Kapitel 7

Und dann zog Jesus in Galiläa umher. Denn nicht wollte er in Judäa umherziehen, weil die Juden ihn zu töten versuchten./ Denn nahe war das Fest der Juden, das Laubhüttenfest./ Sprachen also zu ihm seine Brüder: Ziehe fort von hier, hin zu den Juden, damit auch deine Schüler einsehen die Werke, die du tust./ Denn niemand wirkt verborgen und sucht zugleich öffentlich die Wahrheit zu bekunden. Da du genau so wirkst, zeige dich vor der Welt./ Denn selbst seine Brüder glaubten nicht an ihn./ So sagte Jesus zu ihnen: Der Moment für mich ist noch nicht da, der Moment für euch aber ist immer da und verfügbar./ Nicht kann die Welt euch hassen, mich hasst sie, weil ich über sie bekenne, dass ihre Werke böse sind./ Steigt ihr herauf zum Fest. Ich selber aber werde nicht zum Fest hinaufsteigen, denn mein Moment hat sich noch nicht erfüllt./ Dies sprach er zu ihnen und blieb in Galiläa./ 

Als seine Brüder hinaufgestiegen waren zum Fest, da stieg auch er hinauf, aber nicht sichtbar, sondern verborgen./ Nun suchten ihn aber die Juden bei dem Fest und sagten: Wo ist er?/ Und Getuschel gab es viel bei den Leuten. Die einen sagten, gut ist er. Die anderen sagten, nein, den er führt die Leute in die Irre./ Aber dieses Gerede war nicht öffentlich, weil sie die Juden fürchteten./ 

Aber mitten im Fest stieg Jesus hinauf zum Tempel und lehrte./ Es wunderten sich die Juden und sagten: Wie kann er schriftkundig sein, ohne Schüler gewesen zu sein?/ Ihnen erwidernd sprach Jesus: Meine Lehre ist nicht meine, sondern von dem, der mich geschickt hat./ Wenn einer den Willen hat, diesen Willen zu tun, dann wird er dadurch erkennen, ob eine Lehre aus Gott ist oder ich von mir selbst daherrede. Wer nur von sich daherredet, die Herrlichkeit such er nur in sich selbst. Wer aber such die Herrlichkeit in dem, der ihn geschickt hat, ist in der Unverborgenheit und keine Falschheit ist in ihm./ 

Hat nicht Moses euch dass Gesetz gegeben? Aber keiner von euch tut das Gesetz. Was suchet ihr mich zu töten? Es erwiderten die Leute: Du bist besessen von einem Dämon! Wer sucht dich zu töten?/ Es erwiderte Jesus und sprach: Eine Sache nur habe ich ausgeführt und schon wundert ihr euch alle./ Durch Moses wurde euch gegen die Beschneidung - aber sie ist nicht von Moses, sondern von den Vätern - und ihr beschneidet auch am Sabbat Menschen. Erhält ein Mensch die Beschneidung an einem Sabbat, damit nicht gelöst wird das Gesetz des Moses, was grollt ihr mir wenn ich einen ganzen Menschen gesund gemacht habe am Sabbat?/ Richtet nicht au den ersten Blick, sondern trefft eine gerechte Unterscheidung./ 

So sagten einige von den Jerusalemer: Ist das nicht der, den sich suchen zu töten? Und seht, offen redet er, aber sie sagen nichts zu ihm. Sollten die Anführer wirklich erkannt haben, das er der Christus ist?/ Allerdings wissen wir, woher er ist, aber vom Christus weißt niemand woher er ist./ Jesus rief aus dem Tempel heraus, in dem er gelehrt hatte und sagte: Mich kennt ihr, und ihr kennt woher ich bin. Und doch bin ich nicht von mir aus gekommen,  sondern der Wahrhaftige hat mich gesandt, und diesen kennt ihr nicht./ Ich kenne ihn, denn ich bin aus ihm und er hat mich gesendet./ Und sie suchten ihn zu ergreifen, doch niemand legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen./ 

