Kapitel 3

Da war ein Mensch unter den Pharisäern, Nikodemus sein Name, einer der Führenden der Juden./ Dieser kam in der Nacht zu ihm und sprach mit ihm: Rabbi, wir wissen, dass du von Gott kommst als Lehrer, denn niemand kann die Zeichen tun, die du wirkst, wenn nicht Gott hinter ihm steht./ Erwidernd sprach Jesus: Amen, Amen, ich sage dir, wenn jemand nicht neu von oben geboren wird, kann er nicht das Reich Gottes sehen./ Nikodemus sagte zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er schon alt ist? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurück, um ein zweites Mal geboren zu werden!/ Jesus erwiderte: Amen, Amen, ich sage dir, wenn jemand nicht aus dem Wasser und Geist geboren wird, dann kann er nicht in das Reich Gottes kommen./ Das aus dem Fleisch Geborene ist Fleisch und das aus dem Geist Geborene ist Geist./ Deswegen wundere dich nicht, dass ich dies sage: Ihr müsst von oben wiedergeboren werden!/ Der Geist aber weht, wie er will und du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher es kommt und wohin es geht. So ist es mit dem aus dem Geist Geborenen!/ Nikodemus erwiderte und sprach zu ihm: Wie kann das geschehen?/ Jesus erwiderte und sprach zu ihm: Du bist Lehrer Israels und doch (oder deswegen) verstehst du nicht!/ Amen, Amen, ich sage dir, was wir wissen, darüber reden wir und was wir gesehen haben, das bezeugen wir - und doch wird das Zeugnis nicht angenommen./ Ich spreche von Irdischem zu euch, und ihr glaubt nicht, wie werdet ihr glauben, wenn ich von Himmlischem spreche?/ Und niemand ist zu dem Himmeln hinaufgestiegen, als der von den Himmeln herabgestiegen ist, und das ist der Menschensohn./ Und wie Moses die Schlange hochgehangen hat in der Wüste, muss auch hochgehängt werden der Menschensohn,/ damit jeder, der an ihn glaubt, durch ihn ewiges Leben hat./ Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.

Nicht deswegen hat Gott den Sohn zur Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt in ihm gerettet werde./ Der an ihn glaubt, wird nicht gerichtet, der nicht geglaubt ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einziggeborenen Sohn Gottes geglaubt hat./ Das aber ist das Gericht, dass das Licht plötzlich voller Wucht sich der Welt zuwendet, aber die Menschen liebten die Dunkelheit mehr als das Licht wegen ihrer unvollkommenen Werke./  Jeder aber, der Mangelndes tut, verschmäht das Licht und verbarrikadiert sich vor dem Licht, damit seine Taten nicht sichtbar werden./ Wer aber das Unverborgene tut, öffnet sich für das Licht, damit seine Taten sichtbar werden, da sie in Gott getan sind./ Danach gelangten Jesus und seine Schüler auf jüdischen Boden und dort hielt er sich mit ihnen auf und taufte.


Aber auch Johannes taufte weiter, aber in Ainon in der Nähe von Saleim, weil dort viel Wasser war und viele kannten diesen Ort und ließen sich taufen./ Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen./Und es entstand eine Streitfrage zwischen den Schülern von Johannes und einem Juden über die Reinigung./ Und sie gingen zu Johannes und sagten zu ihm: Rabbi, der bei dir war, jenseits des Jordans, den du bezeugt hast, siehe, er tauft und alle laufen zu ihm./ Johannes antwortete und sprach: Nicht hat der Mensch die Fähigkeit zu nehmen, wenn es nicht durch den Himmel gegeben ist./ Ihr selbst müsst mich bezeugen, dass ich gesprochen habe: Ich bin nicht der Christus, sondern bin gesandt, um ihm den Weg zu bereiten./ Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams, der dabei ist und ihn hört, freut sich über die erfüllten Laute des Bräutigams. Diese Freude hat sich für mich erfüllt./ Jesus muss rühmlich Raum nehmen, ich muss mich zurückziehen (und weniger werden)./

Der von oben kommt, steht über allem; der von der Erde ist, ist irdisch und redet irdisch. Der aber von den Himmeln kommt, steht über allem./ Was er gesehen und gehört hat, muss er bezeugen, aber was er so bezeugt, nimmt niemand an./ Wer aber sein Zeugnis annimmt, erkennt an, dass Gott die Wahrheit ist./ Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Wort, denn ohne Maß ist geschenkt der Geist./ Der Vater liebt den Sohn und alles hat er in seine Hände gelegt./ Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber den Sohn nicht beachtet, wird das Leben verfehlen und Gottes Zorn ist auf ihm.
 

