11. Hinweis

Huang Po, instructing the community, said, "All of you people are gobblers of dregs; if you go on travelling around this way, where will you have Today? Do you know that there are no teachers of Ch'an in all of China?" 

At that time a monk came forward and said, "Then what about those in various places who order followers and lead communities? " 

Huang Po said, "I do not say that there is no Ch'an; it's just that there are no teachers." 

Es bringt nix nur zu lesen oder Lehren zu hören… da macht es auch keinen Unterschied, ob man viel oder verschiedenes weiß. Denn eigentlich hat man nichts gewonnen, wenn man viele Zen-Meister gehört hat. Von jedem guten Koan heißt es, dass es alle anderen schon enthält - es würde also auch eines ausreichen und dieses immer Wiederkäuen (die Christen kennen dies als Ruminatio). Es geht nicht darum als Pilger unermüdlich auf der Suche zu sein, damit man mal irgendwo den Schatz schon fertig findet und so lange muss man suchen. Es gibt keinen Zen-Meister, der dies so fertig geben könnte…


Tenkei kommentiert dies: „Everywhere they say that people who consume writings and sayings are gobblers of dregs, but Daie explained that if writings were dregs, then ‚the oak tree in the yard‘ and ‚three pounds of flax‘ would also be dregs.“ (Cleary 2000: 39) Wenn also jede Zen-Lehre nur der Abschaum der Wahrheit oder des Zen-Geistes ist, dann gilt dies auch für ganz große Koans, wie Daie hier zu bedenken gibt (das eine begegnet uns als 12. Zugang direkt im Anschluss). Und es stimmt, denn an sich ist eine Lehre nichts wert, so dass man mehreren Menschen ein Hölderlin Gedicht lesen lassen kann und es nichts in ihnen verändert und sie es genauso gut dafür verwenden können, um sich damit den Arsch nach dem Scheißen abzuwischen. Auf der anderen Seite kann ein wirklicher Schüler jede Alltagssituation nutzen, um den Geist zu spüren und zu erkennen. So dass man Erleuchtung erlangt, beim Anblick des Morgensterns oder beim Klacken eines Steines an einem Bambusrohr beim Fegen. Ignatius von Loyola formuliert dies so: Gott in allen Dingen finden. Damit kommt es nicht auf irgendeine Vorlage an, sondern darum wie man etwas jetzt in diesem Moment nutzt, auffasst und in welcher Haltung man dem begegnet.


"Wo ist euer Heute?“, fragt Huang Po. D.h. es ist nicht irgendwo in der Zukunft noch in der Vergangenheit etwas zu finden, sondern der Zen-Geist wirkt in jedem Moment, in jedem Alltag. Lehren sind nicht fertig übernehmbar, sondern Werkzeuge, die in einem selber bohren müssen, man darf nicht unbeteiligt sein, es kann nichts übernommen werden. Aber man muss die richtige Stelle finden: d.h. das richtige Werkzeug und den passenden Bereich in einem selbst. Nur dieses Zusammenspiel bedeutet Zen: deswegen gibt es Zen, aber keine Zen-Meister für sich.


Hakuin schreibt zu diesem Koan, „this saying is hard to penetrate; is is in the same mold as ‚he still has habit-ridden consciousness.‘ It is an extremely subtle saying: the path of language ends.“ (Cleary 2000: 39) Aber Yuanwu gibt uns trotzdem einen Hinweis. „Der ganze Sinn ist einfach, daß er [Huang Po] seine Angel auswirft, um einen Frager zu fischen. Und unter den Hörern ist nun richtig ein Zen-Bruder, der nicht um Leib und Leben bangt, sondern vortritt und den Meister fragt“ (Gundert 1960: 228). Und dieser Frager stellt eine "wirkliche“ Frage, die eine Interaktion zwischen den beiden erzeugt. Denn zunächst scheint Yuanwu Huang Po zu kritisieren: „und der alte Chinese weiß in der Tat keine deutliche Erklärung zu geben, sondern wird im Gegenteil leck und locker“ (Gundert 1960: 228). Aber eigentlich ist dies keine Kritik (wie so oft im Zen), sondern ein Anerkenntnis. Denn auch Huang Po ist jetzt in der Situation, in der er nicht einfach eine vorgefertigte und schon zurecht gelegte Antwort raushaut auf die ihm gestellte Frage, sondern er weiß erstmal nicht weiter, was er zu antworten hat - und dann muss er erstmal eine Antwort in sich aufsteigen lassen. Eine Antwort, die nicht aus dem Nachdenken entstanden ist, sondern aus der Bedrängnis und Interaktion in diesem Moment, so dass in diesem Moment, in diesem Heute echter Zen sich ereignet.


Dann versucht Yuanwu selber bei seinem Vortrag nach einem wirklichen Hörenden, einem wahren Zen-Schüler zu suchen, denn auch seine Erklärungen bleiben nur Abschaum, wenn sie nur so aufgesaugt werden und nicht zurückgegeben werden: „Wenn ich, der Mönch vom Berge, in dieser Weise rede, so bedeutet das, daß ich bereits bis über den Kopf eingesunken bin. - Ihr alle, wo habt ihr eure Nüstern? - Nach einer langen Weile sagte Yüan-wu: Ich hab sie euch durchbohrt!“ (Gundert 1960: 228). So hat Yuanwu anders anders als Huang Po keinen Hörer gefunden, zumindest nicht unter den Hörern in der Halle, aber vielleicht unter seinen Lesern. Alle in der Halle sind sie nicht frei, werden wie ein Wasserbüffel mit einem Ring durch die Nase einen Weg geführt, der nicht ihrer ist. 

Es bringt nix nur zu lesen oder Lehren zu hören… da macht es auch keinen Unterschied, ob man viel oder verschiedenes weiß. Denn eigentlich hat man nichts gewonnen, wenn man viele Zen-Meister gehört hat. Von jedem guten Koan heißt es, dass es alle anderen schon enthält - es würde also auch eines ausreichen und dieses immer Wiederkäuen (die Christen kennen dies als Ruminatio). Es geht nicht darum als Pilger unermüdlich auf der Suche zu sein, damit man mal irgendwo den Schatz schon fertig findet und so lange muss man suchen. Es gibt keinen Zen-Meister, der dies so fertig geben könnte…


Tenkei kommentiert dies: „Everywhere they say that people who consume writings and sayings are gobblers of dregs, but Daie explained that if writings were dregs, then ‚the oak tree in the yard‘ and ‚three pounds of flax‘ would also be dregs.“ (Cleary 2000: 39) Wenn also jede Zen-Lehre nur der Abschaum der Wahrheit oder des Zen-Geistes ist, dann gilt dies auch für ganz große Koans, wie Daie hier zu bedenken gibt (das eine begegnet uns als 12. Zugang direkt im Anschluss). Und es stimmt, denn an sich ist eine Lehre nichts wert, so dass man mehreren Menschen ein Hölderlin Gedicht lesen lassen kann und es nichts in ihnen verändert und sie es genauso gut dafür verwenden können, um sich damit den Arsch nach dem Scheißen abzuwischen. Auf der anderen Seite kann ein wirklicher Schüler jede Alltagssituation nutzen, um den Geist zu spüren und zu erkennen. So dass man Erleuchtung erlangt, beim Anblick des Morgensterns oder beim Klacken eines Steines an einem Bambusrohr beim Fegen. Ignatius von Loyola formuliert dies so: Gott in allen Dingen finden. Damit kommt es nicht auf irgendeine Vorlage an, sondern darum wie man etwas jetzt in diesem Moment nutzt, auffasst und in welcher Haltung man dem begegnet.


"Wo ist euer Heute?“, fragt Huang Po. D.h. es ist nicht irgendwo in der Zukunft noch in der Vergangenheit etwas zu finden, sondern der Zen-Geist wirkt in jedem Moment, in jedem Alltag. Lehren sind nicht fertig übernehmbar, sondern Werkzeuge, die in einem selber bohren müssen, man darf nicht unbeteiligt sein, es kann nichts übernommen werden. Aber man muss die richtige Stelle finden: d.h. das richtige Werkzeug und den passenden Bereich in einem selbst. Nur dieses Zusammenspiel bedeutet Zen: deswegen gibt es Zen, aber keine Zen-Meister für sich.


Hakuin schreibt zu diesem Koan, „this saying is hard to penetrate; is is in the same mold as ‚he still has habit-ridden consciousness.‘ It is an extremely subtle saying: the path of language ends.“ (Cleary 2000: 39) Aber Yuanwu gibt uns trotzdem einen Hinweis. „Der ganze Sinn ist einfach, daß er [Huang Po] seine Angel auswirft, um einen Frager zu fischen. Und unter den Hörern ist nun richtig ein Zen-Bruder, der nicht um Leib und Leben bangt, sondern vortritt und den Meister fragt“ (Gundert 1960: 228). Und dieser Frager stellt eine "wirkliche“ Frage, die eine Interaktion zwischen den beiden erzeugt. Denn zunächst scheint Yuanwu Huang Po zu kritisieren: „und der alte Chinese weiß in der Tat keine deutliche Erklärung zu geben, sondern wird im Gegenteil leck und locker“ (Gundert 1960: 228). Aber eigentlich ist dies keine Kritik (wie so oft im Zen), sondern ein Anerkenntnis. Denn auch Huang Po ist jetzt in der Situation, in der er nicht einfach eine vorgefertigte und schon zurecht gelegte Antwort raushaut auf die ihm gestellte Frage, sondern er weiß erstmal nicht weiter, was er zu antworten hat - und dann muss er erstmal eine Antwort in sich aufsteigen lassen. Eine Antwort, die nicht aus dem Nachdenken entstanden ist, sondern aus der Bedrängnis und Interaktion in diesem Moment, so dass in diesem Moment, in diesem Heute echter Zen sich ereignet.


Dann versucht Yuanwu selber bei seinem Vortrag nach einem wirklichen Hörenden, einem wahren Zen-Schüler zu suchen, denn auch seine Erklärungen bleiben nur Abschaum, wenn sie nur so aufgesaugt werden und nicht zurückgegeben werden: „Wenn ich, der Mönch vom Berge, in dieser Weise rede, so bedeutet das, daß ich bereits bis über den Kopf eingesunken bin. - Ihr alle, wo habt ihr eure Nüstern? - Nach einer langen Weile sagte Yüan-wu: Ich hab sie euch durchbohrt!“ (Gundert 1960: 228). So hat Yuanwu anders anders als Huang Po keinen Hörer gefunden, zumindest nicht unter den Hörern in der Halle, aber vielleicht unter seinen Lesern. Alle in der Halle sind sie nicht frei, werden wie ein Wasserbüffel mit einem Ring durch die Nase einen Weg geführt, der nicht ihrer ist. 

Auch wenn auf etwas Zen drauf steht, ist ist dies noch lange kein Zen, sondern erst, wenn du frei davon bist, Zen zu suchen.

12. Hinweis

A monk asked Tung Shan, "What is Buddha?" 

Tung Shan said, "Three pounds of hemp." 

Der Mönch stellt eine sophistische Glasperlenspiel-Frage. Und Dung-schan geht so gar nicht auf dieses Spiel ein, da die Frage einfach nicht zu beantworten ist und man zum anderen noch nicht einmal erklären kann, dass man darauf nicht antworten kann. Er steht einfach nur da und verweist auf die drei Pfund Hanf, die wahrscheinlich vor ihm liegen.

Aber deswegen ist diese Begegnung so gar nicht trivial und nicht weniger gefährlich, so dass Yuanwu einführt: „Ein Säbel, um zu töten, ein Degen zum Lebendigmachen […] Gilt es zu töten, so wird dabei auch nicht ein Härchen gekrümmt. Gilt es, lebendig zu machen, so muss doch Leib und Leben dabei zugrunde gehen.“ (Gundert 1960: 239) D.h. er tötet die Frage in der Hinsicht, indem er keinen Lehrvortrag dazu hält, sondern einfach auf den Alltag verweist. Aber er macht die Frage auch lebendig mit seinem Verweis auf den Alltag. Denn es geht auch nicht darum, dass man existenzielle-transzendente Fragen einfach abschneidet und ein rein immanentes Leben führt, sondern indem beide Ebene verbunden werden. 