Von den Leuten glaubten aber viele an ihn und sagten: Wird der Christus, der kommt, mehr Zeichen wirken, wir er wirkt? Und die Pharisäer hörten wie die Leute über ihn tuschelten und da sandten sie Hohepriester und die Amtsdiener der Pharisäer, damit sie ihn ergreifen. Jesus sprach: Noch eine kurze Zeit bi ih mit euch, aber dann gehe ich zu dem, der mich gesagt hat. Ihr werdet mich suchen, aber nichts durchblicken und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen./ Da sprachen die Juden untereinander: Wo will er denn hingehen, wo wir ihn nicht finden? Will er in die Diaspora zu den Griechen gehen und bei den Griechen lehren?/ Und was sind das für Worte, die er sprach: Ich werdet mich suchen, aber nichts durchblicken, und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen?/ 

Am letzten Tag, dem großen Tag des Festes, stand Jesus auf und rief und sagte: Wer ist da und dürstet, der komme zu mir -/ denn trinken soll der, der an mich glaubt. Entsprechend wie die Schrift davon sprach: Aus seinem Leib werde Wasser des Lebens fließen./ Dann sprach er über den Geist, den entgegennehmen, die an ihn glauben. Aber der Geist war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht war./ 

Von den Leuten, die diese Worte gehört hatten, ging die Rede aus: Dies ein wahrer Prophet!/ Andere sagten: Dieser isst der Christus! Dagegen gab es die Rede: Soll denn aus Galiläa der Christus kommen?/ Sprechen nicht die Schriften davon, dass aus dem Gesproß Davids und aus Bethlehem dem Dorf Davids, der Christus kommt?/ Ein Spalt entstand und den Leuten wegen ihm. Einige wollten aber ihn ergreifen, aber niemand legte Hand an ihn./ 

Es kommen aber die Amtsdiener zu den Hohenpriestern und Pharisäern und diese sprachen zu ihnen: Warum habt ihr ihn nicht hergebracht?/ Sie antworteten: Noch nie hat ein Mensch so geredet./ Es antworteten ihnen nun die Pharisäer: Wurdet ihr etwa in die Irre geführt? Wurde denn einer der Hohenpriester glaubend an ihn? Oder einer der Pharisäer?/ Sondern nur dies verfluchten Leute, die nicht vom Gesetz verstehen./ Da sagte Nikodemus zu ihnen, der früher zum ihm gegangen war, aber einer von ihnen war: Richtet denn unser Gesetz einen Menschen ohne diesen vorher zu hören oder zu erkennen was er getan hat? Erwidernd sprachen sie zu ihm: Bist du denn auch aus Galiläa? Verstehe und sieh, dass aus Galiläa kein Prophet entsteht. Und jeder ging nach Hause. 

7, 1-4

Jesus zieht in Galiläa umher, weil in Judäa ihm droht, getötet zu werden. Da nun das Laubhütenfest bevorstand, wo man nach Jerusalem pilgert, machen seine Brüder (und seltsamerweise nicht seine Schüler) ihn auf den folgenden Widerspruch aufmerksam: dass er Gottes Willen hier wirkt und somit Gott für alle sichtbar und erlebbar macht, aber dies versteckt, so dass es nur wenige mitbekommen. Und dass er das Heilswirken des Messias eigentlich für jeden zugänglich machen müsste. 


Vielleicht denken sie, dass er Schiss hat, dass die Juden ihn töten und misshandeln werden, und wollen ihm bestenfalls Mut zu sprechen. Aber die Einleitung des Textes spricht nicht von Angst. Hier könnte genauso gut das Motiv passen, dass Jesus nicht leichtfertig sein Leben riskiert, weil damit auch die Botschaft untergehen würde und er seine Sendung nicht zu Ende führt. Denn auch ein Bote, der eine wichtige Nachricht überbringen muss, kann zwar die Nachricht wichtiger als sein Leben ansehen, trotzdem handelt er damit nicht leichtfertig, sondern kann auch abwarten, damit die Nachricht sicher beim Empfänger ankommt.