3, 1-16

Da war ein Mensch unter den Pharisäern, Nikodemus sein Name, einer der Führenden der Juden./ Dieser kam in der Nacht zu ihm und sprach mit ihm: Rabbi, wir wissen, dass du von Gott kommst als Lehrer, denn niemand kann die Zeichen tun, die du wirkst, wenn nicht Gott hinter ihm steht./ Erwidernd sprach Jesus: Amen, Amen, ich sage dir, wenn jemand nicht neu von oben geboren wird, kann er nicht das Reich Gottes sehen./ Nikodemus sagte zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er schon alt ist? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurück, um ein zweites Mal geboren zu werden!/ Jesus erwiderte: Amen, Amen, ich sage dir, wenn jemand nicht aus dem Wasser und Geist geboren wird, dann kann er nicht in das Reich Gottes kommen./ Das aus dem Fleisch Geborene ist Fleisch und das aus dem Geist Geborene ist Geist./ Deswegen wundere dich nicht, dass ich dies sage: Ihr müsst von oben wiedergeboren werden!/ Der Geist aber weht, wie er will und du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher es kommt und wohin es geht. So ist es mit dem aus dem Geist Geborenen!/ Nikodemus erwiderte und sprach zu ihm: Wie kann das geschehen?/ Jesus erwiderte und sprach zu ihm: Du bist Lehrer Israels und doch (oder deswegen) verstehst du nicht!/ Amen, Amen, ich sage dir, was wir wissen, darüber reden wir und was wir gesehen haben, das bezeugen wir - und doch wird das Zeugnis nicht angenommen./ Ich spreche von Irdischem zu euch, und ihr glaubt nicht, wie werdet ihr glauben, wenn ich von Himmlischem spreche?/ Und niemand ist zu dem Himmeln hinaufgestiegen, als der von den Himmeln herabgestiegen ist, und das ist der Menschensohn./ Und wie Moses die Schlange hochgehangen hat in der Wüste, muss auch hochgehängt werden der Menschensohn,/ damit jeder, der an ihn glaubt, durch ihn ewiges Leben hat./ Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.


Mit Nikodemus war selbst unter den führenden Juden ein Hörender, jemand der offen für Gottes direktes Wort war, dessen Ohren und Herz noch nicht verklebt war durch menschliche Dogmatik. Aber Nikodemus versteht Jesus auch erstmal falsch, wie die Juden nicht verstanden haben, dass nicht der Tempel sondern sein Leib gemeint war. Auch Nikodemus schafft diesen Ebenenwechsel noch nicht, aber in ihm ist eine Ahnung davon vorhanden, er wittert diese Ebene. Denn nur wer von oben wiedergeboren ist, sieht das Reich Gottes, was in diesem Fall bedeutet, dass derjenige die Bedeutungsebene erfasst, die Jesus meint. 


Die Taufe mit Wasser und Geist ist dieser nötige Bruch der Wiedergeburt von oben. Es braucht diesen ersten Bruch, was allerdings noch längst nicht bedeutet, dass damit dann alles geregelt wäre. Dies ist im Zen auch im Kensho bekannt, das erste Kensho ist wichtig, aber man ist verblendet, wenn man danach die Hände in den Schoß legt (insbesondere Hakuin hat hier immer wieder darauf hingewiesen (Hakuin 2017). Sondern es dieser ständige Bruch der μετάνοια, der sich immer wieder aufs Neue vertrauend dem Wehen des Heiligen Geist überlässt. In der Wiedergeburt des Christen aus dem Fleisch in den Geist wird neues Leben geschenkt,  „und das können sie nur, wenn ihr sie Gott zurückgebt, um sie von Gott neu zu empfangen.“ (Speyr 1949: 246)