Ich muss existentielle Fragen reflektiert formulieren, aber finde die Antworten nur in einem körperlichen Alltag, in einem impliziten Wissen bzw. Können. Ich kann den Hanf, als Gebrauchsgegenstand sehen, der mir durch meinen Beruf vorgegeben ist. Aber ich kann ihn auch bewundern: seinen Geruch entdecken, wie er sich anfühlt und ihn erkunden, was man alles mit ihm machen kann… selbst dass er ganz tief in mich hinein kriechen kann, indem er meinen Geist verändert.

Aber man kann den Hanf und sich selbst auch total verfehlen: wenn ich ihn nur ausbeute, um damit Prestige und Geld zu erlangen. Kann ich mir alles kaufen, wird also alles für mich gemacht, mache ich mir nicht mehr die Hände schmutzig... dann sind alle Dinge auf Distanz.

So wie die Affen, die nach ihrem Spiegelbild im Wasser greifen. Es sieht gleich aus, aber wenn man genau hinschaut, ist es spiegelverkehrt. Und nehme ich etwa das Spiegelbild meiner Geliebten für das echte, so falle ich beim Umarmen einfach ins Wasser. 

Bleibe ich bei der existenziellen Fragen auf einer buchstäblich allein „reflektierenden“ Ebene, bekomme ich nur ein Spiegelbild zu sehen, was nicht trägt. Bei den alten Griechen gibt es eine schöne Redewendung, nämlich dass ein Gedanke erst „durch die Knie gegangen sein“ muss. D.h, dass ein Gedanke sich im wahren Leben als belastbar erwiesen haben muss, so dass ich nicht einknickt, wenn es gefährlich und existentiell wird. 

Ein Beispiel, wo diese Belastbarkeit oft nicht gegeben zu sein scheint, ist wenn Leute mal über den Tod reden. Meist hat man das Gefühl, dass dies nur blasse und seichte Gedanken, weil sich damit nie wirklich auseinandergesetzt worden ist. Eher Sentimentalität über die Vergänglichkeit nach einem Glas Wein zu viel. Aber trägt das, wenn jemand stirbt, der einem wirklich nahe steht oder wenn man selber vor dem Sterben steht? Wenn man selber stirbt hat man den Vorteil, dass auch wenn man die Situation überhaupt gar nicht einholen kann, man einfach überrumpelt wird. Herzlichen Glückwunsch… zu einem belanglosen Leben als Schwiegervater vor der Glotze. Alles Wichtige verpasst.

Der erste Vers im Gesang bedeutet eigentlich nur, die Sonne zieht schnell vorbei, genauso schnell wie der Mond… nur niemand bekommt dies vor lauter Geschäftigkeit mit. Dieser Ablauf ist so festgesetzt, so voller Harmonie, birgt so viel Schönheit, ermöglicht erst Leben… und ist unverfügbar, dass wir ihn nicht beeinflussen können und wenn er irgendwann mal aufhören sollte, stehen wir ohnmächtig davor und müssen sterben. Keiner fragt was der Sinn ist, dass es Sonne und Mond gibt, warum ein Tag 24 Stunden hat. Was ist eigentlich eine Stunde? Aber trotzdem ist alles Leben auf der Erde an diesem sinnlosen Geschehen ausgerichtet. 

Und das ist die Bedeutung des Buddha. Spekulationen werden einfach weggewischt, es gibt nichts zu erklären. Entweder man hat es verstanden oder nicht! Im Frühling blühen die Pflanzen… ganz ohne Warum! Und in verschiedenen Gegenden wachsen unterschiedliche Pflanzen… ganz ohne Warum! Warum soll man immer bei einer Beerdigung klagen? Warum muss jemand immer noch länger leben? Geht er einfach wie die Sonne unter?

Zen bedeutet, dass man diese Erwartungen und Fassaden und Konstruktionen niederreisst… und dann ohne Wunschvorstellungen die wirklich wichtigen Dinge erst unverstellt wahrnehmen kann. Yuanwu schreibt, dass „Worte nur Gefäße und Stützen sind, um den Weg, die Wahrheit zu tragen: Die Leute verstehen eben einfach nicht, wie die Alten es tatsächlich meinten, und suchen nur im Wortlaut herum. (Gundert 1960: 240) Und weiter: „Seinen Ausspruch ‚drei Pfund Hanf‘ verstehe die meisten Leute einfach als seine Belehrung auf die Frage nach dem Buddha. Sie sind immer nur damit beschäftigt, Theorien über den Buddha aufzustellen. Denen sagt Hsüä-dou: Wenn du in dieser Weise Dung-schans Worte breit ziehst und aufs Geratewohl herumträgst, iss es zu verstehen sei, dann ist das gerade, wie wenn eine lahme Landschildkröte und eine blinde Meeresschildkröte miteinander n eine hohle Schlucht hineingehen (aus der sie nie mehr herauskommen).“ (Gundert 1960: 245)

Das Schwert, was gleichzeitig lebendig macht und tötet, tötet damit alle rationalen Herangehensweisen und Zugangsweisen zur Welt und zu mir selbst. Und indem dieses als Grundlage getötet wird, entsteht Leben in Freiheit. Hakuin schreibt hierzu: „The Great Death is easy; whether enlivening or killing, if you kill opinionated rationalization there is an immediate revival. […] Lose your body and mind, and right then and there your are a living Buddha.“ (Cleary 2000: 41)

Eine Freiheit, die frei in der Welt hängt und sich nicht von Wertvorstellungen und Wettkampf um Anerkennung leiten lässt, sondern Rationalität dafür frei verwenden kann, aus einem Mitgefühl, dass etwas da ist - einfach das faktische Sein wertschätzt.

Die Leute halten fest, weil sie glauben so zu leben, aber verenden langsam; der Alte lässt dagegen los und gewinnt das Leben!

13. Hinweis

A monk asked Pa Ling, "What is the school of Kanadeva?" 

Pa Ling said, "Piling up snow in a silver bowl."

Yuanwu leitet dies mit den Worten ein, „when snow covers white flowers, it’s hard to distinguish the outlines.“ (Cleary 2000: 44) Der Schnee bedeckt alles, aber die Blüten und die einzelnen Dinge sind dadurch nur versteckt und nicht zerstört, sondern nur für eine bestimmte Zeit nicht sichtbar. Und dafür gibt es Ruhe und Pause - und etwas alles Verbindendes. 


Aber dieses Verbindende liegt nicht im Schnee, sondern in etwas was im Schnee so direkt nicht greifbar ist: „Kälte ist kälter als Eis und Schnee“, schreibt Yuanwu weiter (Gundert 1960: 251). Bei der Kälte im Unterschied zu Eis und Schnee, geht es hier nicht um wissenschaftliche Abstraktheit oder platonische Ideen, sondern um einen Kategorien- oder Perspektivwechsel. Hier geht es um das Verbindende, was einzelne Erscheinungen eine Gemeinsamkeit gibt oder den Untergrund bildet, wie ein Blatt Papier für die Schriftzeichen. Und dabei sind Kälte oder auch Feinheit abstrakte Konzepte, die man aber nicht an den Dingen ablesen kann… genauso wie Befreiung. 


Und in der silbernen Schale verschwindet durch die Spiegelung einfach der Schnee, sie sieht weiterhin leer aus. Das konkrete Ding des Schnees verschwindet einfach in dieser Schale, es ist aber weiterhin da. Yuan Wu kommentiert dazu: „Die Blumen zerflattert in sieben, acht Blättchen!“ (Gundert 1960: 252) Wie interessant auch die Einzelteile der Blume sind, sie sind keine Blume mehr. Und man kann sie auch nicht selber mehr zusammensetzen.


Hsuä-Dou lobt Bang-Ling dafür, dass er die Lehre der Deva-Schule neu erschließt. Hier ist es vielleicht wichtig zu wissen, dass die Deva-Schule von dem Inder Nagarjuna aus dem 2. Jhd. herkommt. Nagarjuna ging es darum, alles darauf zurückzuführen, dass es leer ist. Und damit würde die Silberschale genau dies machen: man legt ein Ding wie den Schnee in die Schale und es verschwindet in der Spiegelung. Durch die Einleitung von Yuanwu bekommt dies sogar noch einmal ein interessante Wendung, denn dort ist der Schnee selbst die Leere, denn er verdeckt die einzelnen Dinge unter seiner Schneedecke und ist damit die Leere, die alles verbindet. In der Silberschale wird nun die Leere leer… und hier sind wir dann wieder in unendlicher Zirkulation und Leerlauf! Und diesen einfachen Sachverhalt, dass alles auch die Leere selbst letztendlich immer wieder auf Leere zurückgeführt werden kann, sollten auch die zu Nagarjunas Zeit konkurierenden 96 verstehen, da es hier nicht um spitzfindige, gelehrte Unterscheidungen geht, sondern um eine unmittelbare Erfahrung der Leere, wie man sie etwa in einer klaren Mondnacht machen kann.


Yuanwu weißt auf diese leere Leere hin in dem er von einer Verdoppelung des Koans spricht…und das viele hieran Leib und Leben verlieren werden. Und dies meint zur Erleuchtung kommen. Und damit ist Erleuchtung auch nichts, was man anzustreben hat, da sie genauso leer ist. Kein höherer Zweck, sondern nur dieses ganz die Situation nutzen, sich in den Dienst nehmen lassen, mit keinen eigenen Vorstellungen, aber das was gegeben und geschenkt wird, entfalten und keine eigenen Vorstellung mehr dafür hereinbringt: „Erst wenn ihr geschlagen seid und euch unterwerft, werdet ihr’s erlangen.“ (Gundert 1960: 257)


Der Mond am Himmel ist da eine gute Analogie…er strahlt nicht von selbst, sondern spiegelt das Licht wie die Silberschale oder wie weißer Schnee. Hakuin dreht diese Schraube von der Ununterschiedenheit noch weiter mit dem Mond, „while the full Moon is bright as can be, it’s hard to tell which is the snow and which are the flowers.“ (Cleary 2000: 44)


Zen will diesen Perspektivwechsel vom kalten Schnee zur Kälte und dann in dieser Kälte das Verbindende zu erkennen. Aber dieser Perspektivwechsel kann nicht mit Worten beschrieben werden, sondern nur dort hingeführt werden… gleichwohl besteht immer die Gefahr, wieder in die Begrifflichkeit zurückzufallen: 

"As Yun-yen was sweeping the grounds, Kuei-shan said, ‚Too busy!‘ 

Yun-yen said, ‚You should know there is one who is not busy.‘ 

Kuei-shan said, ‚Then there is a second moon.‘

Yun-yen stood the broom up and said, ‚Which moon is this?’ 

Kuei-shan lowered his head and left. Hsuan-sha heard about this

and said, ‚Precisely the second moon!‘ (Cleary 2001a: 311)

Ach! Wir kennen uns wenig,/ Denn es waltet ein Gott in uns. (Hölderlin)

14. Hinweis


A monk asked Yun Men, "What are the teachings of a whole lifetime? " 

Yun Men said, "An appropriate statement." 

Yuanwu führt ein: „Ein Säbel, um zu töten, ein Degen um lebendig zu machen.“ (Gundert 1960: 271) Das Zen gleichzeitig tötet und lebendig macht, taucht sehr oft auf. Es tötet vieles, was normalerweise als wichtig erscheint, oft ist das Mönchsleben äußerst karg und trotzdem glücklicher oder vor allem erfüllter, als von so manchem Adligen oder Kaufmann. Es wird eher aufgezeigt und damit getötet, dass etwas Materielles keine Erfüllung bringen kann. Und in dem man dies erkennt und tötet, wird etwas viel Wesentlicheres lebendig. Interessant ist auch, dass Yuanwu hier für das Töten einen groben Säbel gebraucht, für das Lebendig machen aber einen filigranen Degen. Denn natürlich kann man vieles töten, so geht auch ein Nihilist, Satanist, Hedonist (!) vor, indem sie die höheren Werte niedermetzeln. Aber gleichzeitig fehlt ihnen der präzise Schnitt, der Lebendig macht. So kann man einen Baum einfach brutal umhauen oder man stutzt ihn radikal zurück, wodurch er zu neuem Leben findet - nur für Letzteres braucht man deutlich mehr Wissen und Fingerspitzengefühl, d.h. einen Degen.