Diese Lesart passt auch gut zu Jesus Persönlichkeit. Und es wirft auch ein Licht auf Jesus Botschaft. Denn ihm ist seine Botschaft wichtiger als sein Leben und er versucht gerade deswegen sein Leben zu schützen - aber er ist genauso jeder Zeit bereit, sein Leben dafür einzusetzen, wenn es seiner Sendung dient. Damit lebt er ganz aus dieser Sendung und dies zeigt auch, welche Tiefe und Durchdringung diese Botschaft hat. Denn viele Menschen haben zu vielem oder allem eine Meinung, aber meist fehlt es an inhaltlicher Tiefe und an Tiefe, in der diese Ansicht die Persönlichkeit durchdrungen hat. Meist sind Meinungen eher dafür da, die eigene Persönlichkeit auf die Bühne zu stellen. Damit sind sowohl die Meinung als auch die dazugehörenden Persönlichkeit (oder umgekehrt) recht seichte Gewässer. Jesus geht dagegen ganz in seiner Sendung auf, selbst der Tod verschwindet hierfür. Und gerade so erhält er als Persönlichkeit diese unglaubliche und unauslotbare Tiefe, denn „wer mich sieht, sieht den Vater.“ (Joh 14, 9)


Jesus lebt sein Leben aus einer nicht mehr fasslichen Tiefe heraus, in die er sich auflöst und auf die er hört. Und seine Botschaft erfährt er aus dieser Tiefe und hat sie sich nicht selbst ausgedacht. Bei den meisten Menschen hat man den Eindruck, dass sie sich Meinungen bewusst aussuchen, je nachdem was am bequemsten oder nützlichsten ist. Jemand wie der Söder hängt sich immer mal wieder ein neues Schildchen um, was ihm gerade nützt. Dieses Schildchen kann er den Grünen genauso klauen wie der AfD. Mit der Person des Markus hat dies nichts zu tun… und hängt man mal die ganzen Schildchen ab, bleibt vermutlich nur ein hässlicher kleiner Junge übrig, der nach Anerkennung giert… vielleicht wahrscheinlich eher auch ein bemitleidenswerter Junge. Als Kölner hat man das Gefühl, dauernd im Karneval zu sein - nur dass dies alle für Ernst halten. Alles nur absurdes Theater, nur eben schrecklich langweilig, flach und weitgehend unverständlich, weil es keinen organischen Zusammenhang hat - und eben keine essentielle Schicksale ausdrücken, wie die griechische Tragödie, sondern immer das gleiche Schauspiel: Ich bin der Größte (und im Hintergrund hört man sozusagen den griechischen Chor der Tragödie murmeln: In Gottes Augen sind alle gleich groß! Was müht ihr euch also in diesem falschen Spiel ab und verpasst dadurch das Wesentliche!). Es sind immer nur unmittelbare Antworten auf etwas anderes (wie gesellschaftlichen Anerkennung) und damit immer nur diese Oberflächlichkeit.


Und hier zeigt sich auch, dass große Kunst auch aus einer Tiefe kommt. Zugegeben die meiste Kunst entspringt auch dem Anerkennungsbedürfnis des Künstlers. Etwas Großes bricht dann tatsächlich dort auf, wo sich Künstler darum nicht mehr kümmern, z.B. bei Hölderlin, Nietzsche, Bach, Louis Soutter etc. Hier geht es um den Dienst am Werk und nicht einem Ich auf der Bühne. Soli Deo gloria, wie Bach seine Werke mit dieser Bemerkung abgeschlossen hat.