Wenn ich mich Gott hingebe und mich in seine Sendung stelle, kann die Antwort und das was Gott mit mir vor hat, ganz anders aussehen, als das, was ich erwartet habe. Sicher ist nur, dass ich mich nie dem Geist Gottes zur Verfügung stelle, ohne angenommen zu sein. Aber wenn ich mich einmal dieser Wahl gestellt habe und hier eine Entscheidung getroffen habe, so bleibt meine Macht nur noch innerhalb der Wahl Gottes bestehen. Er entscheidet fortan. Aber dies ist dann auch etwas sehr Großes, weil dieses sich in den Dienst stellen, auch Nähe zu Gott bedeutet, indem man im Willen des Vaters ist. Und gleichzeitig auch nicht jegliche Individualität verliert, sondern die eigene Sendung ausgestalten kann in der Umsetzung. Gott ist der Drehbuchschreiber, aber wir können immer noch als Regisseure und Schauspieler diese Rolle ausgestalten (Balthasar 1973).


Schön ist auch das Bild vom Brausen, das nicht fassbar ist. Und dieses Brausen entsteht auch nicht durch den Wind selbst, denn wenn er ungehindert dahin weht, hört man nichts. Der Wind braust erst in der Begegnung und dann wird er vernehmbar. Man hört ihn, wenn er auf die Tannen am Berg trifft, oder über die Häuser hinwegfegt oder der Mensch spielt damit und macht selbst einen leichten Windhauch vernehmbar, indem Glocken- und Windspiele aufgehängt werden. Vielleicht spielt hiermit auch der Psalmist: „Im Radkreisen ist der Hall deines Donners“ (Ps 77, 19; hiermit wird im Zen in den Tempeln gespielt, Hossfeld fällt dagegen nur vollkommen uninspiriert die Assoziation zum Throngefährt bei Ezechiel ein, gleichwohl er den Kontext dieses Verses schon in der Nicht-Erkennbarkeit Gottes ausmacht (Hossfeld/Zenger 2000: 413)). Eigentlich ein schönes Bild, weil es darauf hindeutet, dass man Gott auch nicht für sich selbst wahrnehmen kann, sondern nur in der Interaktion mit der Schöpfung. Meist wird er aber nur im Sturm wahrgenommen, so dass er nur selten von den meisten Menschen wahrgenommen wird. Aber so etwas wie das Gebet wäre ein Windspiel, wo man auch noch den leisen Hauch Gottes wahrnehmbar macht.


Nikodemus kann hier immer noch nicht einsteigen, er versucht quasi immer noch zu verstehen, was dass Windspiel ihm konkret sagen will. Er kann nicht einfach dabei stehen bleiben, dass im Windspiel einfach nur das Dasein des Windes erlebbar wird. Er kann nicht einfach glauben, er ist immer noch damit beschäftigt zu verstehen. Aber das Windspiel diktiert kein Gesetz, es ist kein Levitikus, es sagt nur aus: ich bin da!


Jesus stellt hier auch genau diese Frage, ob er als Lehrer Israels eigentlich prädestiniert wäre, Gott zu verstehen, oder ob genau diese Lebensweise, die nur auf Gott hingeordnet ist und sich fast ausschließlich mit den Gesetzestexten Mose und ihrer Auslegung etwa im Talmud auseinandersetzt, das wirklich Hören verhindert oder zumindest erschwert. Nikodemus hat den Sprung noch nicht geschafft. Aber er ahnt hier etwas und möchte sich dafür öffnen. Aber es ist vielleicht auch kein Wille  oder rationale Entscheidung dieses zu tun, sondern eher eine ahnende Sehnsucht, die ihn zieht. Ein Hunger der doch manchmal spürbar wird, obwohl er so vollgefressen ist mit Ratzinger-Torten und Talmud-Sophisterei, aber merkt das ein Przywara-Sauerteigbrot das ist, was ihn erst wirklich satt machen würde.