Dieses Töten und Lebendig machen, taucht aber in ganz vielen Bereichen auf. Hier wird es auf den Zen selbst bezogen: Scheiß auf die ganze buddistische Literatur und es ist so egal, welche Entwicklung und Widersprüche in den Sutren sind. Zen definiert sich auch als ein Buddhismus ohne Schriften (was natürlich nicht ganz stimmt), sondern aus der direkten Erfahrung. Denn wenn man die Lehren vom Buddha nur als Wissen verwendet, was man auswendig lernt, sophistisches Glasperlenspiel betreibt oder sich auf eine historisch-kritische Exegese beschränkt, hat man davon nichts verstanden und vor allem man wird dadurch nicht geändert, erlangt keinen großen Tod und wird als Bodhisattva wiedergeboren. Es ist wie Reiseführer zu lesen, ohne jemals das eigene Dorf zu verlasen oder Liebesromane zu lesen, ohne je den Mut zu haben, sich einem anderen Menschen hinzugeben.


Aber was antwortet Yunmen genau? Es ist eine kurze Äußerungen, die selbst für einen Chinesen nur schwer direkt zugänglich ist. Man könnte übersetzen mit passender Zuspruch oder persönliche Zusagen. Aber was ist damit gemeint? Vielleicht ist es das Lächeln der Eltern ihrem Kind gegenüber, dass es auf dem Weg ins Leben begleitet, das Mut und Halt gibt. Es ist das „Ich liebe dich!“ bei einem Liebespaar, was manchmal auch nur ein Blick ist… und wie kann die ganze Welt durch so eine Zusage aufblühen. Aber auch wie hart kann sie verdorren und zerfallen und zum kalten, lebensfeindlichen Abgrund werden, wenn diese Zusage zerfällt oder weiter besteht, aber nicht gelebt werden kann.


Und auf dieser Ebene ereignet sich auch die Lehre Buddhas. Er stellt kein Lehrgebäude auf oder einen Moral-Codex, sondern er lächelt uns an. Wie bei Kashyapa, der als einziger das Lächeln des Buddhas versteht und annehmen kann. Dieses Lächeln sagt nichts aus, hat keinen Inhalt. Genauso sagt das Lächeln der Eltern nicht, dass das Kind jetzt dies und jenes machen soll oder das Lächeln des Liebenden. Es drückt alleine die Freude darüber aus, das du da bist. Kein Ausdruck für eine Leistung, etwa die ersten Schritte des Kindes, sondern einfach nur über das Dasein. Und auch wenn unserer Kinder immer mehr zu Leistungsträgern pervertieren, wird es diese Momente, einfach nur dieses Dasein anzunehmen, immer geben (aber trotzdem bleibt es eine perverse Entwicklung). Die Augstuinerkirche in Würzburg begrüßt jeden in ähnlicher Weise mit dem Spruch: Ich will, dass du bist!


Es gilt die Richtigkeit einer Handlung im jeweiligen Moment zu erspüren. Man weiß nie was kommt oder für was etwas gut ist, es gibt keine Sicherheit, für nichts eine Garantie, und es gibt keine Vorlagen dafür. Etwas im Nachhinein zu bewerten oder im Vorhinein anzustreben oder bereits auszuschließen ist sinnlos. Ich töte die Zukunft und die Vergangenheit, töte meine eigenen Zweifel und ermögliche mir dadurch mein Leben im Jetzt. Wenn ich aufrichtig aus dem Moment heraus entscheide und nicht nach irgendwelchen (fremdbestimmten) Lebenskonzepten oder vorgefertigten Meinungen heraus agiere, aber dies eben aus diesem Zuspruch, dann lebe ich in Freiheit. Aber es ist deswegen kein Egoismus, weil es diese Bezogenheit auf den Zuspruch des anderen ist. Egoismus zerstört Liebe, deswegen ist es immer dieses sensible Spiel von Freiheit und Bezogenheit/Zuspruch, von Töten und Lebendig machen. Ich lebe aus dem anderen heraus, sozusagen als kultivierte Persönlichkeitsstörung und Depersonalisierung.


Und Yunmen ist so schnell mit seiner Antwort wie ein Schwert: er macht in einem kurzen Satz gleichzeitig lebendig und tot. Denn er widerlegt die Frage des Mönchs nicht, sondern schneidet sie einfach ab. Und doch ist der Hieb so, dass der Mönch diesen annehmen muss. Denn er kann aus der Antwort auch raushören, dass die Unterschiede in der Lehre beim Buddha sich daraus ergeben, dass der Buddha seine Lehrreden an sein Publikum angepasst hat. Aber dies hat er gemacht, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen… und dies ist ein Aspekt des Zuspruchs. Quasi wieder eine Drehung weiter gedreht. Denn es geht auch nicht darum, dass für den einen das Wissen und für den anderen das andere Wissen wichtig ist… es geht um den Durchbruch zu diesem einen Zuspruch. Es geht darum, wie Yuanwu schreibt, „mit ausgestrecktem Finger auf das Herz des Menschen zu deuten, daß er im Anblick seiner innersten Natur zum Buddha werde.“ (Gundert 1960: 272)


Zwar kann die Literatur hier helfen, etwa in dem die falschen Gewissheiten des Alltags zerstört werden (wie Karriere und Prestige) oder auch zeigt wie vor uns Menschen „ihren“ Weg gegangen sind, den wir zwar nicht übernehmen können, aber wovon wir paradigmatisch lernen können. Aber Literatur bleibt eigentlich immer unzulänglich, eine positive Gegenposition auszuarbeiten… schöne Literatur bleibt dafür in offenen, immer neu ausdeutbaren Bildern… wirkliche religiöse Literatur endet immer im Unsagbaren! Aber leider dann doch viel zu oft in der Moral und im Dogmatismus. Interessant ist, dass Yuanwu sich dem bewusst ist und dass selbst Yunmen seine Kritik an der Orientierung an der Literatur in Worte fassen muss (auch wenn diese sehr kurz sind und gar keine Erklärung oder Lehrsätzen sind) und dies auch für Yuanwu gilt. Und endet seinen Kommentar deswegen mit: „Und nun ein Hieb mit dem Stock!“ (Gundert 1960: 274)

Und was macht denn dieser Hieb? Er ist kein Diskurs, aber er ist etwas, wo jeder sich selber empfindet, ganz ungetrübt, denn man kann den Hieb leider auch nicht ausblenden. Der ist einfach da und ist im ganzen Körper präsent. Oder auch das Ergriffensein durch eine tiefe Liebe. Der Punkt ist nicht, dass man dem anderen Komplimente macht oder gegenseitig sich durchs Leben hilft, sondern dass es ein ganz tiefer Zuspruch füreinander ist: dass aus einem ein ganz, ganz tiefes Ja zu der anderen Person kommt, was der andere tatsächlich in der Liebe annehmen kann.

Weit vor Sonnenaufgang flüstert sie ihm zu: Ich liebe dich… ich habe noch nie in meinem Leben so ein Ja verspürt!! (14. April um 05:43:40)

15. Hinweis


A monk asked Yun Men, "When it's not the present intellect and it's not the present phenomena, what is it?" 

Yun Men said, "An upside-down statement." 

Der Mönch hat Yunmen offensichtlich nicht verstanden bzw. falsch verstanden. Denn er fragt nun danach, was es bedeutet, rein abstrakt von etwas zu handeln ohne einen direkten Adressaten. Und die von Yunmen Antwort ist fast gleich, es ändert sich nur ein Buchstabe. Es ist sozusagen das gleiche Schwert, nur dass es bei der ersten Antwort lebendig machen (Zuspruch) und nun töten will (Zubodenspruch). 


Zunächst geht es hier darum, dass es keine allgemeinen Lehren gibt, die für jeden gelten und die nur übernommen werden müssen, also keine Moral, keine Normen, keine Dogmen. So weit, so Zen. Aber hier ist weiter diese Betonung der Passung zwischen Frage und Antwort, die beide Kommentatoren hervorheben und die oft so im Zen kommt. Yuanwu: „Weil die Frage in der Antwort drin steckt, und die Antwort in der Frage. Wo hätten je die heiligen Männer alter Zeiten auch nur eine einzige Wahrheit oder Lehre anderen darzubieten gehabt?“ (Gundert 1960: 286). Aber hier kommt ja der fast gleiche Satz auf zwei verschiedene Fragen. Und diese Antwort hat ja fast gegensätzliche Bedeutungen zumindest an der Oberfläche - aber vielleicht liegt der Kern der Frage bzw. das Missverständnis des Mönchs eh etwas hinter der wörtlichen Frage.


Denn hier geht es um deutlich mehr als der Punkt, dass die Botschaft nicht beim Sender, sondern beim Empfänger entsteht (und erst recht nicht als Verflachung durch Schulz-von-Thun, sondern eher die Kybernetik von Shannon/Weaver (1949) sollte hier der Maßstab sein). Aber es geht nicht darum, dass der Buddha oder ein anderer Meister eine individuelle Antwort bzw. Wissen einer Person gibt, sondern sie eher in die Suche stößt. Denn hier geht es gar nicht primär um Bestätigung oder jemanden abholen, wo er gerade ist… hier geht es um offenlegen, um das zu Zuboden werfen, um Irritation… aber damit auch um die Wahrheit, für diesen einen Mönch. Christlich gesprochen geht es um μετάνοια und καταλλαγή.


Aber es ist fast schon gut, dass der Mönch noch seine zweite Frage hinterherschiebt. Denn erst so wird deutlich, dass Leben und Sterben zusammengehören - und dies nicht nur am Ende des Lebens, sondern in jedem Augenblick. So ist auch eine Liebe verfehlt, wenn sich beide Seiten nur bestätigen. Natürlich ist dieses ganz tiefe Ja, der Grund einer Liebe. Und selbst dies ist schwer zu erreichen, indem man den anderen Menschen aber auch sich selbst, ganz annimmt und liebt, so wie er ist, als ganzer Mensch mit allen Widersprüchen und Fehlern. Aber auch diese Liebe ist schnell tot, wenn sie bei der Bestätigung stehen bleibt. Sondern es geht gleichzeitig darum, durch dieses Ja hindurch sich gegenseitig vorwärts zu treiben, ganz tief in einem selbst immer mehr die gebundenen Strukturen zu töten… und so immer mehr in die Freiheit aufzubrechen. Eine Freiheit, die so ganz anders ist und schmeckt, als die Freiheit in einer liberalen Gesellschaft. „Wer Ohren hat, der höre.“ (Apk 2, 7).


Deswegen Arbeiten religiöse Texte auch mit Bildern, Metaphern, um feste Strukturen und eingefahrene Denk- und Verhaltensgewohnheiten in Bewegung bringen, aber Bewegung in dem Sinne, dass etwas in seine eigene Form findet und nicht das Pressen in vorgefertigte Lehren.


„Fügt sich Wort zu Wort“… eigentlich macht Yunmen genau das, was der Mönch sagt: er gibt dem Mönch eine Antwort, die nur für ihn ist. Nur dass dies kein pädagogisch aufbereitetes Wissen ist, damit dieses besser auswendig gelernt werden kann. Aber was macht er dann da? Er benutzt den gleichen Satz (das gleiche Schwert), verändert nur einen Laut (ändert nur die Schneide) und gibt das eine Mal damit Leben, das andere Mal tötet er. Und Hsüä-dou gibt auch einen Hinweis darauf, wie dies zu verstehen ist, denn es geht hier gar nicht darum, dass er ein bestimmtes Wissen zum leben bringt, oder etwas anderes konkret Falsches aufgreift, benennt und dann für den Mönch tötet, sondern er schreibt „mit dir sterben, mit dir leben“ (Gundert 1960: 287) oder in der englischen Übersetzung: „dying together, living together, he gives you certainty“ (Cleary 2000: 50). 


Und hier hat man auch eine ganz stark jüdisch-christliche Parallele zum Gott im Dornbusch der seinen Namen nennt, d.h. sich sozusagen definiert, als „ich werde es sein, der ich es sein werde“ (vgl. Jacob 1997: 64ff.). Es geht in beiden Fällen gar nicht um die Inhalte bzw. sind diese nebensächlich. Klar bekommt Mose in diesem Kontext auch die zehn Gebote, aber ist es das, worum es geht? Denn als erstes bekommt er nur diese Antwort, die zehn Gebote kommen erst auf Nachfrage und was er seinen Leuten dann konkret sagen soll. Für viele ist deswegen der Inhalt wie etwa die Zehn Gebot das Wesentliche, dass ist dann Religion als Moralagentur (etwa im Sinne von Habermas). Es ist das einfacher zu Vermittelnde. Folgt man dem Liebes-Anarchismus von Augustinus mit dem „Liebe, und dann tue was du willst“ (Przywara 1934: 480) ist man viel tiefer in diesem Glauben drin, aber auch unkontrollierter, keine Kopie von Normen, sondern ein Original (wie so viele Zen-Meister). 