Jesus gibt immer nur Antworten aus seiner Tiefe und nicht direkte Antworten auf etwas, was einer gefragt hat. Deswegen ist er auch oft so unverständlich. Er knüpft auf einer ganz anderen Ebene an und fordert dadurch dazu auf, dass man ebenfalls auf dieser Ebene wechselt. Und dies machen die wenigsten. 


Ich finde es immer irritierend, wenn in der Theologie jemand davon spricht, dass Christus für uns gekreuzigt wurde. Das wird immer so selbstverständlich daher gesagt, als Kern unseres Glaubens. Ich habe es, ehrlich gesagt, nie verstanden bzw. besser realisiert was dies für mich genau bedeuten soll. Erstens hatte ich bei keinem, der dies gesagt hat, das Gefühl, dass diese Person tatsächlich aus dieser Aussage oder Zusage lebt, sondern es eher abgelesen hat. Und zweitens nähere ich mich dem Inhalt nur wirklich sehr langsam. Manche Theologen haben dies dann tatsächlich verstanden und man hat das Gefühl, dass sie dies zwar nicht explizit zu Wort bringen in ihrer Bedeutung, aber dass sie diesen Kreuzestod mitleben (sic!) und aus diesem Tod leben. Bei Przywara ist dies so, aber auch bei Luther, Fridolin Stier, bei von Speyr auf eine etwas zu barocke Weise (bei Balthasar dagegen nicht), Rahner, der dies im banalen Alltag macht etc. 


(Und da frage ich mich auch, woraus ich dies hier schöpfe, diese verschrobenen Gedanken, die theologisch kaum anschlussfähig sind, aber für mich eine sehr stimmige und zusammenhängende Welt darstellen. Die ich mir auch nicht ausgedacht habe oder die ich schon kenne, sondern die hier entsteht, aber sich im Gebet vorbereitet hat und über deren Ausdeutung ich immer wieder erstaunt und meist auch überrascht bin. Luther rechtfertigt sich in einer Predigt genau zu dieser Stelle auch dafür: „Dies ist mein, des Luthers Lehre, und doch sage ich auch: Es ist nicht meine Lehre. Denn, lieber Herr Gott, ich habe sie nicht aus meinem Kopf erdichtet, sie ist nicht in meinem Garten gewachsen oder gequollen oder von mir geboren, sondern sie ist Gottes Gabe und nicht mein Menschengedicht.“ (Luther 1977: 249) Obwohl ich schon sagen würde, dass der Garten ein schönes Bild ist, denn man muss schon gute Rahmenbedingungen für den Samen schaffe, damit er wächst, aber den Samen, das Wachstum, die Schönheit und den Nährwert der Pflanze kann man nicht selber schaffen, den bekommt man für seine Gartenarbeit geschenkt - und manchmal eben auch nicht. Der Ertrag ist immer geschenkt und nie wirklich verdient).

5-9 

Weiter oben in dem Kapitel ist man schon darüber gestolpert, dass hier nicht von den Schülern gesprochen wird, sondern von seinen Brüdern, die ihn auffordern seine Wunder in der Öffentlichkeit vorzuführen. Außerdem wird noch von den Brüdern gesagt, dass sie gar nicht an ihn glaubten. Sie glauben nicht an ihn, aber lassen sich gerne faszinieren von seinen Wundern - und verpassen so das, worum es Jesus geht. Vielleicht werden hier auch die Brüder genannt, weil sie nicht an ihn als Person glauben können, weil sie ihm zu nahe stehen, wie das der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Und vielleicht sind wir im westlichen Abendland auch solche Brüder, denn wir sind mit Jesus aufgewachsen und unsere Kultur und Alltag auch in der säkularsten Form ist durchdrungen vom Christentum. Braucht man deswegen heute für den Glauben, das Spektakuläre der evangelikalen Bewegungen und Medjugorje oder ist man abgeklärt genug, um dies alles als Autosuggestion zu erkennen (was ich persönlich tun würde)? Oder liegt ein Christus-Glaube also irgendwo dazwischen? Man hat den Eindruck, dass die Kirche genau dies versucht. Aber wenn auch oft die Mesotes-Lehre richtig ist, machmal gilt aber auch: In Gefahr und größter Not, bringt der Mittelweg den Tod. In diesem Fall ist der Tod ein lauwarme Kirche, die nicht mehr lebt, sondern nur ihre Tradition nachträglich notgedrungen an den Zeitgeist anpasst, meist mit einigen Jahrzehnten Zeitverzögerung wo dies eigentlich nötig gewesen wäre. Die Heiligsprechung ist hier ein schönes Beispiel: hier wird bis heute ein Wunder als relevant angesehen, aber runtergekühlt in die Sachlichkeit einer bewertenden Kommission. Und interessieren tut eine Heiligsprechung heute eh niemand mehr, nachdem Johannes Paul II. Heiligsprechungen wie Fleißkärtchen rausgehauen hat. 