Vers 11 kann vielleicht auch ganz allgemein und nicht nur auf die Jünger bezogen sein. Denn jeder kann nur das annehmen, was er auch selber gesehen hat, d.h. er muss es in seinen eigenen Referenzrahmen einordnen können. Da Nikodemus nicht das gesehen hat, was Jesus gesehen hat, kann er es nicht annehmen. Aber wie kann dann jemand überhaupt Jesus annehmen? Denn nur Jesus hat den Vater gesehen: Und in Jesus kann man den Vater sehen, aber dafür muss ich ihn aber in seinem Wort annehmen, d.h. ebenfalls den Vater gesehen haben, also somit den Kontextsprung schaffen, bei dem Nikodemus ansteht und nicht weiterkommt. Er steht hier vor einer Paradoxie oder besser einer Aporie, aus die er nie herauskommt in seiner Logik - nur durch einen Sprung. Aber eben einen Sprung, bei dem alles auf eine Karte gesetzt werden muss. Es gibt keine Absicherung über ein Verstehen. Ein Sprung, der wie der Tod ist, bei dem jeder Mensch auch diesen Schritt macht in die absolute Dunkelheit, wo nicht annäherungsweise gewusst wird, was danach kommt. Nur das beim physischen Tod fast jeder Mensch gezwungen wird und alle diesen Schritt hinauszögern. Der Tod im Glauben ist dagegen ein freiwilliger, der aber genauso ein Schritt in den Abgrund einer absoluten Dunkelheit und Nicht-Verstehbarkeit ist, der alles darauf setzt, dass man nach diesem Schritt aufgefangen wird („Hope there's someone/ Who’ll take care of me/ When I die, will I go?/ Hope there's someone/ Who’ll set my heart free/ Nice to hold when I'm tired“ Lyriks von Antony And The Johnsons (2005) „„Hope there's someone“).


Und Jesus spitzt dies in Vers 13 noch weiter zu, denn offensichtlich sind wir alle davon ausgeschlossen in den Himmel aufzusteigen, dies ist nur dem Menschensohn vorbehalten. Für uns allein, aus eigener Kraft ist dies ausgeschlossen. Aber was hat Jesus hier vor? Bietet Jesus hier etwa ein Fahrgemeinschaft an und möchte uns Huckepack nehmen?


Jesus greift mit dem Hochhängen auch die Verbindung zum Kreuz auf. So dass man das ewige Leben vielleicht in der gänzlichen Selbstaufgabe am Kreuz erlangt? Am Kreuz hat man nur zu leisten, das man einwilligt, sich ganz aufzugeben, dass man in den letzten Dingen selber nichts vermag, dass man nicht  etwas aufbaut oder selber schafft, sonder Platz macht und Hindernisse abbaut, um die Leere zu haben, in die der Herr in Wirklichkeit schaffen kann. Alles was nach dem Kreuz passiert, ist nicht unsere Aufgabe, sondern geschieht mit uns, ist ein Geschenk, wofür wir die Annahmebereitschaft geschaffen haben. Dies ist unsere einzige Leistung und dies ist der Glaube. Es ist diese herrliche Ruhe bzw. dieser Kontrast zwischen Jesus und Kleopas und seinem Kumpel auf dem Weg nach Emmaus. Dies wird in dem Bild von Janet Brooks Gerloff, Unterwegs nach Emmaus (1992) auch sehr deutlich (entnommen aus: Geist und Leben, 2009/3). Während die beiden Jünger ganz in schwarz gebeugt gehen, ist Jesus ganz durchscheinend und leer. Und bei dem Jünger, der direkt neben ihm geht, sieht man schon, dass sein schwarzes Gewand beginnt sich aufzuhellen.


Im Zen wird der physischen Tod, der kleine Tod genannt. Während der große Tod die freiwillige Aufgabe ins Kensho bedeutet. Und auch bei der Sucht gibt es Parallelen sozusagen zu einem mittleren Tod. Denn Sucht hat zentral etwas mit Aufgabe zu tun, zum einen dass man sich erst in die Abhängigkeit aufgibt, aber dann noch eine radikalere Aufgabe vollziehen muss, um sich aus der Sucht zu befreien und eben nicht durch einen starken Willen. Durch einen Willen hat man nicht viel gelöst, sondern eher einen lebenslangen Kampf, indem man sich stetig beobachten muss, dass man nicht wieder in die Abhängigkeit zurückfällt. Freiheit ist dies nicht. Aber in dem Moment, wo man sich radikal in der Sucht aufgibt, wo man komplett kapituliert (was Bateson (1972: 315ff.) mit in der Gosse liegen meinte), aufgibt selbst gegen den Alkohol zu kämpfen, denn die Sucht wird immer gewinnen und umso stärker ich kämpfe, desto stärker wird auch die Sucht. Aber genau in dieser absoluten und von mir anerkannten Ohnmacht, braucht man nichts mehr tun, sondern alles läuft von alleine. An diesem absoluten Tiefpunkt und in dieser radikalen Ohnmacht macht es auf einmal „Peck“ und der ganze Alptraum Sucht ist weggeblasen, wie wenn man aus einem schlechten Traum aufwacht. Nur dafür muss ich wirklich im Tiefsten sterben… und dieser Sprung ist meist schwieriger, als sich mit der Gosse zu arrangieren und sich dort einzurichten.


