben, nun die Möglichkeit zu laichen, was die anderen Fische nicht haben. D.h. wie beim Ochsen und dem Hirten: beide sind auf dem Marktplatz, aber sie sind vollkommen anders.
Und nur die Idioten stehen jetzt am Wehr und haben ihren Halt am Geländer, und merken gar nicht, dass sie so nichts zu sehen bekommen… denn die Sicherheit geht vor. Und sie suchen nach den Fischen, die zwar dort wieder als Drachen ins Wasser gesprungen sind, aber eben nicht dort stehen bleiben, um vom Dogmatiker gefangen, seziert und klassifiziert zu werden. Sondern sie schwimmen weiter, von der Liebe angetrieben, ihren Nachwuchs zu laichen.
Ein Sprung, Leben riskiert, alles wie vorher - doch alles anders! Weg offen, Wehr hinten!
8. Hinweis
At the end of the summer retreat Ts'ui Yen said to the community, "All summer long I've been talking to you, brothers; look and see if my eyebrows are still there."
Pao Fu said, "The thief's heart is cowardly." Ch'ang Ch'ing said, "Grown."
Yun Men said, "A barrier."
Die Begegnung hier beschreibt die Zen-Interaktion, wie sie nur selten stattfindet, wie zwei Pfeile deren Spitzen sich in der Luft treffen. Auf der einen Seite ist eine solche Begegnung das Unwahrscheinlichste, was es überhaupt gibt, auf der anderen Seite aber auch das Selbstverständlichste, weil es Harmonie ist und damit ein Moment des höchsten Zusammenpassens und ein Gefühl der Richtigkeit hat. Hier geht es darum „den Boden aufzuzeigen, auf dem die vier Freunde stehen, den Boden grundlegenden Verstehens überhaupt.“ (Gundert 1960: 193f.)
Allerdings ist dies nichts, was man machen kann, sondern man sich nur schenken lassen kann. In diesem Zusammenhang könnte dann auch der Begriff der Gnade neu und unmoralisch formuliert werden. „Das Große Wirken, wo es in Erscheinung tritt, weiß nichts von Regeln und Geleisen“ (Gundert 1960: 183). Eine wahre Begegnung kann erst dann stattfinden, wenn der Schwiegervater (der für Moral und Anstand steht) tot im Bett liegt. Vielleicht hilft es, wenn man noch die Wärme des toten Körpers spürt und das Blut riecht, um jemanden anderen zu erkennen, der dies gerade auch getan hat… vielleicht ist diese Euphorie des Mordes nötig, um ins Neuland aufzubrechen? Aber muss dies auch irgendwann überschritten werden? Der Schwiegervater muss begraben werden, und es beginnt ein Alltag ohne ihn. Denn die Kraft, die der Mord gekostet hat, habe ich nun doppelt und dreifach wieder zurückbekommen… und dies auch, wenn man das grundsätzliche Gefühl hat, jemanden gefunden zu haben, der einen versteht, darf man sich auch blind mitnehmen lassen. Und wenn man blind vertraut, sieht man ohnehin keine Augenbrauen mehr. Aber diesen Mut zu folgen, muss jeder für sich mitbringen und den Mut, sich mit geschlossenen Augen hinzugeben... Schutzlos und ausgeliefert. Aber total bei sich.
Aber dies darf nicht in eine neue Regel sich festsetzen, sondern muss in der Freiheit der Begegnung bleiben. Und so leitet auch Yuanwu dies hier ein: „Wo man nicht versteht, da macht sich die weltläufige Weisheit breit, da verfängt ich der Ziegenbock in der Hecke; da lauert der Bauer bei seinem Baumstumpf und wartet auf den Hasen.“ (Gundert 1960: 183)
Tsui-Yän weisst seine Schüler darauf hin, dass sie nicht auf seine Worte fixiert bleiben sollen, sondern auf das Verstehen dahinter. Aber es geht nicht um das intellektuelle Verstehen, sondern eher um einen Ahnen. Rilke schreibt im 9. Sonett an Orpheus. „die heimliche leise Gewahrung, / die uns im Innern schweigend gewinnt / wie ein still spielendes Kind aus unendlicher Paarung.“
In diesem Sinne verstehen die beiden ersten Schüler ihren Meister gut. Sie geben keine intellektuelle Antwort, sie geben eine Zen-Antwort, die durch intellektuelles Verstehen hindurchschlägt. Tsui-Yän will ihnen sagen: „Was ich da die ganze Zeit über geredet habe, das ist alles wertlos, solange es euch noch als fremde Rede eines anderen in den Ohren nachklingt; erst wenn in euch selber etwas Eigenes aufsteigt und es an sich reißt, hat auch euer Meister nicht umsonst geredet, kann er sich noch mit seinen Augenbrauen sehen lassen.“ (Gundert 1960: 194f.)