 

Jesus geht es aber nicht darum, seine Wunderfähigkeiten zur Schau zur stellen, das ist wie gesagt eher Sache der Kirche. Sondern er folgt einfach seiner Sendung und diese ist nicht seine eigene Agenda. Diese verfolgt und erdichtet er nicht selber, sondern wird geschickt und damit beschenkt. Den richtigen Moment setzt er nicht selber, sondern wartet darauf, bis dieser gegeben wird. Den ungläubigen Brüdern ist dagegen jeder Moment recht, der für sie passt, weil sie nur ihrem kleingläubigen Ego folgen. 

 

Dies ist die Frage nach dem Kairos. A. von Speyr stellt richtig fest, dass Jesus seine Zeit und seine richtigen Momente von Gott gesetzt werden, die Brüder und Menschen, die in all ihren Handlungen nicht allein Gott folgen, setzen dagegen ihre Zeitpunkte selber fest. Sie verfügen selber, wann es aus ihrer Sicht passt. Hier zeigt sich eine sehr grundsätzliche Unterscheidung, die auch mit dem abendländischen Denken einhergeht. So dass es mit Descartes Wende zum Subjekt auch ein Umschwung im Weltverhältnis einsetzt, was Heidegger dann als neuzeitliche Technik und Weltbild versteht (Heidegger 2000: 5ff.). Hier beherrscht der Mensch von sich aus seine Umwelt, er zwingt sie unter Naturgesetze und kann sie bis zu einem gewissen Grade dadurch steuern. Aber wir erkennen immer mehr, inwiefern dies nur zu einem gewissen Grade gilt. Zunächst hat man fest Gesetze nur noch für die Naturwissenschaft anerkannt und den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften deutlich mehr Freiheitsgrade zugestanden. Und dann immer mehr erkannt, dass es in der Regel nicht eine Ursache und eine Folge gibt, sondern viele Ursachen zusammen zu einer Folge beitragen, die dann genauso unendliche Nebenwirkungen mit sich bringt. So dass das Bild, dass der Mensch alles von sich aus setzen und kontrollieren kann selbst in den Naturwissenschaften kaum zu halten ist (Luhmann 1990). Die Chinesen haben in ihrem Wissenschaftssystem viel länger nicht die Trennung zwischen naturwissenschaftlichen Gesetzen und „fuzzy“ Weisheit gehabt, so dass das Kausaldenken der Chinesen heute deutlich besser dem entspricht, wovon man in der Komplexitätsforschung heute ausgeht (F. Jullien, Über die Wirksamkeit). 

Und auch Jesus ist ein Protagonist, der mit seiner Vorstellung von Kairos heute deutlich besser anschlussfähig ist. Denn er setzt seinen Zeitpunkt nicht selbst, sondern er hört daraufhin, wann sein Moment gekommen ist. 