Von den menschlichen Gefühlen gibt es nichts, was widernatürlicher ist bzw. so totalen Widerstand  hervorruft, als das eigene Kind zu verlieren. Und dies macht Gott hier. Und es wird sogar noch gesteigert: freiwillig oder besser aus Liebe zu jedem einzelnen irrenden und kleinen Menschen gibt Gott seinen einzigen Sohn. Mit dieser Tat wird deutlich, dass Gott jeden einzelnen Menschen so fest in seinem Herzen bewahrt, wie seinen einzigen Sohn. Denn nichts erzeugt so starkes Leid, wie das Getrenntsein vom eigenen Kind, das Abbrechen der Verbundenheit (was zwischen Jesus und Gottvater von Karfreitag bis zur Osternacht geschieht) und dann dem Tod. Hier heilt nichts, auch der Schmerz lässt nicht nach, man richtet sich eher in diesem Schmerz der Paradoxie von Verloren-in-gleichzeitiger-Verbundenheit ein. „Geschieden voneinander durch viele Ewigkeiten, jedoch jeden Augenblick miteinander verbunden“, wie es Daito Kokushi (1282-1337) in einem Brief formuliert (eigene Übersetzung nach Hase 2011:787).


Denn wenn ich glaube, dass Gott auch speziell für mich seinen Sohn gegeben hat, so realisiere ich, dass ich jeden Augenblick ganz tief in seinem Herzen eingeschrieben bin, in jedem Augenblick meines Lebens. Ich bin dann nicht mehr einer unter Milliarden Menschen, in einem unendlichen Kosmos und in unendlicher Zeit. Denn vor diesem Hintergrund bin ich einfach so unglaublich nichtig, gehe verloren in meiner eigenen Belanglosigkeit, egal was ich Tolles geleistet haben mag nach Menschenmaßstäben. Hat aber Gott seinen Sohn für mich gegeben, so ist dies im Vergleich dazu alles hinfällig und ich bin in meiner Kleinheit nicht verlassen, sondern aufgehoben, so wie das Kind nur da sein muss, nur seine Augen öffnen muss, um unendlich geliebt zu werden und im Herzen der Eltern für immer aufgehoben und geborgen zu sein. Glauben bedeutet, dass wir durch diese Hingabe realisieren, dass wir in der Welt nicht verloren sind und auch nie verloren gehen können, sondern letztendlich immer unendlich geborgen sind. Glaube ist damit nicht bestimmte Glaubenssätze zu bejahen oder bestimmte (moralische) Handlungen auszuführen, sondern sich in dieser Geborgenheit einzuüben, dies zu realisieren und aus dieser Sicherheit heraus zu leben.

3, 17-21

Nicht deswegen hat Gott den Sohn zur Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt in ihm gerettet werde./ Der an ihn glaubt, wird nicht gerichtet, der nicht geglaubt ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einziggeborenen Sohn Gottes geglaubt hat./ Das aber ist das Gericht, dass das Licht plötzlich voller Wucht sich der Welt zuwendet, aber die Menschen liebten die Dunkelheit mehr als das Licht wegen ihrer unvollkommenen Werke./  Jeder aber, der Mangelndes tut, verschmäht das Licht und verbarrikadiert sich vor dem Licht, damit seine Taten nicht sichtbar werden./ Wer aber das Unverborgene tut, öffnet sich für das Licht, damit seine Taten sichtbar werden, da sie in Gott getan sind./ Danach gelangten Jesus und seine Schüler auf jüdischen Boden und dort hielt er sich mit ihnen auf und taufte.