Nur Yun-men ist schon darüber hinaus. Er sagt nur Sperre. Und wenn man bisher das Gefühl hatte, dass man noch ganz gut zurecht kommt mit dem Fall… steht man hier wieder an. Denn auch die paradoxe Sprache des Zen hat seine Regelhaftigkeit. Und die beiden anderen Schüler erscheinen so, als ob sie ganz euphorisch sind, eine passende Antwort zu geben und stolz darauf sind, sich darin zu überbieten und dem Meister gerecht zu werden. Sie sind wie die Fische vor dem Wehr in dem Fall davor. Sie sind ganz motiviert, über das Wehr zu springen, haben vielleicht sogar schon ein Wehr übersprungen, aber sie sind noch nicht wieder im Fluß dahinter gelandet und schwimmen noch nicht weiter ruhig Fluß aufwärts, um zu laichen und zu sterben. Hier besteht noch der Kick, ob man das Wehr überspringt oder dabei stirbt. Man ist ganz aufgekratzt von dieser Stimmung, fast besinnungslos.
Yun-men hat das Wehr schon weit hinter sich gelassen. Er schwimmt vorwärts, ruhig, kann die Gegend betrachten, lässt die Gefühle aus sich in Ruhe aufkommen und kann diese wahrnehmen, ungestört jedes für sich. Er schwimmt vorwärts, zwar mit einer Richtung, aber ohne eine konkrete Vorstellung von der Stelle, wo er laichen wird. Aber er ist in seinem freien Element und alles hat sich verwandelt, auch wenn alles gleich bleibt. „Wer ein helles, klares Auge hat, dem stehen auch die mittel zu Gebote, sich den Himmel zu erhellen und die Erde zu beleuchten, und in einem Nu ist alles um ihn ein Geklingel von Juwelen.“ (Gundert 1960: 186)
Der Gesang lobt dann seine Art zu lehren: so gibt er ihnen auf dem Sommerrückzug der Mönche erst lange und tiefgründige Vorträge… aber wischt dieses am Ende alle als nichtig weg. Denn dies ist kein Zweck in sich, diese ganzen Lehren, sondern nur Hilfsmittel, die man auch verbrennen kann, wenn man sie nicht mehr benötigt. Auch das Hekiganroku ist kein bewundernswertes Kunstwerk mit Wert an sich (l’art pour l’art), sondern ein Werkzeug (weswegen es der Nachfolger von Yuanwu auch verbrannt hat zusammen mit den meisten Druckplatten und man es erst einige Jahrzehnte später wieder rekonstruieren musste). Thomas von Aquin, sicherlich der intellektuellste christliche Denker, hatte am Ende seines Lebens ein Erlebnis (vielleicht ein Kensho) und sagte danach, alle seine Schriften wären im Vergleich dazu wie Stroh… nichts wert, leicht, zu verbrennen.
Seine Schüler verstehen, was ihr Meister ihnen mitteilen will. Aber sie antworten nur mit einem Sprachspiel, zwar in Zen-Manier, aber nur Yunmen führt es wirklich weiter und zu Ende. Und dies kann auch kaum jemand so aufnehmen, auch von den alten Meistern nicht. Aber wäre eine passende Entgegnung dann nicht der im Zen so verbreitete Schlag oder das Anschreien? Also eine Antwort auf einer sinnfreien körperlichen Ebene? Oder geht Yunmen auch noch über eine Entgegnung überhaupt hinaus? Er mahnt Stille an… selbst Zen-Geschwätz ist hier nicht angemessen. Sperre!