 

Die (ungläubigen) Brüder ziehen also zum Laubhüttenfest hinauf. Auch Jesus geht entgegen seiner Ankündigung dort hin, allerdings nicht öffentlich. Eigentlich eine höchst seltsame Szene. Außerdem bekommt man den Eindruck, dass es sich weniger um ein religiöses Fest handelt, sondern um einen Jahrmarkt. Dort wird viel getratscht, zwar religiöse Dinge, etwa ob Jesus gut ist oder in die Irre führt, aber irgendwie hat man das Gefühl, dass die Leute sich genauso zu der einen oder anderen Fußballmannschaft bekennen könnten. 

 

Aber trotzdem gewinnt durch das Gerede Jesus Präsenz, er ist überall schon im Gespräch anwesend. Hinzukommt, dass er sich im Verborgenen auch auf den Weg zu dem Fest macht. Und die Leute suchen ihn, im Gerede genauso als ob sie ihn irgendwo auf dem Fest finden würden. Diese unbehagliche Schwebe von dem nicht greifbaren Gerede (was nur Behauptungen sind und nichts an Substanz) und das Jesus nur im Verborgenen sich unter ihnen bewegt, wird noch durch die Angst der Leute vor den Juden gesteigert, so dass auch niemand dies öffentlich aussprechen möchte. Eine höchst seltsame Atmosphäre der Intransparenz und Unaufrichtigkeit. 

 

Warum Jesus dann doch zum Laubhüttenfest geht, obwohl er dies vorher abgelehnt hat, wird hier nicht explizit geklärt. Folgt man aber der Logik, dass Jesus nicht aus sich heraus handelt, sondern geschickt ist vom Vater, so kann dies damit erklärt werden, dass er noch nicht den Auftrag „empfangen“ hatte, als ihn die Brüder aufgefordert haben. Danach ist er vielleicht dann doch vom Vater ausgesandt worden, zum Laubhüttenfest zu gehen, um dort in der Synagoge zu beten. Eine Parallele gibt es hier auch zur Hochzeit in Kanaa, denn auch hier lehnt Jesus erst die Bitte von Maria ab, um sie danach aber auszuführen. 

 

Jesus scheint hier jedes Mal, nicht direkt aus einer Anfrage zu handeln, sondern sich jeweils nur vom Vater schicken zu lassen. Und dem auch folgt, obwohl dies dann für die anderen (hier die Brüder, dort Maria) widersprüchlich aussieht, weil er kurz vorher das Gegenteil behauptet hat. Jesus folgt einfach seiner jeweiligen Aussendung, voller Vertrauen, auch wenn er es nicht versteht. Im Kleinen sind diese Szene, das gleiche was am Kreuz quasi als radikalste Nachfolge passiert: Jesus geht den Weg, den der Vater ihm weist, ohne dies zu verstehen und auch gegen den eigenen Widerstand von Wollen und Verstehen. 

 

14-24 

Jesus geht also auf das Fest mit dem Ziel im Tempel zu lehren. Während er sich auf dem Volksfest im Verborgenen hält, sucht er im Tempel die größtmögliche Öffentlichkeit, worauf er auch später verweisen wird, bei seiner Anklage: „Ich habe frei öffentlich geredet vor der Welt; ich habe allezeit gelehrt in der Schule und in dem Tempel, da alle Juden zusammenkommen, und habe nichts im Verborgenen geredet.“ (Joh 18:20) 

Die Juden im Tempel wundern sich. Hier scheint Ablehnung und Anerkennung zusammenzuspielen. Denn auf der einen Seite scheinen sie dies schon verstehen zu können, was Jesus lehrt. Auf der anderen Seite merken sie, dass dies nicht direkt aus ihrer Denkschule heraus entwickelt wurde - und damit eigentlich nicht richtig sein kann. Denn es ergibt sich nicht direkt und logisch aus ihrem Denken - scheint aber doch überraschend gut zum Grundparadigma zu passen, was Jesus sagt! Es ist keine gelehrte Deduktion, sondern Jesus schöpft aus dem, was ihm vom Vater geschenkt wird und erfährt dies unmittelbar. 