Es geht um dieses Mitgehen, aber dies nicht als unterhaltsame Begleitung oder einem Glauben, der einem mehr Sicherheit und Orientierung im Leben gibt (wie Glaube auch oft verstanden wird), sondern ein Mitgehen durch alle meine Himmeln und Höllen, der nur Sicherheit darin gibt, dass jemand mitgeht, ich aber immer selber gehen muss. Und noch nicht klar ist was kommt. Der mir eher die Augen öffnet für das wirkliche Schöne, aber auch für das furchtbar Schreckliche und die Abgründe im Leben. Aber jemand, der da ist und Mut macht, nicht stehen zu bleiben… als Gott, aber auch als liebender Mitmensch.


Und darauf verweisen dann auch die nächsten beiden Verse…die Vierundachtzigtausend Zuhörer auf dem Geierberg hören den Inhalt der Lehre des Buddhas, aber es bringt ihnen im Grunde nichts. Nur Kashyapa „versteht“ oder besser realisiert, denn nicht indem er etwas Begriffliches begreift, sondern indem er mit dem Buddha ist, der eine Blume pflückt und gemeinsam beide die Schönheit der Blume erkennen… und dies ist die Erleuchtung von Kashyapa! Genauso ist es mit den 33 Nachfolgern des Buddha bis zum 6. Patriarchen Huineng in China. Aber ja, die Vierundachtzigtausend haben gemeint, sie finden was, aber nur 33 sind daraufhin erst suchen gegangen. Und witzigerweise glauben alle, dass die 33 die sind, die etwas gefunden haben… was für eine Verblendung!


Der Mond im Wasser ist schön in seiner Präsenz, aber eigentlich ist er auch nicht da, denn es ist eine Spiegelung. Greife ich danach, ist er weg. Betrachte ich ihn nur und weiß seine Gegenwart, ist es unglaublich beruhigend…. die Stille der Nacht, diese seltsame Uhrzeit, wo alle anderen schlafen. Es hat aber auch etwas Ehrfürchtiges, denn ich darf nicht darauf losspringen. Ich darf Gott nicht vereinnahmen mit meinen Vorstellungen von ihm, und ich darf einen Menschen, der mir wirklich nahe steht ebenfalls nicht vereinnahmen nach meinen Vorstellungen, sondern ihn immer wieder in seiner eigenen Person lassen und in mich hineinlassen, ihn immer neu so entdecken, vorwärts gehen, gemeinsam auf einer Bergtour, abseits der Routen… glaubst du, dass du ihn gefunden hast, so hast du ihn verloren (nochmal Augustinus (Przywara 1934: 198f.)). Es geht um die Irritation, sich immer neu zum Leben erwecken zu lassen und die Bereitschaft immer neu getötet zu werden.


Und dann ist glauben und wirklich lieben ruhelos und ein Flimmern fort und fort… und keine Beruhigung oder Sicherheit.

Fruchtbar töten in der Liebe… kalt sterben in der Trennung!

Hinweis 16

A monk asked Ching Ch'ing, "I am breaking out; I ask the Teacher to break in."

Ching Ch'ing said, "Can you live or not?"

The monk said, "If I weren't alive, I'd be laughed at by peo­ple."

Ching Ch'ing said, "You too are a man in the weeds."

Das Verhältnis von Schüler und Meister wird hier zunächst damit beschrieben, dass der Schüler die Hilfe des Meisters braucht, weil er sonst nicht durch die Schale kommt. Außerdem müssen beide an der gleichen Stelle arbeiten und zur gleichen Zeit, denn das Kücken darf nicht zu jung und nicht zu alt sein, damit es lebensfähig ist. Aber warum kritisiert Yuanwu den Mönch dafür, das er sich beim Meister meldet, dass er feilt? Es ist doch genau das richtige für die Synchronisation. „Was rührt er Wellen auf, wo doch kein Wind ist? - Was willst du hier mit solchen Vorstellungen und Begriffen?“ (Gundert 1960: 298). Und der Meister bemerkt richtig, dass es um Leben und Tod dabei geht. Zen genauso wie das Ei liegen immer genau auf diesem Grat von Leben und Tod… aber auch beim Meister kritisiert Yuanwu, allerdings muss man hier die Ironie von Yuanwu mit sehen, so dass man sich auf seine Worte eigentlich nicht verlassen kann und er eigentlich hier Ching Ch'ing lobt und bewundert, für seinen Umgang mit den Mönch: „Er setzt falsch auf falsch.“ (Gundert 1960: 298)  und dass man sich nicht einen Hut kauft, um den eigenen Kopf besser kennenzulernen.


Aber vielleicht ist dieses Verhältnis und der Zeitpunkt, an dem begonnen wird zu picken und zu feilen, nichts was expliziert werden soll, sondern nur implizit gelebt werden kann? Und wird das Kücken lebendig, indem einfach die Henne pickt? Und woher weiß das Kücken, dass es nicht der Fuchs ist? Aber es muss einfach feilen, weil es sonst verhungert in dem Ei. Und es geht auch nicht darum, ob man sich bereit und genügend ausgerüstet dafür fühlt, sondern es geht darum jetzt einfach zu springen. Nichts sonst! Auch die Mutter fragt bei der Geburt das Kind nicht, und das Kind nicht die Mutter… beide werden mit in diesen Prozess hineingenommen… aber dies ist damit nicht passiv, sondern beide müssen sich sehr aktiv darauf einlassen. Sie sind zwar ohnmächtig, aber es funktioniert nur, indem sie in ihrer Ohnmacht alles geben, um dies zu unterstützen.


Dies ist vielleicht der Kritikpunkt von Yuanwu. Es ist schon richtig, dass Schüler und Meister zusammenwirken, aber es ist kein willentlicher Prozess. Es ist kein Abstimmen, wann es einem gerade passt. Und es ist auch kein Beschluss, den man mit seinem Meister treffen kann. Und am wenigsten ist jemand so weit, der seinen Meister darauf aufmerksam macht, dass er so weit ist. „Wer von seiner Übungspraxis wirklich absorbiert ist, hat keinerlei Wissen darüber, ob er vor einer Erleuchtungserfahrung ist oder nicht. […] Wer wirklich tief in der Versunkenheit ist, findet erst dann wieder zu einem Gedanken, wenn er auf etwas anderes stößt.“ (Koun 2002: 187) Auf dies macht auch Yuanwu aufmerksam: „Er übt den ganzen Tag und hat noch nie geübt.“ (Gundert 1960: 297)


Dementsprechend beginnt auch Yuanwu seine Einführung: „Den WEG, den kreuzen keine Gassen. Wer ihn betritt, steht einsam und gefährlich.“ (Gundert 1960: 297) Mit den Gassen sind hier Abkürzungen gemeint, die es nicht gibt, auch wenn der Schüler sich dies noch so wünschen mag oder auch selber daran glaubt. Gerade das Avatamsaka-Sutra bringt hier eine entsprechende Ernüchterung, so dass die meisten Lehrer von Sudhana im sagen, dass sie unendlich viele Äonen meditiert und gelernt haben, bis sie Erleuchtung erlangt haben - d.h. quasi für fast jeden Menschen ist Erleuchtung paradoxerweise nicht zu erlangen. Und dieser Weg ist einsam, so dass es nur selten Gefährten gibt (wie etwa den Meister), die einen in dieser Tiefe begleiten. Aber wenn man eine solche Begleiterin findet, ist es eine Beziehung, die in einer ganz anderen Dimension stattfindet, als die gesellschaftlichen Beziehungen, in denen wir sonst leben. Gefährlich ist der Weg, weil wenn man einmal sich hier auf den Weg gemacht hat und diese Fragen angefangen hat, sich zu stellen, sich hiervon hat berühren lassen, sich auf dieses Ahnen und Hören eingelassen hat, was hier anklingt, so kommt man davon nicht mehr los, weil es keinen Ersatz dafür gibt - nichts reicht hier annähernd heran!


Es ist eine andere Hausluft, die hier weht… kein Kindergarten! Es wird ungemütlich, gescholten und gezwickt wird. Es wird kein Einrichten im warmen, beschützen und gemütlichen Ei geduldet. Es wird die Freiheit gefordert. Es wird gepickt und du musst feilen. Es ist nicht deine Entscheidung und auch nicht die des Meisters. Weder Henne noch Kücken entscheiden darüber, wann die Zeit ist, sie können das Wachstum höchstens erkennen. Sie kennen einander nicht, sondern können sich nur von ihrer Perspektive aus auf den Prozess einlassen. Xuedou schreibt in seinem Gesang dazu: „Küchlein, Henne - keines weiß von dem anderen. / Wer nur wäre es denn, der zumal feile und pickt’?“ (Gundert 1960: 301) Küchlein und Henne picken und feilen einfach intuitiv, ohne darüber zu reflektieren und zu wissen, was sie genau tun und warum gerade jetzt. Beide kennen sich nicht, auch ein großer Meister kann nicht in den Kopf seines Schülers schauen - aber sie können sich gegenseitig ahnen, fühlen und lieben. Aber die wesentliche Frage stellt wieder Yuanwu: „Wo sie schon nicht voneinander wissen, wie trifft es sich denn, daß beide zugleich beginnen, zu feilen und zu picken?“ (Gundert 1960: 301)


Yuanwu kritisiert, dies als Prozess zu verstehen. Es muss ein Schlag sein, der alles enthält: feilen, picken, Licht erblicken und die Schale gänzlich zerstören.  Aber letztendlich ist die Beschreibung des Prozesses auch falsch, weil es dafür keine Namen und Bilder gibt, es gibt keine festgelegten Ablauf. Es ist eher der unmittelbare Schlag, den man nicht beschreiben kann, der keinen Sinn hat, aber der einen ganz sich spüren lässt und zwar Körper und Geist unmittelbar und auch unausweichlich. Es ist eigentlich kein sich Herantasten, dass sich das Bild langsam verändert, sondern es ist ein Sprung, gleichwohl bereitet man sich auf diesen Sprung vor. Man kann nicht unvorbereitet springen. Ist es soweit, so ist das Aufbrechen der Schale kein Wachsen mehr, dafür ist es jetzt zu spät, sondern ein kräftiger Schlag. Beide können den Zeitpunkt nicht sicher wissen, nur ahnen und hoffen... und müssen Springen... es geht um Leben und Tod... nichts weniger…!


Wenn man sich schon mit Begrifflichkeit dem nähern möchte, dann trifft es wohl die Philosophie von Heidegger am ehesten, der hier den Sprung vom Seienden in die Frage nach dem Sein vollzieht. Und dieser Sprung vollzieht sich im Hören. Die Henne und das Kücklein hören sozusagen nicht auf sich selbst und ihre Wünsche, sondern hören auf das Sein selbst, was hier die Koordination übernimmt.


All dies hat der junge Mönch, der sich bereit für die Erleuchtung hält, aber nicht annähernd verstanden. Er Antwortet auf die Frage von Ching Ch’ing, ob er denn tatsächlich dafür bereit ist, d.h. lebensfähig ist, dass er ansonsten lächerlich dastehen würde vor allen Leuten. In dieser Antwort wird noch deutlicher, dass der Mönch nichts vom Zen verstanden hat. Für ihn scheint Erleuchtung so etwas wie ein militärisches Abzeichen oder ein Doktortitel zu sein, womit man in der Gesellschaft sich als wichtig hervortun kann. Man kann natürlich sich promovieren lassen, nur um den Titel führen zu können und nicht wegen dem Inhalt der Arbeit, wie der kleine Graf vom Gutenberg. Genauso geht es auch mit der Erleuchtung und auch heute ist dies doch eine recht verbreitete Einstellung zu Zen und Buddhismus im Westen, dass es der eigenen Selbstdarstellung dient. Bestes Beispiel Yuval Harari, wo ich vermuten würde, dass Yuanwu wie so oft sagen würde „Hat mit der Sache nichts zu tun“, was er zur Mediation sagt - aber vielleicht liegt er auch richtig und wir hier falsch, wer weiß das schon!


Ching Ch’ing hat nun den Mönch sich selbst vorführen lassen mit seinen Intentionen. Er bemerkt nur amüsiert und verächtlich: „Also doch nur so ein alter Chinese, der faul im Gras liegt.“ Diese zwei Fragen und Antworten haben den Mönch von seiner Erwartung unmittelbar vor der Erleuchtung zu stehen dahin geführt, dass er eigentlich unendlich weit davon entfernt ist. Die Frage ist allerdings, ob der Mönch dies auch selber bemerkt realisiert hat. Denn sein Ego verbaut ihm alles, so dass ein wirkliches Hören nicht möglich ist, weder auf das, was der Meister wirklich sagt und noch weniger kann er auf den WEG hören.