Gott will durch den Sohn nicht zeigen, was jeder Mensch so alles falsch macht. Es geht hier nicht um eine Moralagentur, sondern er will die Menschen durch seine unbedingte Liebe befreien. Und erst aus dieser Freiheit ergibt sich wahres Handeln (was dann auch moralisch ist) - und dann fast von selbst, weil es nicht aus einer intellektuellen als richtig erkannten Einsicht entsteht und der Mensch aus einem Pflichtbewusstsein im Sinne Kants auch gegen die eigene Neigung etc. richtig und moralisch handelt. Denn das Ich nimmt in dieser Freiheit ab und Jesus nimmt zu und wächst in mir. 


Hier geht es gar nicht darum, dass irgendwann Bilanz gezogen wird, etwa in einem jüngsten Gericht. Es geht um das Hier und Jetzt. Ich muss mich immer wieder öffnen und loslassen, um mich befreien zu lassen. Glaube ist damit die Einübung in diese Bereitstellung, also Einübung in die stetige μετάνοια. Ewiges Leben ist dann auch nicht die Versicherung, dass ich durch mein moralisches Tun mir ewiges Leben in einer bestimmten Form (Himmel oder Hölle) verdiene. Sondern in dieser Haltung ist es egal, was kommt: denn ich nehme es an, weil es vom Vater kommt. Jede eschatologische Spekulation ist damit hinfällig. Und auch die Vergangenheit, mit allem was ich falsch gemacht habe und allem was ich verloren habe, ist eigentlich nicht relevant, wenn ich mich jetzt in diesem Moment für ihn öffnen kann. Schuld ist vergeben und Verlorenes ist in Liebe und damit geheilt beim Vater aufgehoben.


Zwar ist Gottes Licht immer da, aber für jeden persönlich kommt es jeweils plötzlich und stellt den Menschen mit voller Wucht in die Entscheidung, ob er sich in das Licht stellen will. Aber hierfür muss eine gewissen Disposition gegeben sein, so ob ich mich mit meinen Taten vor Gott so stellen kann (nein, dass kann der Mensch als Sünder nie, aber es gibt verschiedene Haltungen zu den eigenen Sünden) und ob ich den Mut habe und die Intimität mit Gott habe mich offen vor ihn zu stellen und mich von ihm annehmen zu lassen. 


Denn das Licht macht die Unzulänglichkeiten der eigenen Werke sichtbar. Ich versuche, dass was ich tue, zwar immer gut zu machen, aber eigentlich weiß ich, dass es immer nur Stückwerk ist und Defizite hat, die ich zum Teil selber sehe, andere dagegen auch gar nicht bemerke. Aber ich versuche immer diese Illusion von Kompetenz aufrecht zu erhalten - auch einfach um überhaupt handlungsfähig zu sein. Und im Laufe des Lebens merkt man immer mehr, dass eigentlich alle nur mit Wasser kochen.


Für das Licht öffnen kann ich mich nur, wenn ich von meiner Selbständigkeit absehen kann und realisiere, dass ich mir hier eh etwas vormache, d.h. ich mir meine Unzulänglichkeit und Ohnmacht eingestehe. Und gerade bei den wirklich wichtigen Dingen, ist die eigenen Ohnmacht grundgelegt. Vielleicht kann man auch Sünde so verstehen, dass es nicht allein moralisch falsches Handeln ist, sondern eigenständiges, nicht frei aus Gott fließendes Handeln ist. „Gott klagt deine Sünden an; wenn auch du sie anklagst, bist du mit Gott verbunden. Der Mensch und der Sünder sind gleichsam zwei Dinge. Was der Mensch ist, hat Gott gemacht, was der Sünder ist, hat er selber gemacht. Vernichte was du gemacht hast, damit Gott rette, was er gemacht hat.“ (Augustinus 1913: 214)


Jesus gelangt weiter ins Land der Juden und nimmt immer mehr Raum ein. Es ist eine Eroberung auch wenn dies wenig sichtbar geschieht bzw. nicht so laut wie eine weltliche Eroberung. Aber eine Eroberung, die nicht partikular ist, also nicht auf die Juden oder Jerusalem beschränkt ist. Außerdem hat Jesus bzw. besser seine Schüler die Verbreitungstätigkeit des Johannes aufgenommen und führen diese fort. Diese Vorbereitung wird damit nicht hinfällig, sondern gefüllt: Nicht Freiheit wovon, sondern Freiheit wozu?! Johannes räumt die Hindernisse weg, also alle weltlichen Bindungen. Aber der leere Raum ist nicht das Ziel, sondern muss durch Jesus dann gefüllt werden - und dies bevor dies durch andere geschieht, so dass die vertriebenen Dämonen nach der Austreibung mit vielen Freunden wiederkommen. 