 

Als Erklärung dafür bietet Jesus, dass er sich diese Lehre nicht selber ausgedacht hat, wie dies die jüdischen Schriftgelehrten tun, sondern diese Lehre aus dem Hören auf den Vater kommt. Dies ist zwar nicht abgelöst von den Schriften, aber Jesus geht es eher darum, den Willen und Geist der Schriften jeweils immer neu im eigenen Leben zu leben und umzusetzen und nicht einen abstrakten Sinn logisch darauf abzuleiten. Jesus lebt aus dem Geist der Schriften, nicht aus deren Buchstaben. 

 

Dazu sagt er, dass man die Herrlichkeit nicht in sich selbst findet, sondern indem man das ausführt, was einem aufgetragen worden ist. Und dies ist ein Punkt, der heute so gar nicht mehr anschlussfähig ist. Klar ist es gut, Talent zu haben, aber es geht vor allem darum, etwas daraus zu machen (also quasi American Dream). Jesus sagt hier, dass du allein in dir selber nichts findest, sondern letztlich nur Einsamkeit, die man immer mehr durch Anerkennung von anderen oder anderen Ablenkungen versucht zuzudecken: eine nur sehr hohle Herrlichkeit! Für Jesus bedeutet Herrlichkeit in sich selber nicht das eigene Ich zu finden, sondern den Willen des Vaters in sich, d.h. diesen ganz besonderen und ganz eigenen Auftrag, den der Vater mir zugedacht hat und der nur mir zukommt. Denn dort spricht der Vater mir zu: Ich will, dass du bist! Du bist kein Zufall, du bist von mir gewollt, aus tiefster Liebe bist du von mir gewollt und ich sende dich aus mit diesem Auftrag. Und hier ist dann Herrlichkeit nicht nur das eigene Werk, sondern das Zusammenspiel vom Hören auf den Vater und die eigene kreative Umsetzung dieses Auftrags (Analogia Entis). 

 

Vielleicht kann man diese Paradoxie mit der Kunst etwas veranschaulichen. Denn auch hier entstehen die großen Kunstwerke nicht daraus, dass jemand die besten Akademien besucht hat (also bei den Juden in die Lehre gegangen ist) und minutiös ein Kunstwerk rational geplant hat, sondern sich einem künstlerischen Prozess hingibt, der sich in jedem Schritt neu irritieren lässt, von dem was geschaffen worden ist und sich langsam vorwärts arbeitet und sich von jedem Schritt überraschen und beschenken lässt. Interessanterweise immer mit dem Risiko, dass am Ende entweder ein großes Kunstwerk rauskommt oder es einfach nur in den Müll gehört, dazwischen gibt es nicht. Und auch dieses Risiko markiert eigentlich auch jedes wahre religiöses Leben, da auch hier alles auf eine Karte gesetzt wird - nur dass man eben nur ein Leben, d.h. einen Versuch hat. Denn ist nach dem Tod einfach nur alles Dunkel, was habe ich dann von dem vielen Beten gehabt? Hätte ich besser in der Zeit, in der ich gebetet habe, gefickt, gesoffen oder gefressen!?! (Klar Gebet kann auch erhebend sein, genauso wie ein moralisch gutes Leben - aber dann ist man noch nicht bei einem wahren religiösen Leben angekommen… Gebet ist einfach karg in seinem Kern). 

 

Und wie unfruchtbar und widersprüchlich eine rein logische Auslegung der Schriften ist, zeigen die Anschuldigungen an Jesus. Denn die Juden suchen Jesus zu töten, weil er einen Menschen am Sabbat gesund gemacht hat, obwohl man am Sabbat nicht handeln darf. Eine rein logische Gesetzesanwendung. Allerdings handeln selbst die Juden auch am Sabbat, indem Beschneidungen vorgenommen werden. Aber diese Beschneidungen kommen aus dem Geist und sind richtig und keine sterilen Gesetzesableitungen, nur dies verstehen die Schriftgelehrten nicht.