Christliches Jakogu: 

„Über den Tag oder die Stunde weiß niemand etwas, auch nicht die Engel im Himmel, auch nicht der Sohn, nur der Vater. Schaut! Passt auf! Denn ihr wisst nicht, wann der Augenblick ist.“ (Mk 13, 32-33) Vom Inhalt und Ton wäre dies auch eine Bemerkung, die Yuanwu geäußert haben könnte. Aber zumindest hätte er, wenn er diese Stelle aus dem Markusevangelium gelesen hätte, damit viel anfangen können. Allerdings wäre er sehr erstaunt gewesen, was das Christentum aus solchen Aussagen gemacht hat: Nämlich die Parusie-Verzögerung. Das Problem ist, dass die von Jesus hier angekündigte Apokalypse noch in diesem Geschlecht, womit er gerade spricht, eintreten soll, aber diese bis heute so nie stattgefunden hat - allerdings nur, wenn man Apokalypse als rein äußeres, passives Widerfahrnis der ganzen Menschheit versteht. Die beiden „Lösungen“ bestehen einerseits darin, die Apokalypse immer weiter zeitlich nach hinten zu verschieben, was aber die ganze Spannung, die hierin liegt, versiegen lässt. Denn wer lebt heute noch aus der Spannung dieser Erwartung? Oder andererseits es wird immer wieder neu ein fester Zeitpunkt gesetzt, auf den dann mit Spannung zugegangen wird, nur dass dann dieser Zeitpunkt verstreicht, ohne das etwas passiert ist. Die erste Strategie verfolgen die Kirchen (wo es gut passt, da hier ja allgemein keinerlei Spannung mehr zu spüren ist) und die zweite eher Sekten, die auftreten und sich dann schnell wieder auflösen (dies sind bis heute die beiden Ansätze, die hier grundsätzlich angeboten werden (Pesch 1977: 317f.). 

Aber wenn Jesus nicht unverschämt gelogen hat, muss doch etwas dran sein, dass die Apokalypse in diesem Geschlecht anbricht, dass das Gottesreich auch jetzt schon längst angebrochen ist, dass Jesus schon immer dir nah ist wie in Emmaus… vielleicht hätte Yuanwu und seine Zen-Kollegen hier Jesus viel besser verstanden, als so viele Kirchenlehrer. Vielleicht bricht Jesus genauso wie die Erleuchtung in mein persönliches Leben ein und hierauf muss ich vorbereitet sein. Apokalypse und Auferstehung sind damit gar kein äußeres Geschehen, sondern ein individuelles-inneres Ereignis, wie die Erleuchtung im Zen. Heidegger würde sagen, dass das Christentum genau an diesem Punkt diese metaphysische Onto-theologie überwinden muss, um aus dem unverdeckten Sein einen Wink wahrnehmen zu können. 

17. Hinweis


„A monk asked Hsiang Lin, "What is the meaning of the Patri­arch's coming from the West?“

Hsiang Lin said, "Sitting for a long time becomes toil­some." 

Warum hat sich Bodidharma von Indien aus, auf den Weg nach China gemacht? Denn wenn jeder den Buddha-Geist hat, warum muss jemand kommen, um diesen zu erschließen? Warum hat Bodidharma ein Ziel bzw. eine Sendung, wenn es dies eigentlich im Zen nicht gibt, sondern nur dieses Jetzt-Sein und So-Sein? Hier kann man viel Sinn und Zweck und Tiefgründigkeit hineininterpretieren. Aber es ist halt nur ein Hineininterpretieren. Aber unser Meister ist kein Journalist, der in Wahlergebnissen den Wählerwillen hineininterpretiert oder sogar weiß, was „der“ Wähler den Politikern damit sagen will (vielleicht eines der besten Beispiele, wo Konstruktionen so offensichtlich sind, dass es dies so überhaupt nicht gibt, sondern nur der Selbstbestätigung dient). Als Grund gibt Xianglin Chengyuan einfach nur an: vom langen Sitzen müde. Und auch in dieser kurzen Antwort ist direkt ein Oszillation drin. Denn spielt er jetzt darauf an, dass Boddidharma aus Indien gekommen ist, um 9 Jahre durchgehend Zazen vor einer Mauer zu machen, nachdem er nicht verstanden worden ist und somit seine Reise sinnlos gewesen ist (siehe den ersten Zugang)? Oder ist der Meister einfach nur gerade selber müde vom langen meditieren und gibt als Antwort einfach nur sein So-Sein in diesem Augenblick wieder? Oder schließt Xianglin Chengyuan direkt nach der Frage mit der üblichen  Abschlussformel eines Teisho jede weiter Erklärung aus (dies wurde so gebraucht, wie bei uns am Ende einer Rede die Floskel „Vielen Dank für ihre Geduld“ (siehe Gundert 1960: 315)). 

 

Bodhidharma ist damals aufgebrochen mit der recht undefinierten Sendung durch seinen Meister Prajnatara, nach China zu gehen. Nur mit dem Hinweis: „There will be a little trouble. You should humble yourself.“ (Cleary 2001d: 122) Dass es nur ein wenig Probleme gibt, ist wohl deutlich untertrieben, zumindest steht Bodhidharmas Aufwand von Indien nach China zu reisen in keinerlei Verhältnis, so dass er eigentlich nur Huike zur Erleuchtung bringt und als Nachfolger des Dharma weiter auf die Pilgerreise schicken kann. Das bescheide dich selbst, ist da schon der passende Hinweis gewesen - und dann nach fünf Generationen blühte die bislang fruchtbarste Zeit des Zen dann doch auf. 

 

Und genauso ist die Aufgabe von Xianglin Chengyuan nicht dieses zu erklären, und genauso ist es nicht unsere Aufgabe dieses zu verstehen, sondern sich wie diese beiden, von einer Situation ergreifen zu lassen, ohne Wunschziel, aber sich offen mitnehmen zu lassen. Eine tiefe Entschlossenheit, ohne ein konkretes Ziel - humble yourself! Genauso wie Bodhidharma gekommen ist, ist auch Corona gekommen: Corona will uns nicht verhindern, sondern ist einfach da. Und man muss trotzdem daraus etwas machen, trotzdem weitergehen, "investieren" hier und jetzt, in eine Realität, die irgendwo in ferner, ungewisser Zukunft liegt. Wir könnten eigentlich ganz träge sein, resignieren und stillstehen und es einfach bleiben lassen - aber dies wäre die falsche Ruhe des Zen. 

 

Eigentlich werden alle Menschen befreit, oder es ist ihnen zumindest die Möglichkeit gegeben… aber sie ergreifen sie nicht oder nehmen gar nicht war, dass sie gefangen sind und dass es Freiheit gibt. Gerade in unserer Zeit geht Religion zurück, denn man kann sich unglaublich gut ablenken, auch mit ganz sinnvollen Dingen, aber tiefgründige Dinge werden weitgehend ausgeblendet. Selbst in Corona-Zeiten wird der Tod ausgeblendet, der Tod muss fern gehalten werden, in den Griff müssen wir ihn bekommen und es wird suggeriert, dass wir dies „schaffen“! Und erst Schäuble hat dann mal darauf hingewiesen, dass es in der Absolutheit nicht richtig ist, „alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten“. Aber genau dies ist die verdrängende Haltung unserer Gesellschaft zum Tod. Der Tod muss wissenschaftlich verstanden und so weit wie es geht in den Griff bekommen werden. 

 

Aber es bringt nichts hier, wie Xuedou in seinem Gesang dazu schreibt, immer rechts und links herum zu laufen, sich dem nicht zu stellen, blank und Auge in Auge mit dem Tod zu stehen, auch nicht durch intellektuelle Weisheit. Sondern es geht darum es zu spüren, zum einen diese Kälte und dieses Abweisende, denn unser Leben ist so banal klein und unwichtig, wenn du in den Sternenhimmel schaust und wenn du überlegst, dass das Wunderschöne, was man etwa in einer Liebe teilt, die nur diesen beiden gehört und dann für immer verschwindet - ohne dass dies je jemand anderes erfahren hat. Und darin zeigt sich dann auch die anderen Seite: einfach nur diese Faszination zu leben und zu lieben, einfach nur dieser Fakt zu leben, zu denken, zu fühlen und zu lieben. Und wenn du dem ausweichst, muss du nur geschlagen werden. Aber es ist eben ein anderes Leben, als das Leben, was etwa durch die Corona-Maßnahmen geschützt und erhalten werden sollte. 

 

Aber genau diese Einstellung zum Leben, lässt sich nicht begrifflich fassen, man kann sie nur erfahren und das aktivste was man hierfür tun kann, ist sich in einem gewissen Grade offen zu halten. Aber ohne etwas zu erwarten, zu planen, oder ein Recht auf etwas zu haben - humble yourself! Deswegen verweigert Xianglin Chengyuan jede begriffliche Antwort auf die Frage. Yuanwu merkt dazu an: „Schwimmt der Fisch, trübt er das Wasser. Fliegt der Vogel, läßt er Feder fallen. - Halte er doch den Mund! - Könnerauge!“ (Gundert 1960: 307) Und Tenkei kommentiert in gleicher Weise: „In the ‚here‘ of sitting long, is there any Zen founder’s meaning? If you call it a reply about the meaning of the Zen founder’s coming from the West, it’s a sack of loofah skins, a worn-out loincloth.“ (Cleary 2000: 56) 

 

Am besten erfassen Bodhidharmas Pilgerfahrt nach China vielleicht die Verse, die ihm zugeschrieben werden, aber wohl erst aus der Tang-Zeit stammen: 

 

„Eine besonders Überlieferung außerhalb der Schriften, 

Unabhängig von Wort und Schriftzeichen: 

Unmittelbar des Menschen Herz zeigen - 

Die (eigene) Natur schauen und Buddha werden.“ 

(zit. nach Dumoulin 2019: 83) 

 

Bodhidharma bringt keine Agenda oder Lehren nach China. Dies haben Kumarajiva und Kollegen schon vor ihm gemacht (und haben der Legende nach sogar versucht ihn zu vergiften). Bodhidharma will nur unmittelbar auf das Herz des jeweiligen Menschen zeigen, oder vielleicht besser die Menschen sich dort berühren lassen. Diese Öffnung zu ermöglichen ist Bodhidharma gekommen. Die Lehren können dafür vorbereiten, aber sie können diesen letzen wesentlichen Schritt auch verhindern, indem man eben nur fremdes Wissen aufnimmt, ohne sich selbst im tiefsten Inneren berühren zu lassen. Aber dem Buddha und sich selbst begegnet man nicht in den Schriften, Lehren und gesellschaftlichen Vorschriften und Konventionen, sondern im eigenen Herzen. 