3, 23-27

Aber auch Johannes taufte weiter, aber in Ainon in der Nähe von Saleim, weil dort viel Wasser war und viele kannten diesen Ort und ließen sich taufen./ Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen./Und es entstand eine Streitfrage zwischen den Schülern von Johannes und einem Juden über die Reinigung./ Und sie gingen zu Johannes und sagten zu ihm: Rabbi, der bei dir war, jenseits des Jordans, den du bezeugt hast, siehe, er tauft und alle laufen zu ihm./ Johannes antwortete und sprach: Nicht hat der Mensch die Fähigkeit zu nehmen, wenn es nicht durch den Himmel gegeben ist./ Ihr selbst müsst mich bezeugen, dass ich gesprochen habe: Ich bin nicht der Christus, sondern bin gesandt, um ihm den Weg zu bereiten./ Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams, der dabei ist und ihn hört, freut sich über die erfüllten Laute des Bräutigams. Diese Freude hat sich für mich erfüllt./ Jesus muss rühmlich Raum nehmen, ich muss mich zurückziehen (und weniger werden)./


Johannes macht weiter und nicht weil er von „seiner“ Taufe nicht loslassen kann, sondern weil sie weiterhin als Vorbereitung für viele Menschen notwendig bleibt und genauso es immer wieder notwendig ist, sich auszuräumen und zu reinigen, auf menschliche Art mit Wasser, d.h. mit eigenem Willen und μετάνοια. Interessant ist auch, dass Johannes gar nicht die andauernde Nähe zu Jesus sucht, sondern sich zurückzieht, auf Distanz geht. Aber auch nicht selber sein Schüler wird, sondern ganz in seiner Aufgabe als vorbereitender Wegbereiter und Aufräumer aufgeht. Jesus hat die „Bühne“ erobert und Johannes arbeitet als Werkzeug im Hintergrund. Sozusagen als Bodhisattva, der das Heil gesehen hat, aber alle anderen darauf ebenfalls vorbereiten möchte.


Aber durch Johannes allein kommt man nicht ans Ziel. Er ist nur der Durchgang bzw. vielleicht sogar besser der Zugang. Er ist die Vorbereitung dahin, dass man in die Offenheit kommt, sich beschenken zu lassen, was das Eigentliche ist, was aber auch nicht in der Verfügbarkeit des Menschen steht. Damit steht die Reinigung durch Johannes auch nicht in Konkurrenz zur Geisttaufe und -gabe von Jesus. Denn ohne die Reinigung, bin ich nicht in der Lage das Geschenk anzunehmen, aber ohne das Geschenk ist die Reinigung und Vorbereitung für sich nichts. Es ist vielmehr das filigrane Spiel zwischen aktiver Reinigung (also dem, was der Mensch von sich aus leisten kann) und dem passiven beschenken lassen. Denn in der Geschäftigkeit des Betens kann man den Herrn auch verpassen und überhören (so dass gerade das Bittgebet eher meine Projektion ist, wie die Welt zu sein hat, als dass es ein Hören ist). Und hier hat auch Luther mit seiner Kritik an der Werkgerechtigkeit recht. Allerdings muss die Grundlage für den Empfang der Gnade geschaffen werden - und dies dann eben doch aktiv durch den Menschen (und dies ist meist schwieriger als Unternehmenschef oder Professor zu werden).


Der Freund des Bräutigams steht lange im Mittelpunkt, den er vermittelt zwischen Braut und Bräutigam. Er ist der Kuppler, der Aktive und schaut wie er die beiden geschickt zusammenführt und beide schauen nur auf ihn, in seinen Händen liegt ihr Schicksal. Aber seine Rolle im Mittelpunkt ist nicht das Ziel, sondern Werkzeug. Seine eigentliche Freude ist, wenn das Brautpaar zueinander gefunden hat. Umso mehr das Brautpaar zueinander findet (und damit umso besser der Freund sein Aufgabe gemacht hat), desto stärker verschwindet der Freund. Er tritt von der Bühne ab, denn jede weitere Intervention wäre hinderlich und unpassend. Er kann sich nur noch aus der Ferne freuen, dass sich die beiden gefunden haben (und mitunter nur durch seine Hilfe zueinander gekommen sind). 