Aber was bedeutet diese Sperre? Ist es das Nicht-Denken in der Meditation? Oder ist des das Loslassen oder Abschneiden von Körper und Geist wie Dogen Zenji dies formuliert? Oder ist es dieses Andere von mir selbst als Grenze/Sperre zu leben, wie etwa ein memento mori, d.h. es ändert und durchdringt mein ganzes Leben, wenn ich an meinen oder den Tod der anderen denke. Trotzdem kann ich diese Grenze in meinem Leben nie überschreiten.
Und erreicht Zen seine existentielle Tiefe dadurch, dass es immer mit dieser Grenze von Leben und Tod spielt? Nicht depressiv oder erstarrt, sondern ironisch und spielerisch… aber damit nicht weniger tief, sondern dies in seiner ganzen Abgründigkeit immer weiter auslotend? Und nicht nur auslotend, sondern eben immer wieder bis an die Grenze bringend, wo man nicht weiterkommt. Immer wieder mit dem Denken hier anstoßen und die Grenze und Begrenztheit unseres Verstehens zu spüren bekommen, und dies gerade bei den Fragen, die uns am wichtigsten sind, die uns im Wesen angehen: Geburt, Tod, Liebe.
Dies ist etwas wie der Totentanz im christlichen Mittelalter. Und ist Tanz dann nicht ein schönes Beispiel für Sperre/Grenze? Im Tanz nehme ich die Grenzen der Körper ganz deutlich wahr, und gleichzeitig lösen sie sich auch, weil die Körper auf den Rhythmus des anderen eingehen. Genauso wie der Tanz des Lebens mit dem Tod… es ist kein Kampf von zwei Fronten, die sich gegenüber stehen, sondern ich verführe den Tod in mein Leben hinein. Spiele mit ihm, erkunde seinen Rhythmus…und das geht dann eben schnell nicht mehr mit Sprachspielen. Und auch die Tanzmetapher kann nur da hinführen. Sondern initiiert nur etwas in mir, startet etwas, was dann nicht mehr aussprechbar ist. Und muss alles einen Sinn haben? So wie der Tanz, so wie ein Spiel...herrlich sinnlos für sich selbst!
Wirkliche Begegnung: so selten und so flüchtig - und doch das ganze Leben aus den Angeln hebend!
9. Hinweis
A monk asked Chao Chou, "What is Chao Chou?"
Chao Chou replied, "East gate, west gate, south gate, north gate."
Yuanwu sagt, dass Fremder und Freund, Leben und Sterben alles das gleiche sind… dies ist ein Punkt, der immer wieder kommt und ja auch bei Ignatius von Loyola in der Indifferenz zu finden ist. Auch Zhàozhōu antwortet in diese Richtung: denn er verweist nur auf örtliche Kategorien, d.h. er ist der, der gerade wo ist, und gleichzeitig hat er keinen speziellen Platz, sondern ist da wo er ist, in jeder Himmelsrichtung ist dies möglich. Aber was bedeutet dies denn wirklich? Denn Yuanwu kritisiert weiter unten eine ähnliche Haltung. Da geht es eher um einen Nihilisten, der alles nur an der Oberfläche nimmt, so wie es in diesem Moment halt erscheint, ohne dass dies einen tieferen Sinn hat. Aber wo liegt denn jetzt genau der Unterschied?
Ist dies eher ein Reduktionismus? z.B. ist Leben nur das biologische Leben aus dieser Perspektive… ohne Sinn, Ziel, Zweck… und damit auch ohne Liebe, Wahrheit und Schönheit. Dies wäre eine Art Reduzierung des menschlichen Lebens, indem man sich diese sehr menschlichen Fragen gar nicht erst zu stellen versucht, in dem Sinne, ich brauche keine Angst vor dem Tod haben, denn auch eine Blume hat keine Angst vor dem Tod und alles kehrt in einen ewigen Kreislauf zurück (was auch oft als falsch verstandene Lehre des Buddhismus beschrieben wird). Muss ich vielleicht eher wirklich geliebt haben, um etwa an dem Gedanken, dass die geliebte Person sterben kann oder gestorben ist oder man selbst sterben kann und die geliebte Person alleine zurücklässt, ganz tief zu zerbrechen, diese Aporie zu Ende gegangen sein, um diese Nicht-Verstehbarkeit zulassen zu können?