 

Im 20. Jahrhundert hat Suzuki den Zen in den anderen Westen gebracht, also von Indien, über China ins Abendland. Und er macht an einer Stelle genau auf die Bedeutung des Herzens und unserer eigenen Natur aufmerksam: „When a child performs deeds which polite society would condemn as undignified or improper or sometimes even immoral, the offenses are not only condoned but accepted as acts of innocent charming childlikeness. There is something divine in being spontaneous and being not at all hampered by human conventionalities and their artificial sophisticated hypocrisies. There is something direct and fresh in this not being restrained by anything human, which suggests a divine freedom and creativity. Nature never deliberates, it acts directly out of its own heart, whatever this may mean. Nature is divine in this respect. Its “irrationality” transcends human doubts or ambiguities or equivocations. In our submitting to it or rather accepting it we also transcend ourselves. This acceptance or transcendence is human prerogative. We accept Nature’s “irrationality” or its “must” deliberately, quietly, and wholeheartedly. It is not a deed of blind and slavish submission to the inevitable. It is an active acceptance, it is personal willingness with no thought of resistance. In this, there is no force implied, no resignation, but rather participation, assimilation, and perhaps in some cases even identification.“ (Suzuki 2015: 118, eigene Hervorhebungen) 

Christliches Jakogu: 

„Nicht deswegen hat Gott den Sohn zur Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt in ihm gerettet werde.“ (Joh 3:17) 

 

So wie Bodhidharma nicht nach China gekommen ist, um Lehren zu bringen, ist auch Jesus nicht als Sohn in die Welt geschickt worden, um anhand von Lehren die Menschen zu richten. Darin waren die Juden zu Jesus Zeit schon ziemlich gut, so dass es hier keine Verbesserung einer richtenden Religion brauchte. Jesus zeigt dagegen so wie Bodhidharma nur auf das menschliche Herz und die Liebe, die hieraus aufsteigen kann. „Die Welt richten hieße: urteilen nach Gut und Böse, nach Erstrebten, Unternommenen, Vollbrachten, schließlich nach allem, was wir zu irgendeinem Zweck außerhalb der Liebe unternahmen.“ (v. Speyr  1949: 262) 

 

Bodhidharma genauso wie Jesus negieren damit nicht die Sutren oder die Schriften des Alten Testamentes, sie führen sie nur auf den Ursprungsort im Menschen zurück: weg von der Schriftgelehrtheit zurück ins einfache Herz. Luther hat dies in seiner Kritik an einer dekadenten Kirche sehr deutlich erkannt: „So muß man zum Vater kommen dadurch, daß man eine feine, liebliche Zuversicht zu ihm gewinnt. Das erhält ein blödes [im Sinne der alten Bedeutung von zart, zurückhaltend und scheu], verzagtes Gewissen und macht es ruhig.“ (Luther 1977: 160) 

 

Przywara kommentiert diesen Vers weiter: „ist aber dies die ‚Erscheinung der Liebe Gottes, daß Gott seinen eingeborenen Sohn sandte in die Welt, daß wir durch Ihn leben‘ (1 Jo 4, 9), so trägt mein schauendes Zurückfahren im Seitab-tun der eitlen Welt-Dinge notwendig diese Form der Sendung: aus-ge-welt-et, weil gestellt in den Widerspruch der Welt, in die Einsamkeit dessen, den man ‚haßt wie Gott‘ (Lk 2, 34; Jo 15, 18); - aber ein-ge-welt-et mit der alles durchdringenden Liebe Gottes, die Er ‚ist‘, zu ‚dieser‘ Welt (1 Jo 4, 8-9).“ (Przywara 1939: 234) Und hier trifft sich der Kern des Christentum mit dem Zen, da es um diesen Bruch der weltlichen Illusionen geht, diese aufzulösen, sich davon zu befreien und aus dieser Zuversicht endlich erst wahrhaft zu leben und zu lieben - auch wenn die ganze Welt einen verständnislos anschaut, in der ganzen Torheit eines σκανδάλων! Dieser Sprung ist aber selten und manchmal spürt man dieses Hinübergetragen-Sein in der Liebe, die selbstgenügsam sich entfaltet. 

 

In der Kirche ist dies ehrlich gesagt, aber kaum zu finden. Vielmehr kann sie diesen Vers kaum aushalten und exemplarisch kommentiert dies dann Thomas von Aquin, „denn wenn (Christus) auch bei der ersten Ankunft nicht gekommen ist, um zu verurteilen, sondern um freizusprechen, wird er bei der zweiten (Ankunft) dennoch kommen, um zu verurteilen, nicht aber, um freizusprechen, wie Chysostomus sagt“ (Aquin 2011: 208) Hier wird wieder Evangelium durch Theologie und Dogma ausgehebelt, denn in der Konsequenz bedeutet dies, dass Jesus eben doch gekommen ist, um zu verurteilen. Und man muss sagen, dass dies vermutlich bis heute auch das Bild von Kirche ist, was die meisten Menschen haben: Kirche als Moralinstitution und eben kaum ein rettender und liebender Zufluchtsort (das ist dann schon eher das leise Gebet oder die Kerze in der Kirche). 

19. Hinweis


Whenever anything was asked, Master Chu Ti would just raise one finger. 

Jinhua Juzhi (金華俱胝 , etwa 9. Jahrhundert auch Juzhi "Yizhi" („Ein Finger“ 俱胝一指)) genannt, war kein intellektueller Zen-Meister, sondern eher einfacher, ehrlicher Mensch und hat es damit sowohl hier in die Sammlung geschafft als auch an prominenter Stelle als dritter Zugang im Mumonkan und als 84. Zugang im Buch der Gelassenheit. 

 

Juzhi hat als Antwort auf eine Zen-Frage immer nur den Finger gehoben - dies war SEINE Zen-Antwort, unabhängig davon, was gefragt wurde. Dies mag zunächst irritieren, dass immer die gleiche Antwort auf verschiedene Fragen gegeben wird. Aber hier geht es nicht um Informations-Fragen aus dem Alltag, sondern um Zen-Fragen. Hier kann sich Juzhi mit seiner einheitlichen Antwort, die bereits jede Frage enthält schon auf den Kerngedanken des Avatamsaka-Sutra beziehen: „If untold buddha-lands are reduced to atoms, / In one atom are untold lands, / And as in one, / So in each.“ (Cleary 1993: 891) Und auch für die Koans gilt, hast du eines durchdrungen, so bist du in diesem Moment auch durch alle anderen 1.700 Koans durchgebrochen. Yuanwu führt genau damit auch dieses Koan ein: „Es steigt ein Stäubchen in die Höhe: die ganze Erde ist darin befaßt. Es geht ein Blümchen auf, und eine Welt entsteht.“ (Gundert 1960: 341) 

 

Aber Juzhi ist zu seiner Zen-Antwort nicht durch die philosophische Reflexion von Sutren gelangt, sondern er hat sie als sehr schmerzvollen Ausweg in einer sehr tiefen Bedrängnis erfahren. Yuanwu beschreibt kurz Juzhis Ausgangslage, die ihn zu seinem ersten Fingerzeig geführt hat: „During the time he first dwelt in a hermitage, there was a nun named Shih Chi ('Reality') who came to his hut. When she got there she went straight in; without taking off her rain hat she walked around his meditation seat three times holding her staff. ‚If you can speak,‘ she said, ‚I'll take off my rain hat.‘ She questioned him like this three times; Chu Ti had no reply. Then as she was leaving Chu Ti said, ‚The hour is rather late: would you stay the night?‘ The nun said, ‚If you can speak, I'll stay over.‘ Again Chu Ti had no reply. The nun then walked out. Chu Ti sighed sorrowfully and said, ‚Al­though I inhabit the body of a man, still I lack a man's spirit.‘ After this he aroused his zeal to clarify this matter.“ (Cleary/Cleary 2005: 124) Juzhi erlebt hier sein ganzes Dasein als Zen-Mönch entwertet. Er ist keinerlei Weise in der Lage der Nonne zu Antworten und realisiert gleichzeitig, dass er nicht nur einen schlechten Tag hat, sondern das er nie annähernd die Eloquenz eines Yunmen erreichen wird - damit ist seine Existenz eigentlich verwirkt, denn eine Umschulung kommt in seinem Alter dann auch nicht mehr wirklich infrage. In dieser existentiellen Ohnmacht macht sich Juzhi auf die Pilgerschaft. Hier begegnet er Hangzhou Tianlong (杭州天龍, 748-807), der zu seiner Belehrung einfach nur den Finger hebt, woraufhin Juzhi unmittelbar sein Erwachen erfährt. Fortan greift er diese Geste, die Tianlong nur in diesem Moment verwendet hat, für sich auf, so dass es seine Antwort auf dem Weg zum Erwachen ist. 

 

Mit der Nonnen musste er überlegen, was habe ich ihr zu sagen. Und jetzt hebt er einfach immer nur den Finger, egal zu welcher Frage, egal zu wem. Es ist für ihn eine Befreiung. Und es ist die richtige Antwort, weil es nichts zu erörtern gibt, es gibt eigentlich nichts zu sagen. Eher gibt es etwas zu ahnen, etwas zu fühlen, etwas worauf man hinweisen kann, etwas was man befreien kann und muss… na, nicht ganz. Es ist zumindest kein Etwas. Vielleicht ist es eher dieses sich durchwirken lassen, von einem Ahnen, Fühlen, Lieben… in eine Befreiung hinein. 

 

Interessant ist an dem Heben des Fingers, diese unglaubliche Leichtigkeit, die er dadurch hat. Die Klugscheißer-Fragen und die Profilierung wie bei der Nonne treffen ihn gar nicht mehr. Er muss sich nicht mehr an einem Dharma-Gefecht oder an einem Glasperlenspiel beteiligen. Er muss sich auch nicht mehr auf die Probe stellen lassen in seinem Erwachen, er ist jetzt ein Meister. „Dieser alte Chinese! Tut gerade so, als wolle auch er den Menschen in der weiten Welt die Zunge abschneiden. - Er reißt sie ihnen wahrhaftig raus!“ (Gundert 1960: 341) Im Gesang bewundert Xuedou ihn dafür: „Wie er’s vorhält und emporhebt: innig lieb ich ihn.“ (Gundert 1960: 346) Und Tenkei kann diesen Vers und sein Lob gut nachvollziehen. „What does Setcho admire? The fact that Gutei does not preach about Buddha, does not preach about Dharma, does not preach about mind, does not preach about nature, does not preach about delusion, does not preach about enlightenment, and does not preach about mysticism or marvels: his responsive teaching by simply raising a finger is very good. Why? Since the universe has been emptied, who else is there? —There is nothing at all; there is fundamentally no one on earth to be saved, no one in the world who is starving. That is the reason for Setcho’s admiration.“ Cleary 2000: 62) 

 

Aber so einfach dies Für Gutei auch ist mit dem einen Finger, dies ist nur seine Befreiung. Und es ist auch nicht beliebig. Denn der Finger oszilliert ja schon: es ist nur eine sinnlose körperliche Geste, die beliebig einsetzbar ist. Gleichzeitig ist sie in sich ein Hinweis, immer verfügbar, ein Teil von Gutei selbst. Aber es werden schnell die Fragen laut, ob Juzhi es sich nicht zu einfach macht und ein Blender ist. Ist er wirklich erwacht oder hat er nur eine bequeme Ausrede gefunden, womit er sich aus jeder Zen-Situation herauswinden kann und sich wieder faul ins Gras legen kann. „‚Chu Ti's realization was crude: he only recognized one device, one perspective. Like everyone else, he claps his hands and slaps his palms, but I look upon Hsi Yuan as exceptional.’ Again, Hsuan Chueh said, ‚But say, was Chu Ti enlightened or not? Why was Chu Ti's realization crude?’ If he wasn't enlightened, how could he say, ‚My whole life I've used one-finger Ch'an without ever exhausting it‘? Tell me, where is Ts'ao Shan's meaning? At that time, Chu Ti actually did not understand. After his enlightenment, whenever anything was asked, Chu Ti would just raise one finger; why couldn't a thousand people, even ten thousand people, entrap him or break him apart? If you under­stand it as a finger, you definitely won't see the Ancient's meaning. This kind of Ch'an is easy to approach but hard to understand. People these days who just hold up a finger or a fist as soon as they're questioned are just indulging their spirits. It is still necessary to pierce the bone, penetrate to the marrow, and see all the way through in order to get it.“ (Cleary/Cleary 2005: 125) Und Yuanwu führt noch einen weiteren Meister an, der eine ähnliche Methode verwendet und der hilflos erscheint, wenn man ihn dieser Methode beraubt. „Mi Mo just used a forked branch all his life. The Earth­ Beating Teacher would just hit the ground once whenever any­ thing was asked. Once someone hid his staff and then asked, "What is Buddha?" The Teacher just opened his mouth wide. These (methods) too were used for a whole lifetime without ever being exhausted.“ (Cleary/Cleary 2005: 126) 

 

Aber dass in Juzhi wirklich Tiefe liegt, zeig auch sein Umgang mit dem Jungen, der ihm assistiert. Der Junge macht ihn mit dem Finger nach (obwohl es offen bleibt, ob er es auch als sein Zen versteht oder nur das Zen seines Meisters darstellen will) - diese Geste kann niemand einfach kopieren. Auch Juzhi hat diese Geste nicht einfach Tianlong übernommen, sondern die Tiefe seiner Geste hat er nur für sich selbst erfahren, hier hat Tianlong nur den Anstoß gegeben. Als Juzhi bemerkt, dass der Junge nicht nur sein Zen darstellt, sondern dazu übergeht, dies auch als sein eigenes Zen zu verkaufen, schneidet er ihm einfach den Finger ab. Und es passt auch diese körperliche Entschlossenheit dazu, denn Juzhi hat gleichzeitig darauf nichts zu antworten, sondern nur nach dem Jungen ruft und dieser in seinem Weglaufen anhält, sich umdreht und inne hält. Daraufhin findet der Junge tatsächlich zum Erwachen. Aber wie? Vielleicht hat er aus Gewohnheit auch wieder versucht seinen Finger hochzuhalten und dann war da kein Finger mehr, sondern nur noch Leere bzw. da, wo der Finger mal war, ist jetzt nur noch Schmerz und Verlust. „It was now the master's turn to enlighten the boy who boasted of his understanding of the Buddha Dharma. Before, the lad clung to the finger which he took for the real, but when he did not see it again, he perceived that which raised the hand, hence his great awakening. For this reason, most Ch'an masters forbade their students to read sutras during the time of their Ch'an training, for the latter would cling to names and terms which really obstructed their perception of the reality. For the same reason, in the special meetings, specific names were never used and those unaccustomed to reading Ch'an texts, are always puzzled as to why the ancients like to use terms such as 'that one', 'this one', 'it', 'the fundamental’, etc. which seem very strange to them. The Buddha also urged His disciples never to look at the finger which pointed at the moon, but at the moon which was actually pointed at.“  (Lu 1970: 135) 