Ist dies nicht auch ein Gleichnis eines christlichen Lebens? Aber wer ist dann Freund und Braut, wenn Jesus der Bräutigam ist? Vielleicht ist die Braut mein Leben und mein Selbst und der Freund mein bewusstes Ich?! Kann ich oder besser ist es meine Aufgabe hier den Schauplatz für Braut und Bräutigam zu bereiten - um mich dann als Ich zurückzuziehen? „Nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20)? Und wäre christliches Leben so verstanden nicht das totale Gegenteil von dem, was wir als westlich-aktives Denken verstehen? Denn das Ich hat hier nicht die Aufgabe alles für Braut und Bräutigam zu planen, sondern eher sie zu ermöglichen nach ihrer eigenen Vorstellung glücklich zu werden, d.h. es geht hier eher um die Ermöglichung einer Eigendynamik etwa im Sinne eines chinesisch-japanischen Wirksamkeitsverständnisses (vgl. Jullien 1999, 2001, Cleary 2000)? Im Zen gibt es hier auch die Geschichte vom Ochsen und seinem Hirten, die hier auch als Hintergrundfolie aufschlussreich sein kann (vgl. Dumoulin 2019: 283ff.; Enomiya-Lassalle 1990, Shibayama 1995: 117ff.; Ueda 2011).


Oft kennen wir aber nur unser Ich und konzentrieren uns voll auf dieses Ich. Nach dem hier skizzierten christlichen Verständnis, wäre dieses Ich aber nur Werkzeug, was sich überflüssig machen muss. Wir dagegen kultivieren und feiern das Ich bis zum Grab und durch die Grabreden und Gedenken sogar noch über den Tod hinaus. Aber ahnen gerade am Grab, dass hier ein Fehler im System liegen muss, denn gerade am Grab können wir das Ich nicht weiterdenken.


Christlich kann man sich dagegen schon auf das Grab einlassen. Aber auch hier kann man gewaltig irren und am Ich weiter festhalten, so dass der Kuppler dem Brautpaar vorschreiben will, wie ihre Beziehung auszusehen hat. Übertragen bedeutet dies, dass ich mir Vorstellung für ein gerechtes Leben und für ein Leben nach dem Tod mache. Aber auch hier hält das Ich an sich und seinen Vorstellungen fest und überlässt Braut und Bräutigam nicht der Selbstverwirklichung. 


Wenn das Ich zurücktritt entfaltet sich immer mehr das freie Spiel von Selbst und Gott, es ist das Spiel einer analogia entis, der ich dann nur noch gebannt zuschaue wie beim Hören der Kunst der Fuge von Bach. Es ist der Übergang vom Buch Hiob, was das letzte Brechen einer Ich-Verhaftung darstellt hin zum Buch der Gesang der Gesänge, wo gerade dieses Spiel beobachtet werden kann. Und dieses filigrane Spiel ist unser Gebet, was sich fast anhört wie dieses aushauchende Gewebe was etwa Heinz Holliger im Scardanelle-Zyklus vertont hat.


(Dies war die wichtigste und für mich ganz neue Einsicht, die ich bei einem Aufenthalt in der Abtei Maria Frieden in Dahlem hatte… zwei Tage später war Sudhana da!)

3, 31-36 

Der von oben kommt, steht über allem; der von der Erde ist, ist irdisch und redet irdisch. Der aber von den Himmeln kommt, steht über allem./ Was er gesehen und gehört hat, muss er bezeugen, aber was er so bezeugt, nimmt niemand an./ Wer aber sein Zeugnis annimmt, erkennt an, dass Gott die Wahrheit ist./ Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Wort, denn ohne Maß ist geschenkt der Geist./ Der Vater liebt den Sohn und alles hat er in seine Hände gelegt./ Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber den Sohn nicht beachtet, wird das Leben verfehlen und Gottes Zorn ist auf ihm. 

 

(Sehr theologische Passsage… Erklärung wird nachgeliefert.)