Vielleicht ist ein trockener Alkoholiker hier ein gutes Beispiel: Er sieht von außen so aus wie die nie trinkenden Pastoralreferentin. Dennoch sind die beiden ganz anders. Die eine denkt sich, ich brauche keinen Alkohol, da erzählt man nur Quatsch und macht Unfug. Da gehe ich lieber mit meinem Schwiegervater in die Kirche. Der andere trinkt nicht, weil er einen Weg hinter sich hat… er hat das Trinken an den Exzess ausgereizt, alle schönen Seiten davon erlebt, aber ist dann auch bis hinein in den Abgrund geraten und hineingezogen worden und gefallen… soweit bis es nicht mehr weiter geht… und nur noch die Frage steht: Soll ich mir das Leben nehmen? Und dies als zwei Wege: Nehme ich mir das Leben, in dem ich mich umbringe und mich allein durch die Sucht bestimmen lassen oder nehme ich mir das Leben, indem ich wieder aus diesem Abgrund heraustrete. Der Alkoholiker und die Pastoralreferentin stehen damit an ganz unterschiedlichen Stellen.
Und Alkoholiker haben in der Hinsicht wichtige Erfahrungen gemacht, indem sie meistens etwas in sich haben, was eine Auseinandersetzung bedarf, und was sich nicht durch Schwiegerväter-Strukturen unterdrücken lässt, denn sie verdrängen nichts, sondern das Dunkle in ihnen bricht auf, wird sichtbar. Und hier greift dann auch Religion, so das Jesus sich eigentlich nicht für die Moral der Pharisäer zuständig gefühlt hat, sondern für die gefallenen, gegen ihr eigenes Dunkel kämpfenden und immer wieder verlierenden Sünder.
Außerdem haben sie ein selbständiges Ich verloren und ein neues Ich wiedergefunden. Denn in der Sucht schaut man sich nur noch selber zu oder noch schlimmer in der Phase des Trockenwerdens, man beobachtet sich selber, in einem Verhalten, was man als falsch ansieht… und tut doch fast jede Minute genau das, was man nicht will. Es ist eine radikale Ohnmacht des eigenen Ichs, was eben nicht das eigene Ich ist - denn dieses Ich tut, was man nicht will und was einem nicht gut tut. Hier wird quasi sehr deutlich diese Spaltung zwischen Selbst und Ich, die im Alltag oft als identisch erlebt werden bzw. das Selbst gar nicht wahrgenommen wird und gleichzeitig zeigt diese Konstellation wie dominant das Ich ist und gleichzeitig wie fremd uns dieses unser eigenes Ich ist. Deswegen geht es auch nicht um fehlende Willenskraft, sondern es geht darum, genau diese Illusion von einer Willenskraft aufzugeben. Erst wenn ich aufhöre etwas anzustreben, und sei es selbst die Abstinenz, ist man verloren… weder anstreben Gesundheit noch Krankheit (wie Ignatius von Loyola im Fundament fordert), … weder anstreben Abstinenz oder Rausch…
Und dann passiert etwas, was es auch bei Leuten gibt, die mal kurz vor dem Tod standen, die ganze Moral, das Über-Ich und das Ich stirbt… und es bleiben tatsächlich nur ganze wenige Dinge, die wichtig sind und diese sind meist ganz einfach… ein guter Tee/Kaffee am morgen geniessen, Natur, ehrliche Begegnungen etc. … und am wenigsten wichtig sind gesellschaftliche Abzeichen, nach denen wir in der Regel jeden Tag hinterherhecheln.