 

In einem Teisho macht Susan Ji-on Postal (1940-2014) im Empty Hand Zendo (New Rochelle, New York) am June 12, 2004 genau auf den Schmerz und Verzweiflung aufmerksam, aus dem ein Erwachen aufbricht und nicht aus einer Gelehrsamkeit heraus, die an Begriffen und Theorien hängt: „Thatʼs a kind of cutting. Itʼs more common to have records of teachers cutting verbally. But here it talks about a knife. So the teacher did something, and the boy was suffering, deeply suffering. And then the teacher did something else: he called right in the middle of suffering. The Buddha tells us a lot about suffering: that itʼs from our place of suffering that we can begin to awaken. So it seems to me most appropriate that itʼs in the middle of profound pain that something most precious happens.“ 

Den Fingerzeig hält Gutei immer vor, er ist seine Waffe gegen alles was ihm begegnet, ihm kann nichts passieren, der Finger passt immer. Und so ist er frei - und dafür liebt ihn Xuedou. Er stellt diese  doppelgründige Frage in seinem Gesang: tat es ihm jemand gleich? Natürlich gab es auch genauso freie Zen-Meister, aber es tat und es kann ihm auch keiner gleich tun von der Technik mit dem einen Finger. Hier oszilliert wieder die Bedeutung. Denn Juzhi hat die Geste nicht von Tianlong kopiert, noch würde der Junge, nachdem er zum Erwachen gekommen ist, eine Kopie sein, wenn er nun die leere Stelle seines abgeschnitten Fingers hochhalten würde. Für jeden ist diese Geste anders aufgeladen. 

 

Der Fingerzeig ist für ihn wie ein Treibholz im Meer. Ein Treibholz kann quasi nicht untergehen, aber es hat auch kein konkretes Ziel. Und dann kann es doch so lebensrettend sein, wenn jemand Schiffbruch erleidet. Aber dies ist nicht das Ziel und es gibt auch keine bewusste Bewegung dort hin. Und für mich ist das Treibholz auch immer ein stark besetztes Symbol: ich träume ganz oft von so einer Szene, dass ich mich an einem Treibholz festhalte und über das ruhige Meer treibe. Diese Weite sehe, mir heiß von der Sonne oben und kalt von dem Meer unten ist. Und dann in beide Richtungen diese Tiefe spüre: der Horizont ist so weit und ohne Orientierung, obwohl ich klar überall hinschauen kann und dann dieses Tiefe unter mir, denn ich weiß nicht, wie tief es unter mir runtergeht und unter mir wird so viel los sein an Fischen und Pflanzen, an Wasserströmen etc. aber ich kann es nicht sehen.

Christliches Jakogu

„Wenn sie euch nun übergeben, so sorgt euch nicht was ihr reden sollt; denn es wird euch gegeben in diesem Moment, was ihr zu reden habt. Denn nicht ihr redet da, sondern der Geist des Vaters redet durch euch.“ (Mt 10, 19-20)


Eine höchst seltsame Sache, die Jesus hier ausspricht. Reicht es also aus, dass ich vor einer Prüfung bete anstatt zu lernen und bestehe dann trotzdem den Test, weil der heilige Geist mit dir Antworten zuflüstert? Oder brauche ich vor Gericht keinen Anwalt, weil ich mich durch die Unterstützung des Vaters aus selber verteidigen kann? Eine Parallele gibt es hier auch zu Moses (Ex 4, 12), der gegenüber Gott das Bedenken anführt, dass er nicht eloquent genug ist, um seine Volksgenossen für das zu überzeugen, was Gott ihm aufgetragen hat und wozu er ihn schickt. Bei Mose wird dies so gelöst, dass er zwar die Botschaften von Gott direkt erhält, in Worte packt dies aber jemand anderes und präsentiert es auch gegenüber dem Volk (sozusagen ein früher Ghostwriter). 


Aber kann man sich darauf verlassen, dass in solchen Situationen ein Ghostwriter oder Souffleur (was vom Wort sogar durch das Hauchen eine Verbindung zum heiligen Geist hat) dann da ist? Juzhi konnte sich bei der Begegnung mit der Nonne nicht darauf verlassen. Und im Alltag ist Eloquenz und Schlagfertigkeit oft damit verbunden, dass sich dahinter kein Inhalt verbindet, sondern eher ein geschicktes rauswinden aus einer Situation ist (was man gut bei Politikern beobachten kann, die die Medien suchen im Gegensatz zu den Fachpolitikern, wobei es manchmal hier auch Überschneidungen gibt - nur dass die wirklich inhaltliche Diskussion immer weniger in den Medien stattfindet, sondern in den Bleiwüsten der Drucksachen des Bundestages). 


Der Exeget Gnilka macht bei Mt 10, 19 auf die Bindung an das Martyrium, und damit auf das Leiden, aufmerksam (Gnilka 1986: 377). D.h. der Heilige Geist gibt einem nicht die Antworten in einer Prüfung ein, sondern nur wenn es um Leben und Tod geht. Aber gerade die Märtyrer waren oft nicht so eloquent, dass sie sich aus ihrer Verurteilung und Hinrichtung hätten ins Leben retten können: für das irdische Leben fehlt ihnen dann doch die Eloquenz und für das himmlische Leben brauchen sie diese Eloquenz gar nicht, weil Gott eh alles weiß. Eine wirkliche Erklärung findet man hier allerdings nicht.


Luther hatte es nun nicht nötig, um Eloquenz zu beten, aber er hat diese auch nie als freischwebendes kommunikatives Gesellschaftsspiel betrachtet, sondern immer um dem was er in der Tiefe erfahren und erlitten hat, Worte zu vermitteln. Luther war eben kein Scholastiker, sondern jemand der etwas erfahren hat, wie Rahner sagen würde. Und vielleicht hatte er deswegen für diese Stelle von Mt 10, 19 ein gutes Gespür. Denn er macht darauf aufmerksam, dass Eloquenz gerade das Gegenteil von Wahrheit vermitteln kann: „Beispiele sind dafür zu unseren Zeiten viele schlaue und giftige Leute, die auch ihre schlechtesten Worte und Taten doch aufs allerschönste und lieblichste schmücken und zu Ehren bringen können und wiederum mit denselben Künsten andrer Leute gute Worte und Taten verleumden können, so daß schließlich nur nur der, der davon hört, sonder auch der Angeklagte selber seine Sache fast für verdächtig halten muß. Drum ist’s völlig unmöglich, ihre Verleumdungen vorauszusehen, und umsonst sorgt und ängstet sich, wer sie vermeiden will.“ (Luther 1973: 352f.) Luther zeigt, dass Eloquenz schlechte Taten überzeugend gut dastehen lassen können und selbst, dass jemand sich als schlecht wahrnimmt, der eigentlich gut in seinem Wesen ist. So nimmt auch Juzhi sich als schlechten Zen-Mönch war, weil er nicht auf die Eloquenz der Nonne adäquat antworten kann. Dass er in seinem Inneren aber durchaus so weit fortgeschritten war, zeigt das direkte Erwachen unter Tianlong. 


Aber Tianlong lehr ihm eben nicht die richtige Antwort, die er der Nonne hätte geben sollen. Denn, so Luther, „der Teufel ist ein Tausendkünstler und erfindet immer neue Verleumdungen, so daß kein Prediger nach einer gewissen Regel sich schützen und rüsten kann, wie oder was er antworten solle […] drum ist alles Überlegte vergeblich, es geht bei der Anklage anders zu, als wir gedacht hätten.“ (Luther 1973: 352) Vorgefertigte Antworten oder Jakogus bringen nix. Und auch Luther gibt hier keine scholastischen Antworten, sondern führt an, dass man in einem Empfinden, in einer Stimmung gründen muss. In einer Stimmung, die nicht nur eine psychologische Erklärung aufgeht und eine Laune oder ein auftauchendes Gefühl ist, sondern einen viel tieferen Grund. Eine Stimmung, die wie Heidegger dies beschreibt, eben nicht psychologisch sondern seinsgeschichtlich ist. Die nicht im Seienden gründet, sondern den Sprung (das Erwachen) vom Seienden ins Seyn geschafft hat und nun die Stimmung des Seyns in dieses Welt und in den tristen Alltag mit seinen Anfeindungen hereinragen lässt - und somit dies alles relativiert und in eine tiefere Geborgenheit aufhebt. „Drum muß man alles im Vertrauen auf Christus und in der Demut oder in der Verzweiflung an der eigenen Kraft tun und alle Sorge ganz auf ihn werfen, weil er uns selber verheißen hat: der Geist eures Vaters ist es, der in euch redet. So haben wir denn hier einen festen Trost“ (Luther 1973: 353)

20. Hinweis

Lung Ya asked Ts'ui Wei, "What is the meaning of the Pa­triarch's coming from the West?" 

Wei said, "Pass me the meditation brace." 

Ya gave the meditation brace to Wei; Wei took it and hit him. 

Ya said, "Since you hit me I let you hit me. In essence, though, there is no meaning of the Patriarch's coming from the West." 

Ya also asked Lin Chi, "What is the meaning of the Pa­triarch's coming from the West?" 

Chi said, "Pass me the cushion." 

Ya took the cushion and handed it to Lin Chi; Chi took it and hit him. 

Ya said, "Since you hit me I let you hit me. In essence, though, there is no meaning of the Patriarch's coming from the West."

Longya Judun (龍牙居遁, 835–923) kommt zu Cuiwei Wuxue (翠微無學, ca. 9. Jhd.) und fragt ihn die gleiche verbreitete Frage wie etwa in Hinweis 17 (allerdings ist dies eine weit verbreitete Standardfrage, die sehr oft auftaucht). Aber der Vergleich mit Hinweis 17 macht einiges deutlich, so ist die Frage bei beiden identisch und auch die Reaktion der Meister. Zwar antworten die Meister nicht das gleiche, aber sie geben alle keine direkte Antwort auf die Frage. Nur Longya gibt explizit ausgesprochen diese Antwort, allerdings sich selbst: „Kurz, einen Sinn des Kommens unseres Patriarchen aus dem Westen gibt es nicht.“ (Gundert 1960: 351ff.) Und diese Antwort durchzieht auch die Kommentare von Yuanwu, der diesen immer wieder wiederholt.


Longyas Antwort ist inhaltlich nicht falsch, dafür wird er von den Meistern auch nicht gerügt. Hier ist er tatsächlich schon weit fortgeschritten in seiner Scholastik. Aber die beiden Meister haben ihn längst viel tiefer durchschaut. Und auch Yuanwu begreift, was hier im Hintergrund für eine Story abläuft: „Einer der Alten (und zwar kein anderer als Dung-schan selbst, der Meister Lung-ya’s) hat gesagt: Ausgesprochen ist das leicht; aber daß es sich dabei (im Geist des anderen) ungebrochen (so, wie es gemeint war) fortplanzt, das ist ungeheuer schwer.“ (Gundert 1960: 358) In diesem Hinweis geht es deswegen nicht darum, ob Longya richtig begriffen hat, dass es keinen Sinn des Kommens vom Bodhidharma gegeben hat, sondern darum, ob er diese Antwort für sich realisiert hat. So schreibt Tenkei zu diesem Hinweis: „The overall meaning of this koan is checking and testing after having attained satori.“ (Cleary 2000: 64) Aber vielleicht trifft Tenkei hier auch nicht ganz den Punkt, vielleicht ist es eher das Austesten zwischen richtigem inhaltlichen und begrifflichen Wissen und dem wahrhaften realisieren dieses Wissens im Glauben.