Das wenige was damit bleibt, ist einfach das, was von den ganzen Schablonen und Konstruktionen gelöst ist, die normalerweise unseren Alltag strukturieren. Wir werden nie ohne diese Konstruktionen leben können, aber sie müssen nützliche Mittel sein und nicht einengende Entfremdungen, wo nur noch ein schablonenhaftes Ich ein stummes Selbst regiert. Auch für den erleuchteten Zhaozhou wird der in der letzten Woche gestorbene Erzbischof Desmond Tutu ziemlich schwarz bleiben, aber er würde sofort seiner Forderung an das Apartheids-Regime unter schreiben: „All we are asking you to do is to recognise that we are humans, too.“ (zit. nach The Economist Jan 1st-7th 2022) Und in der gleichen Logik kann auch im Rahmen von Tierschutz oder Klimawandel gefragt werden, ob wir als Menschen so die Grenze ziehen dürfen, dass wir diese ausbeuten? Dies wäre dann nicht mehr nur Humanismus, sondern ganz buddhististische Tathata (oder im Chinesischen zhenru 真如), was nicht ganz leicht ins Deutsche zu übertragen ist und eher mit Sosein oder mit Heidegger als Sein bezeichnet werden kann.
In diese Richtung leitet Yuanwu auch das Beispiel ein: „Steht ein klarer Spiegel auf dem Ständer, ist schön und häßlich ganz von selbst zu unterscheiden. Hält einer das Schwert Mo-yä in den Händen, so kann er töten oder Leben schenken, wie es der Augenblick erfordert. Chinesen kommen, und Tataren gehen; Tataren gehen; und Chinesen kommen. Im Tode findet sich Leben; im Leben findet sich Tod.“ (Gundert 1960: 199) So zeigt der Spiegel schon die Unterschiede, wie sie jeweils auftreten, aber der Spiegel ist frei von Schablonen… der Spiegel ist sauber und es sind keine Schnäuzer oder Eselsohren darauf gemalt, die jeden der hineinschaut generell als Esel darstellt.
Vielmehr findet die Einordnung immer sehr spontan statt, es ist sozusagen ein freies „crossen“ im sinne von Spencer Brown (1969). Und so kann der Zen-Meister frei Leben oder den Tod geben, je nach der Situation. Und diese Situation bleibt halt individuelle Situation und keine vorgefertigte Schablone. So schreibt Yuanwu weiter, auf diese Weise ist Bodhidharma, „aus dem Abendland zu uns gekommen, gibt nur einfach das Sigel des Geistes weiter; er weist mit ausgestrecktem Finger auf das Herz des Menschen, daß er im Anblick seiner innersten Natur zum Buddha werde. Wo wäre hier etwas von solchen Schlinggewächsen (kluger Rede)? Hier ist es nötig, Worte und Rede an der Wurzel abzuschneiden, jenseits aller Regel letzte Wahrheit zu erblicken und auf diesem Weg dahin durchzudringen, wo man aller Bande ledig ist. Das ist, pflegen wir zu sagen, wie der Drache sein Gewässer findet, wie der Tiger seinen Hang erklettert.“ (Gundert 1960: 200)
Das Herz worauf Bodhidharma verweist darauf, dass man nur im Tahta ist und diesem entspricht. Es gibt kein Ich mehr mit Vorstellungen und selbstgesetzen Zielen, sondern nur noch ein Selbst, war gelernt hat zu hören, zu ahnen, zu wittern. Und hiervon ausgehend dann schon temporäre Unterscheidungen trifft, die Leben oder Tod geben, aber als Tathagata. Hakuin kommentiert dies: „Killing and giving life depend on the time. As far a killing goes, it’s lie ‚there’s no me here, and no you there.‘“ (Cleary 2000: 32)
„Im Wort ein Uhrwerk drin“… beide Mönche zeigen in ihren Sätzen wer sie sind, sie legen sozusagen ihr Betriebssystem, ihren Kernel offen. Zhaozhou schaut direkt auf das Wesen des anderen Mönches und der erkennt interessanter Weise auch dadurch erst selbst sein Betriebssystem. Darauf bringt Yuanwu das Beispiel mit dem Sperling (interessante Parallele zu Schrödingers Katze, was so einen Grundsatz der Kybernetik ausdrückt): Die Frage steckt in der Antwort drin, die Antwort in der Frage. Und damit sind wir direkt bei einem weiteren Kybernetiker Karl Weick: Ich weiß nur was ich denke, wenn ich höre was ich sage (Weick 1985). Erst dann merke ich in welcher Situation ich stehe und weiß erst dann. Erst dann weiß ich, ob ich ein Fischauge oder einen Edelstein in der Hand halte (Gundert 1960: 201).