Die Meister erkennen also, dass Longya zwar schon weit gekommen ist, aber noch längst nicht angekommen. Longya erkennt dies Jahre später auch im Rückblick, wenn er auf diese Situation angesprochen wird und gefragt wird, ob er mit den beiden Meistern übereinstimmt: „'I agree, as far as agreement goes; it's just that there is no meaning of the Patriarch's coming from the West.’ Lung Ya looks carefully in front and behind, and dispenses medicine to suit the disease.“ (Cleary/Cleary 2005: 130) Auf der Ebene des Wissens kann er mit den Meistern übereinstimmen, hier ist eine Verständigung über einen Konsens möglich (bis hierhin kann auch Habermas noch etwas verstehen, bei allem weiteren ist er dann aber auch raus, weswegen sein Alterswerk zum Glauben auch nur ein großes „Thema verfehlt“ ist und sein Frühwerk hat nicht verstanden, dass Kommunikation mehr ist als rationale, explizite Verständigung). Aber seine Medizin kann er erst in passenden Rationen nehmen, denn bis zu diesem Punkt „greift [er] noch gieriger nach der Speise als der Hungrige.“ (Gundert 1960: 354) Erst die beiden Meister erlauben ihn, seinen eigenen Zustand zu erkennen und verabreichen ihm eine weitere Dosis an Medizin. „Aber freilich, am Stock der beiden Meister sind Augen, klar wie die Sonne. Wer echtes Gold erkennen will, muß es im Feuer prüfen.“ (Gundert 1960: 354) Sie bieten im die Möglichkeit seinen Gesundheitszustand zu prüfen - auch wenn er dies nicht unmittelbar einsieht und erstmal schnippig eine „wissende“ Antwort gibt.


Die Prüfung findet aber im Hinweis erstmal falsch herum statt. Denn Longya kommt zu Cuiwei und Linji, um diese zu prüfen. Er legt ihnen die Frage vom Kommen Bodhidharmas vor, um zu schauen, ob sie „richtig“ antworten und ihm seine Antwort bestätigen, dass dieses Kommen keinen Sinn hat. Aber die beiden Meister äußern gar nicht diesen Satz, weil sie ihn durchschauen. Longya ist aber so  festgefahren, dass er sich sogar zweimal hintereinander die Antwort einfach selbst gibt - sich einfach selbstbestätigt, was er hören wollte. 


Cuiwei und Linji machen aber etwas vollkommen anderes. Denn sie nehmen das Meditationskissen und das Stützbrett und verwenden es nicht, wie vorgesehen für die Meditation. Auch hier geben sie nicht die erwartbare, richtige Antwort für den Gebrauch dieser Gegenstände. Sondern sie zweckentfremden diese, um Longya aufzubrechen: komm heraus aus deiner Erwartungshaltung und erfahre die Welt ohne deine Wahrnehmungsfilter - und direkt heißt hier, dass die Gegenstände zu etwas vollkommen anderen gebraucht werden, nämlich um ihm Schmerz zuzufügen. Und Schmerz ist etwas, was weitgehend auch ohne Wahrnehmungsfilter direkt wahrgenommen wird. Aber selbst dies ordnet Longya noch ein und behauptet, dass er dies erwartet hat und sich freiwillig hat schlagen lassen. Er ist damit sehr fest in seinem Gedanken und Erwartungen gefangen und festgelegt und alles wird darauf zurückgeführt. Aber er nimmt dies selber nicht wahr, so dass er erst dort hin geführt werden muss. 


Ernst Jandl hat ein schönes Gedicht dazu geschrieben, in dem er beschreibt wie festgelegt und vernagelt wir sind, durch Erziehung und andere Referenzrahmen, die unsere Welt buchstäblich bestimmen. Bei Jandl ist die Situation aber umgekehrt als in dem Hinweis mit Longya. Die vernagelte Person erkennt nämlich ihr Festgelegt-Sein und beklagt es gegenüber einer Person, die genau diese Festlegungen bewirkt hat, seiner Mutter. Die Mutter erkennt dies nur so gar nicht. Aber dies zeigt wie ausweglos es ist, aus diesen Festlegungen herauszukommen - und es hilft nichts von der mütterlichen guten Erziehung zum Punk zu wechseln, wenn man sich dann durch die Anarchie festlegen lässt: „bist du vernagelt? / ja, ich bin vernagelt. // meingott, du bist wie vernagelt. / ich bin ja vernagelt. // einmal wird dir schon der knopf aufgehen. / was heißt knopf – ich bin richtig vernagelt. // so laß ich dich nicht allein, mein kind. / so hast du mich aber zurückgelassen, mama.“ (Jandl 1985a: 851)


Longya hat zwar viel gelernt und verstanden, aber ist noch lang nicht frei, sondern genau darauf festgelegt. Er glaubt sich mit den beiden Meistern eins, so dass sie alle drei keinen Sinn im Kommen von Bodhidharma aus Indien nach China sehen. Für Longya bewegt sich die Interaktion mit den beiden Meistern vollständig im Rahmen des Erwartbaren. Selbst dass sie das Kissen und das Brett dafür benutzen, um ihn zu schlagen, will er durchschaut haben. So schreibt Yuanwu: „Kein Mensch wird hier sagen können, Lung-ya haben den Sinn dieser Aufforderung nicht verstanden.“ (Gundert 1960: 356) Und er gibt dies den Meistern auch zu erkennen, indem er sagt, dass sie nur so handeln konnte, weil er es ihnen gewährt hat: „Wenn ihr mich schlagt, so lasse ich mich schlagen!“ (Gundert 1960: 352) Aber die beiden Meister und auch Yuanwu sind ganz woanders als Longya, so kommentiert Yuanwu dies nur verächtlich: „Jetzt hintendrein, nachdem der Räuber weg ist, spannt er seinen Bogen!“ (Gundert 1960: 352) Paradoxerweise glaubt Longya alles im Griff und alles erreicht zu haben. Er fühlt sich gleich auf mit den Meistern - und ist es gerade durch diesen Glauben so gar nicht. Er ist ins Nichts gefallen, aber noch nicht wieder daraus aufgetaucht, sondern ist vernagelt in Begriffe und Konzepte vom Nichts - ihm fehlt die Rückkehr auf den Marktplatz wie beim Gleichnis vom Ochsenhirten (vgl. Ueda 2012). Alles hat sich so zu verhalten, wie er es sich vorstellt und selbst wenn nicht, wird es nachträglich eingepasst als Post-Rationalisierung. „Anstatt dem Anlass aber in der Richtung des lebendigen (des natürlichen fließenden) Wassers stattzugeben (also selber mit dem Stützbrett dem Tsui-we zu drohen oder loszuschlagen), treibt es ihn ins tote (stehende) Gewässer, sich darin seinen Lebensunterhalt zu suchen, nur um unter allen Umständen Selbstherrscher zu bleiben.“ (Gundert 1960: 356)


Xuedou nennt Longya in seinem ersten Gesang (der einzige Hinweis im Hekiganroku übrigens der zwei Gesänge hat) einen Drachen ohne Augen. Longya hat schon die die Kraft und das Potential eines Drachens, dies ist alles schon da. Ihm fehlen allerdings die geöffneten Augen, so dass er gefangen ist in sich selbst. Er kreist mit geschlossenen Augen nur in sich selbst, schaut nur in sein Inneres und sieht auch in dem, was ihm in den beiden Meistern begegnet, nur das, was er schon weiß: unverändert wird es als Schema drübergelegt und der Spiegel mit einem schönen Selbstportrait übermalt. Da helfen ihm auch nicht die Hilfsmittel wie das Gebetskissen, d.h. es hilft eigentlich auch nicht die reine Methode wie das Zazen, da dies ihn immer nur noch weiter bestätigt in seiner Innenschau und den „Blick“ in die „eigene“ Leere. Er ist schon nah dran an der Leere, aber er sieht die Leere nur in sich, es ist nur „seine“ Leere, die paradoxerweise eine erfundene und konstruierte Leere ist, die aber durchaus als Hilfsmittel auf dem Weg dienlich ist - denn er ist ein Drache, der schon viel verstanden hat, aber eben noch nicht erwacht ist. 


Aber in diesem toten Wasser, wo zwar Klarheit und Tiefgründigkeit herrscht sowie einer Ruhe, wie man sie landläufig mit dem Zen verbindet, da findet eben kein wirkliches Zen statt. Die beiden Meister sind dabei Longya aus dieser Ruhe wirklich ins Erwachen zu führen. Denn in dieser Ruhe tauchen noch nicht die Winde, d.h. der Geist, der großen alten Zen-Meister auf. Falls Longya die Mediation nur für diese Ruhe im toten Gewässer braucht, soll er sie an jemand anderen weitergeben, denn ein stand-by-modus ist kein Zen. Und Ciuwei und Linji starten doch noch einen Versuch und versuchen, ob er mit Prügel aus diesem toten Gewässer erwacht. Aber offensichtlich erfolglos, denn ihre Schläge holt er direkt als von ihm erwartet in sein Ich hinein, nämlich ins modrige abgestandene Wasser.


Xuedou sieht dann aber, dass diese doch recht negative Beschreibung von Longya ihm nicht ganz gerecht wird, denn der Drache hat nicht nur die Augen geschlossen, „Lung-ya was a true, genuinely craggy old Dragon that had rid himself of the eyes he was born with. He didn’t see heaven or hell. He didn’t see the hills, streams and great earth either.“ (Hakuin 2017: 184) So fügt er einen positiveren zweiten Gesang hinzu, zu dem Hakuin schreibt, dass die Verse dieses zweiten Gesangs „are the most wonderful of all the hundred marvelous Verses Hsueh-tou wrote as comments on koans. [.…] You monks, if your are able to see through this verse and make it your own, I will affirm that you have met old Hsueh-tou face to face.“ (Hakuin 2017: 184) So beschreibt Xuedou in diesem Gesang, dass auch wenn das Meditationskissen an jemand anderen übergeben wird, ist damit noch nichts gewonnen, d.h. ist dies keine Dharma-Weitergabe. Eine angemessene Antwort oder besser Annahme ist das Gegenteil von einem toten Gewässer, es ist die Stimmung einer unglaublichen Weite von ziehenden Wolken und Bergen, es ist eine Ichlosigkeit dieser Landschaft. Klar kann man davor stehen und dies bewundern, wie schön dies ist oder die Namen der Gipfel benennen… aber man kann sich dort auch hineinziehen lassen, so dass man ein Teil dieser ganzen Szenerie wird. Das eigene Ich wird erst vor dieser Größe ganz klein und verliert sich auch immer mehr in dieser Betrachtung. Und dies ist die richtige Stimmung für eine Meditation bzw. besser für ein Leben aus dem Geist des Zen, so dass man sich vom Wind der Alten tragen und treiben lässt.


Vielleicht kann man sich den Gesang auch ganz banal und unpoetisch vorstellen (also hart im Kontrast zur Form des Gesangs): So stehen viele chinesische Touristen vor dieser Landschaft und fotografieren und filmen diese. Nur Longyan stellt sich vor sie und belehrt darüber, dass sie die Leere dieser Landschaft in ihrem Herzen erkennen müssen und sie blind sind, wenn sie versuchen diese Landschaft auf Bilder festzuhalten. Dann kommen aber Ciuwei und Linji und verprügeln ihn mit Kissen und Brett, dass er nicht nur die Touristen belehren soll, sondern selber sich auch immer mal wieder selber zur Landschaft umdrehen soll, um wirklich mit dem Herzen in dieser Landschaft aufzugehen und einfach nur betrachten, wie Himmel und Erde verschmelzen…


Auch wenn sie Lu gegeben würden, warum sollte er an ihnen hängen?

Sitzen, Ausruhen - so trägt man nicht die Lampe der Väter weiter!

Angemessenes Aufnehmen wäre: Abendwolken, die noch nicht miteinander verschmolzen sind.

Ferne Berge unendlich, wie blaue Wellen.

(Eigene Übersetzung)


Und damit hat man dann auch wieder die Verbindung zum Fall. Denn das Kommen von Bodhidharma hatte genauso wenig Sinn und Ziel, wie das Aufgehen der Sonne jeden Morgen oder das Ziehen der Wolken über die Gipfel, es ist einfach da. Und so wie es ist, ist es richtig, schön und gut. Und es ist auch gut, dass jeder Tag anders ist…so ist trotzdem jeder ein guter Tag!

Christliches Jakogu: der Blinde (Joh 9, 1ff.)