Was dabei allerdings noch ein wichtiger Punkt ist, der glaube ich so oft in diesem Zusammenhang angesprochen wird, was kann ich denn sagen und was wird davon auch verstanden. Ich kann meine politische Meinung äußern und lerne dadurch, wo ich Widersprüche drin habe, inwiefern meine Meinung Ängste ausdrücken etc. (Brandom 1994). Aber selbst dies passiert doch selten, in der Regel geht es nur um Bestätigung und nicht um Veränderung. Um so persönlicher es wird, desto mehr Mut gehört auch dazu. Und es gibt auch viel weniger Gesprächspartner, denn da wo es individueller wird, braucht man auch jemanden, der da ähnlich dran anschließen kann. Oder kann Zhaozhou mit seinem makellosen Augen jeden verstehen?
Jeder Einwohner und auch Tourist hinterlässt eine Spur in der Stadt - nur oft nicht sichtbar… „Ich war hier“ auf dem Rücken einer Parkbank.
10. Hinweis
Mu Chou asked a monk, "Where have you just come from?" The monk immediately shouted. Mu Chou said, "I've been shouted at by you once." Again the monk shouted. Mu Chou said, "After three or four shouts, then what?" The monk had nothing to say. Mu Chou then hit him and said, "What a thieving phoney you are!“
Der Mönch hat sich eine Antwort überlegt, er hat sich gut auf die Begegnung mit dem Meister vorbereitet, viel dafür gelesen und geschickt eine Antwort gefunden, die passt. Zen-Begegnungen sind oft wie ein „Insider-Schmee“, oder wie ein Kinderreim mit Abklatschen oder herkömmlicher Smalltalk: eine eingeübte Choreografie, jeder weiß, was zu tun und zu fragen und zu sagen ist. Es ist das austesten, ob sich zwei Insider begegnen…indem beide wissen, wie dieses Spiel gespielt wird. Auch hier haben diese Mönche hier kurz abgecheckt, ob der Schlüssel zum Schloss passt, um dann den Rest aber gleich zu überspringen und zum Wesentlichen zu kommen. Wie ein Zauberspruch, der eine verschlossene Tür öffnet.
Aber der Schlüssel passt hier nicht, er sieht nur auf den ersten Blick so aus, als ob dies passen würde. Yuanwu: „Was aber soll man dazu sagen, daß hinter seinem Drachenkopf zuletzt ein Schlangeschwänzchen herauskommt?“ (Gundert 1960: 212). Denn der Mönch hat seinen Schlüssel nur geklaut, denn es ist nicht seine Antwort, sondern er hat sie von jemanden wie Lindji abgeschaut, und sie ist durch keinerlei eigene Erfahrung getragen. Von Lindji wäre diese Antwort passend, von ihm leider nicht: „Aber richtig ist noch nicht dass Richtige.“ (Gundert 1960: 213). Und anders als beim Kinderreim, kann hier die Antwort nicht einfach kopiert und auswendig gelernt werden, sondern muss die eigene Antwort sein - und das ist der einzige passende Schlüssel, dass es das eigene Selbst ist, das antwortet. Deswegen kann er auch auf die Nachfrage des Meisters nicht antworten. Er trägt eine angelernte Persona/Rolle vor sich her, und dahinter ist eigentlich eine ganz kleine eigene Person, die aber sehr viel von sich hält und auf die Meinung, die andere von ihr haben. Tenkei kommentiert diesen Mönchen und sein Aufeinandertreffen mit Mu Chou folgendermaßen: „He shamed him, calling him an Outsider with no guts but a high opinion of himself.“ (Cleary 2000: 36)
Im Alltag ist dies eine gute Strategie, weil man Rollenkonformität (aber auch mit der kontrollierten Abweichung davon) gut durchs Leben kommt und genau dies auch im sozialen Leben erwartet wird - da wird meist nicht erwartet, das eine Person dahintersteht, sondern eher das geschickte und flexible bedienen von Erwartungen wertgeschätzt. Dem Zen-Meister geht es aber um die Person dahinter, er schüttelt deswegen so lange die sichtbare Rolle/Persona durch bis dahinter ein kleines, verhungertes und verkümmertes Männchen erscheint, dass seine ganze Kraft in etwas Angelerntes und ihm Fremdes gesteckt hat, aber nichts in sich selbst hat.
Freiheit würde für den Meister aber bedeuten, dass er nicht auf dieser Ebene geschickte und passende Antworten geben kann, er hat keine normale Prüfung zu bestehen, sondern er soll aus sich heraus antworten. Aber kann denn nur eine starke Person hinter der Maske antworten? Warum kann er nicht einfach die Maske beiseite legen und dann aus sich antworten? Gerade im Zen ist der Punkt, dass jedes Ding die Buddha-Natur immer schon hat, ganz zentral. Aber warum benötigt es dann die Praxis der Meditation oder der Koans?
Yuanwu schreibt: „Wenn ihr die Stelle noch nicht habt, an der es euch in den Kopf hineingeht, dann müßt ihr die Stelle, an der es hineingeht, eben finden.“ (Gundert 1960: 212) Vielleicht ist diese Freiheit auch nichts einfach vorliegendes, sondern es muss die Stelle gefunden werden, wo diese aufgeschlossen werden kann. Er muss hier erstmal herausfinden, sich nur aus Erwartungen, die an ihn gestellt werden zu definieren und realisieren dass es neben der Rolle noch etwas anderes gibt.
Aber vielleicht ist es auch unentschieden, ob der Mönch nun ein Streber ist oder echt? Äfft er das ein Ho (von Lindji) nur nach, oder ist es sein eigenes Ho, oder hat er das Ho von Lindji zwar kopiert, aber zu seinem eigene gemacht oder macht Mu Chou als Meister für den Mönch ein echtes Ho daraus? Von außen bleibt alles gleich, nur innen wendet sich das Blatt und dies ist schwer zu erkennen.
Aber hier Mu Chou testet dieses Ho ausgiebig aus und stellt fest, dass es nur das Ho von Lindji ist. Aber Mu Chou ist ein großer Meister, so dass er den Mönch nicht nur bloßstellt, sondern dieser realisiert hier ebenfalls, dass es nicht sein Ho ist, nicht sein Selbst ist, was er vor sich herträgt und zur Schau stellt. Aber genau an dieser Stelle bekommt dieser Mönch das echte Zen zu schmecken, denn indem er seine Persona als geklaut entrissen bekommt, steht er nackt als er selbst da. Zwar ist er nun sehr klein, weil seine aufgeblasene Rolle weg ist, aber zumindest er selbst. „Jetzt gehen dem Mönchen die Augen auf; er fühlt die überlegene Größe dieser Haltung, die weder aufwärts sich versteigt, noch in die Niederung hinabgeht. Er bleibt stumm und unterwirft sich. Und damit zeit auch er sich als ein Kenner, wie nachher Hsüä-dou im Gesang es rühmt. Er findet noch im rechten Augenblick den Mut zur Wendung; auf diese nämlich kommt es an, sonst tritt auch auf der Stufe höchster Geistigkeit Erstarrung ein.“ (Gundert 1960: 219). Griechisch-christlich gesprochen findet der Mönch noch den Schwung für eine μετάνοια.
Man muss dafür die Aufmerksamkeit haben, dass ein Tiger anwesend ist. Eine Gruppe kann durch den Wald gehen und im Smalltalk gefangen sein: d.h. sie reden nur über sich. Sie sehen aber auch nicht die Schönheit des Waldes und erst recht nicht den Tiger im Gebüsch. Dem ist die Gruppe aber zu langweilig und lässt sie weitergehen, einfach nur so ein einfaches Fressen ist ihm zu fade. Der letzte der Gruppe hat sich aber gelangweilt von der Gruppe zurückfallen lassen… und er sieht auf einmal die Augen des Tigers. Was sieht er denn da? Er sieht seinen Tod und wie dünn und belanglos dieses allgemeine Gerede ist. Und die beiden schauen sich in die Augen… der Tiger beisst nur zu, wenn sein Gegenüber Angst hat (schmeckt dann das Fleisch wohl besser!), lässt der Mann von seiner Todesangst los sind Tiger und Mann eins.
Es ist ein Kinderspiel - aber nur wenn man den Tod zu fürchten hat!